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Akademiker-Aufgaben in den achtziger Jahren

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Um die gesellschaftliche Stellung des Akademikers in den 80er Jahren zu beschreiben, empfiehlt es sich, zunächst einmal die Gesellschaft der 80er Jahre in einigen Punkte kurz zu charakterisieren

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Um die gesellschaftliche Stellung des Akademikers in den 80er Jahren zu beschreiben, empfiehlt es sich, zunächst einmal die Gesellschaft der 80er Jahre in einigen Punkte kurz zu charakterisieren

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An der Gesellschaft der 80er Jahre ist folgendes besonders hervorzuheben:

1. nbsp;Die Gesellschaft der 80er Jahre ist im Begriff, eine internationale Gesellschaft zu werden.

2. nbsp;In dieser „Weltgesellschaft" kann der Mensch als der größte gemeinsam artikulierte Wertnenner angesehen werden. Wenn auch die Realität oft hinter dem Verbalbekenntnis zurückbleibt und die in Konventionen formulierten Menschenrechte oft nur am Papier bleiben, so hat sich weltweit doch das Bewußtsein von der Bedeutung des Menschen stark entwickelt.

3. In dieser Weltgesellschaft droht dem Individuum eine gewisse Verlorenheit. Zunächst ist festzustellen, daß die vorhandenen Institutionen nicht ausreichen, um die global dimensionierten Probleme der Menschheit und der Menschen zu lösen. So ist z. B. der Einzelstaat, zu dessen vernehmlichsten Aufgaben seit jeher der Schutz seiner Bürger vor Bedrohung von außen und von innen zählt, heutzutage überfordert.

Kein Staat der Welt kann in dieser Zeit seine Bürger vor dem drohenden Nukleartod, vor dem drohenden Umwelttod, vor dem drohenden Hungertod und vor dem drohenden Terrortod wirksam schützen. Es bedarf des Ausbaus neuer und der Umstrukturierung vorhandener Institutionen, welche den international gewordenen Bedürfnissen des internationalen Menschen gerecht zu werden vermögen.

Unsere Frage lautet nun, welche Stellung der Akademiker in der so charakterisierten Gesellschaft haben wird. Weil die Sozialethik überzeugt ist, daß der Mensch seine Geschichte zumindest teilweise zu gestalten vermag und die Zukunft, so gesehen, auch von den Sollvorstellungen abhängt, stellt sich uns die Frage, welche Stellung der aka-demiker in der Gesellschaft der 80er Jahre einnehmen soll.

Der Akademiker ist infolge seiner wissenschaftlichen Ausbildung einer, der gelernt hat, sich in systematischer Weise mit Wissen zu beschäftigen und sich solches Wissen anzueignen. Der Mensch der komplexen Massengesellschaft bedarf zur Bewältigung seiner Lebensprobleme nicht nur viel Spezialwissens, sondern vor allem auch Lebenswissens.

Der mit dem Wissen besonders vertraute und dem Wissen verpflichtete Akademiker vermag seinen Mitmenschen beim Erwerb solchen Wissens, des Fach- und vor allem des allgemeinen Lebenswissens, behilflich zu sein.

Humanität, verstanden als jenes Wertbündel, in dem Grundlegendes über das Eigentliche des Menschseins und über Strategien zur Verwirklichung solchen Menschseins ausgedrückt ist, bleibt als wertintensiver Begriff manchem Mißbrauch und mannigfacher Verkürzung ausgesetzt.

Vor allem ist es der Egoismus individueller, gruppenspezifischer und temporärer Art, welcher oft Humanität als Forderung nur für sich oder Tür die eigene Gruppe oder für die Gegenwart (und damit für die jeweils Lebenden) artikuliert. Der Akademiker, auf Grund seiner Ausbildung in besonderer Weise der Wahrheit in ihrer Ganzheit verpflichtet, kann solche Verkürzungen und Bedrohungen wahrer Humanität aufzudecken und zu überwinden helfen.

Davon wird es in der Gesellschaft der 80er Jahre nicht weniger geben als bisher. Nach dem letzten der 20 „Sozialgesetze der verkehrten Proportion" von F. Somary gilt, da, je größer Reichtum und Macht, desto geringer die Sättigung, desto stärker der Drang nach weiterer Vermehrung" ist.

Deshalb ist zu befürchten, daß bei der durch die Energie- und Wachstumskrise bedingten drohenden Wohlstandsrezession der 80er Jahre wiederum die bisher Schwachen und Unterprivilegierten die eigentlich Benachteiligten sein werden.

Soll das Problem der sozialen Gerechtigkeit international wie national befriedigend gelöst werden, bedarf es dazu neben vielem anderem der Stärkung der Position der Schwachen und Unterprivilegierten durch Mobilisierung von möglichst vielen Anwälten zur Wahrnehmung der Interessen dieser Benachteiligten. Möglichkeiten für solche Anwaltschaft gibt es viele: vom Einsatz in der Bewußtseinsbildung bis zum Engagement in der Politik.

Politik, als Kampf um die rechte Ordnung mit den Mitteln der Macht, droht immer wieder, sich der brutalen Formen der Macht zu „bedienen". Macht, mit M. Weber verstanden als „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht", beinhaltet ein breites Spektrum von Möglichkeiten. Des Akademikers besondere Aufgabe auf dem Feld des Politischen liegt darin, die Chance der Vernunft und der Liebe zu fördern und zu nützen.

Auf dem Arbeitsmarkt der 80er Jahre ist in Österreich ein Akademikerüberschuß zu erwarten. Man wird alles tun müssen, um die dabei auftretenden Probleme zu lösen. Eines muß aber beim Stichwort Uberschuß in Erinnerung gerufen werden: Daß es in den 80er Jahren nicht genug ethisch hochstehende Akademiker geben kann, die in einer schicksalsmäßig immer mehr eins werdenden Welt ihre Rolle in dem oben beschriebenen Sinn wahrnehmen und damit eine gewisse prophetische Funktion erfüllen.

Mögen die Worte des Rabbi Jocha-nan ben Nappacha (t 279 n. Chr.) auf den Akademiker der 80er Jahre nicht zutreffen: „Seit den Tagen, da das Heiligtum zerstört wurde, ist die Pro-phetie den Propheten genommen und den Narren und Kindern gegeben."

Dies ist eine überarbeitete Version des Referates, das der Vorstand des Instituts für Ethik und Sozialwissenschaft an der Universität Graz beim 80. Stiftungsfest der ÖCV-Verbindung Kürnberg gehalten hat.

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