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Es ist noch keine zehn Jahre her, daß der erste OECD-Bericht über Österreichs Schulwesen für die zweite Hälfte der siebziger Jahre einen Fehlbestand an Hochschulabsolventen von mehr als 50.000 voraussagte. Das war in den Jahren', -als nach der Bereinigung der Schullandschaft auch die Studienreform an den Universitäten in Angriff genommen wurde und eine breite Bildungswerbung zunächst die Mittelschulen, dann auch die Universitäten füllte.

Heute, bevor noch die Zieljahre jener Prognose erreicht sind, hat sich die Lage grundsätzlich geändert. Der wichtigste Sektor des Akademikerbedarfs jener Zeiten, das Schulwesen, hat seinen Bedarf im wesentlichen decken können. Nur wenige Fächer, nur wenige Regionen in Österreich melden noch Fehlbestände. Sicherlich, notwendige Sparmaßnahmen lassen auch die ebenso notwendige Ausdehnung des Lehrerpotentials in pädagogisches Neuland nicht Wirklichkeit werden. Auch in anderen Bereichen ist der Konkurrenzkampf härter geworden. Die Zeiten sind vorbei, wo Studenten nicht zum Abschlußexamen kamen, weil sie bereits - auch ohne Diplom - in Amt und Würden saßen.

Heute geistert bereits der „akademisch geprüfte Taxichauffeur“ durch die Zeitungen, in Schweden angeblich bereits Wirklichkeit, den Alten noch aus der Zwischenkriegszeit ein Alptraum - wird er auch bei uns modellhaft die Akademikerarbeitslosigkeit von morgen markieren?

Gleichzeitig aber ziehen völlig ungebrochene Ströme von Studienanfängern ia die ohnehin bereits überfüllten Hochschulen, unbeeindruckt scheinbar von den Kassandrarufen über kritische Zukunftsaussichten. Oder wären es noch mehr, wenn diese Kassandrarufe nicht erklängen? Noch liegen die Abschlußmeldungen über die Inskriptionen des Wintersemesters nicht vollständig vor. Aber nach ersten Informationen dürften die Zuwachsraten bei den Erstsemestrigen zwischen sechs Prozent an der Universität Graz und 42 Prozent an der Universität für Bodenkultur stehen.

Die Gründe? Der nachrückende Jahrgang 1957 ist stärker als der vorausgehende, wenn auch nicht um 15 Prozent. Die Maturanten von 1976 traten in ihrer Mehrzahl 1967 oder 1968 in die höhere Schule ein- am Höhepunkt jener Bildungswerbung, die heute anstößt. Diese Kriterien werden sich auch in den kommenden Jahren noch auswirken.

Wie soll man -dem beikommen? Stadtschulratspräsident Schnell meinte dieser Tage auf einer Enquete zum Thema, einem Akademiker sei ein Posten zumutbar, für den keine Hochschulbildung erforderlich ist, wenn nur dem Betroffenen mit dem Studium gedient sei. Also Universitätsstudium als Lebenshilfe? Ein sehr schönes, sehr hohes Ziel - aber es geht - leider - an der Tatsache vorbei, daß wohl kaum einer der jungen Menschen, die in diesen Wochen zum ersten Mal die Alma Mater betreten haben, sich mit dieser Lebenshilfe begnügen möchte, wenn er nach fünf oder mehr Jahren sein Ziel erreicht haben wird. Wenn schon nicht die pragmatisierte Staatsstellung in der Gehaltsklasse VIII, dann doch ein Posten in der Privatwirtschaft, der belohnt, daß man zehn Jahre länger als der Lehrling auf der Schulbank saß und solange nicht zum Verdienen gekommen ist.

Sicherlich werden in den kommenden Jahren viele Hochschulabsolventen in Tätigkeiten eindringen, die bisher von Maturanten ausgeübt wurden, weil es eben nicht genug Akademiker gab. Die „Akademisierung“ des öffentlichen Lebens ist ein Prozeß, der vordringt. Heute werden ja auch Hauptschüler vorausgesetzt, wo man sich noch vor 60 Jahren mit vier Klassen Volksschule zufriedengab. Und für „akademische“ Positionen genügt längst nicht mehr das, was man mit dem Diplom mitgebracht hat. Weiterbildung ist auch für den Hochschulabsolventen unerläßlich.

Das Grundrecht auf Bildung postuliert, daß jedem jungen Menschen die seinen Fähigkeiten und seinem Leistungswillen adäquate Bildung geboten werden sollte. Ihm steht die legitime Forderung der Gesellschaft gegenüber, daß der, dem es angeboten wird, mit dem Talent auch wuchere. Im Klartext: Förderung dem, der bereit ist, sich auch entsprechend anzustrengen, nicht aber dem, der mit dem Studium nur der Entscheidung über den künftigen Berufsweg aus dem Weg gehen will.

Voraussetzung dafür aber müßte sein, daß ihm auch bereits in der Mittelschule die Möglichkeit geboten wird, sich über den ganzen Fächerkanon des Bildungswesens - und über die damit verbundenen Berufschancen zu informieren. Bei allen Schwierigkeiten der Vorausschau - gerade hier müßten doch die Statistiker einen Weg finden, nicht nur über den Daumen zu peilen, sondern näher an die wahrscheinliche Marke heranzukommen, als dies heute der Fall ist

An der Universität muß - ein Numerus clausus soll ausgeschlossen bleiben - die Scheidung der Geister im Anfangsstadium erfolgen. Das ist schon weitgehend der Fall. Neue postsekundäre Ausbildungsmöglichkeiten sollten attraktive Berufe erschließen -ohne daß nun hier Zulassungsbeschränkungen trotz vorhandenen Bedarfs eingeführt werden dürften. Wie bei bestimmten Gesundheitsberufen in Wien.

Wieweit mit neuen Formen des Hochschulstudiums, einem Blocksystem, Kurzstudien, der „recurrent education“ Abhilfe geschaffen werden kann, müßte sehr intensiv beraten und diskutiert werden - sicherlich liegen hier noch manche Möglichkeiten, ohne daß von einer Generalisierung Wunder erwartet werden dürfen.

Daß etwas geschehen muß, bevor etwas passiert - darüber sind sich heute doch so ziemlich alle einig. Und das sollte eine gute Startbedingung sein.

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