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Akbars Reich der Toleranz

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Delhi: Hauptstadt eines Staatengebildes mit einer Hindu-Mehrheit von 82 Prozent und selber Stadt mit überwiegender Hindu-Mehrheit — und doch Stadt mit einem unverkennbar islamischen Gesicht. Die tiefe und irreversible islamische Prägung Delhis ist das, was hier am stärksten ins Auge fällt.

Indira Gandhi residiert in einem (von der britischen Kolonialmacht geerbten) Bauwerk, das so aussieht, als hätte jemand Bausteine aus zwei verschiedenen Baukästen genommen. Rund um eine Kuppel unverkennbar Londoner Herkunft die zierlichen Daohaufsätze aus dem Stilfundus indo-islamisoher Baukunst. Und auch die meisten Minister Indiras arbeiten unter den nach islamischen Vorbildern gestalteten Dachbekrönungen, durchschreiten auf dem Weg in ihre Arbeitszimmer nach islamischen Vorbildern gestaltete Tore. Delhi, die Kapitale des hinduistischen Indiens, ist äußerlich eine mohammedanische Stadt.

Und die Zeugnisse islamischer Architektur und islamischer Vergangenheit säumen die Straßen, die nach Osten, und die Straßen, die nach Westen führen, nach Agra, zum Tadsch MahaL. nach Fahtepur Sikri; am anderen Ende des 90-Millionen-Menschen-Staates Uttair Pradesh ist Indien dann freilich konzentriert indisch, wenn auch selbst hier, in jener Stadt, die Inder nur unter ihrem Namen Varanasi, Ausländer nur als , Banaras oder Benares kennen, islamisch durchsetzt.

Indiens islamische Architektur zählt zu den bedeutendsten Architekturen Asiens und der Welt. Indiens islamische Architektur ist zu einem kleinen Teil Vor-Mogul-Ar-chitektur, Afghanen-Architektur — zum überwiegenden Teil aber stammt sie aus der Mogul-Zeit. Indien verbrauchte viele Eroberer. Kaum eines der großen indischen Machtgebüde fiel direkt dem Ansturm des nächsten zum Opfer — meist waren sie längst degeneriert und verrottet, wenn sich aus dem Humus der schnell dahinwelkenden politischen Strukturen eine neue Dynastie erhob. (Was immer blieb, was alles überdauerte, waren die Kasten.) Indien hat, wie vorher die Maurya-Dynastie, deren größter Herrscher Ashoka nur noch in Museen und im Namen des größten Hotels von Delhi präsent ist, auch die erste Welle islamischer Eroberer verbraucht — die Afghanen-

Dynastie düngte den Boden für eine lange Reihe kurzlebiger islamischer Staatsgründungen, die in der stärksten und bedeutendsten, und auch dauerhaftesten, im Mogul-Reich, kulminiert. Indiens islamisches Gesicht ist das Gesicht der Mogul-Dynastie.

Ihr größter Herrscher, Akbar der Große, Sohn einer Radsohputen-prinzessin, verfolgte eine Politik der konsequenten religiösen Toleranz. In der Geisterstadt Fahtepur Sikri, eine Autostunde vom Tadsch Mahal entfernt, die Akbar aus dem Boden stampfte und nach einem Jahrzehnt wieder verfallen ließ, sieht man

heute noch den Saal, in dem die Vertreter der vier Religionen, des Islams, des Buddhismus, des Hinduismus und . des Christentums vor Akbar ihre Dispute abhielten.

Fahtepur Sikri, Akbars Geisterstadt, ist einer der stärksten Arohi-tektureindrücke, die Indien, das islamische Indien, Mogul-Indien, zu bieten hat. Akbar ist bei weitem die bedeutendste Persönlichkeit, die die Mogul-Dynastie hervorgebracht hat, und eine der überragenden Gestalten der indischen Geschichte. Sein Großvater Babur beginnt im frühen 16. Jahrhundert von Afghanistan aus mit der Eroberung Nordindiens, Baburs Sohn, Humayun, verliert das Erreichte, reißt es aber am Ende

seines Lebens von neuem und endgültig an sich. Sein Sohn Aktoar erweist sich in frühester Jugend als überragendes militärisches Talent und ist mit 10 Jahren bereits ein anerkannter und erfolgreicher Heerführer, sein Auftreten ist eine historische Sternstunde: Akbars Fähigkeiten als Staatsmann stehen seinem militärischen Können nicht nach, zudem ist er einer der seltenen Philosophen auf dem Thron. Wie lange vor ihm Echnaton, versuchte auch Akbar sich als Begründer einer neuen Religion, der Din-ilahi, deren Gottessymbol die Sonne ist. Din-ilahi ist eine alle anderen Religio-

nen einschließende und umfassende, aus der Sufi-Mystik entwickelte Religion der Toleranz.

Akbar war erst 14 Jahre alt, als sein Vater starb — trotzdem behauptete er sich gegen die Thronrivalen. Er wurde 63 Jahre alt und in seinem Mausoleum stehen in Seitenkapellen die Sarkophage seiner vier Frauen, die jede einem anderen Glaubensbekenntnis angehörten. Als Akbar geboren wurde, war Sikri nur ein Dorf — als er starb, war es wiederum nur ein Dorf, nun ein Dorf in der Nähe einer Geisterstadt, deren Paläste nur noch von Raubtieren und zweifelhaften Existenzen bewohnt wurden. Dazwischen war Sikri eine kurze Weile

lang eine der glänzendsten Städte Indiens.

Aktoar, so wird berichtet, war 27 Jahre alt und sehnte sich, nachdem alle seine Kinder bis dahin früh verstorben waren, sehr nach einem Sohn und Thronerben, als ihm in Sikri, wo eine Reihe sehr angesehener Kunsthandwerker daheim war, ein weiseir, alter Mann, dem allerlei wunderbare Fähigkeiten nachgesagt wurden, prophezeite, wenn er seine Hindu-Frau in Sikri wohnen lasse, werde hier seine Sehnsucht in Erfüllung gehen. Als Jodh Bai tatsächlich kurz darauf schwanger wurde, baute Akbar in der Umgebung von Sikri für sie einen Palast. Nach der Geburt des Knaben Selim kannte Akbars Freude keine Grenzen: Riesige Beträge wurden für wohltätige Zwecke ausgegeben, alle Gefangenen freigelassen und Akbar beschloß, Fahtepur

Sikri zu seiner Hauptstadt zu machen.

Der neue Herrschersitz wurde U574 vollendet — im selben Jahr, in dem auch das Fort von Agra fertiggestellt wurde. Ein zeitgenössischer Reisender aus England berichtet, Fahtepur Sikri sei größer als Agra, wo aber die Häuser sorgfältiger gebaut und auch die Straßen besser seien. Aktoar soll in den beiden auch nach damaligen Begriffen benachbarten Städten 100 Elefanten und 30.000 Pferde sowie 800 Konkubinen gehalten haben, und der Weg von Agra nach Fahtepur Sikri war eine einzige Basarstraße, auf der Waren aller Art angeboten wur-

den und zahlreiche Menschen in mit Seide geschmückten, von Rindern gezogenen Karren unterwegs waren.

Akbar blieb aber kaum zwölf Jahre in Fahtepur Sikri, und dafür, daß er die kaum fertiggestellte Hauptstadt so bald wieder verließ, sollen zwei Gründe ausschlaggebend gewesen sein: einerseits der Mangel genügender Mengen Trinkwasser von einwandfreier Qualität für eine so große Zahl von Menschen, anderseits die politische Notwendigkeit, nach Labore zu übersiedeln. Akbar kehrte erst 1600 zurück — nach Agra, aber nioht mehr nach Fahtepur Sikri. Raubtiere, lichtscheue Elemente und Fledermäuse nahmen Besitz von der Geisterstadt, die nur noch ein einzigesmal aus ihrem Schlummer gerissen wurde: 1719 hielt Mohammed Shah demonstrativ hier für eine kurze Weile Hof.

Das Schicksal der Verlassenheit

ersparte Fahtepur Sikri sowohl die Zerstörung infolge kriegerischer Ereignisse als auch die Zerstörung durch das Leben. Fahtepur Sikri ist dabei alles andere als eine Ruinenstadt, sondern in seiner steinernen Substanz hervorragend erhalten und ein großartiges Zeugnis für die Profanfoaukunst der Mogul-Epoche. Als solches ist Fahtepur Sikri umso bedeutender, als von der Palast-arohitektur der Moguln wenig erhalten ist (vor allem die Forts von Delhi und Agra). Ansonsten ist die erhaltene islamische Architektur der Moguln, vor allem aber der VorMogul-Epoche, ein Reich der Toten: Die Eroberer haben die Profanbauten zerstört, ließen die ungezählten Mausoleen aber unberührt. Nirgends sonst auf indischem Boden gibt es ein so komplexes, umfangreiches, gut erhaltenes Palastgebilde aus Indiens mohammedanischer Vergangenheit.

Fahtepur Sikri wurde zum Großteil aus rotem Stein errichtet, wobei hier die Nachbildung hölzerner Konstruktionselemente in Stein, die Ableitung der Steindekors aus dem Holzbau, einen ihrer Höhepunkte erlebte. Fahtepur Sikri war die Hauptstadt eines auf religiöser Toleranz beruhenden Reiches. Das Reich Abkars, dessen Vorfahren aus der Mongolei aufgebrochen waren, um Indien zu erobern, bestand immerhin etwas länger als das des anderen Mongolenkaisers, der ein Humanist und Weiser war, nämlich des Kublai Khan. Dem milden Kufolai Khan folgte schon in nächster Generation der Despot. Akbars Reich fiel erst der Bauleidenschaft und dem Kriegspech seines Enkels Schahdschahan zum Opfer, der der Welt immerhin das Tadsch Mahal schenkte. In Akbars strenggläubigem Urenkel Aurangseb aber triumphierte äußerste Grausamkeit über Akbars äußerste Milde. Aurangseb besiegte seinen hindufreundlichen Bruder, führte die Kopfsteuer der „Ungläubigen“, die Akbar abgeschafft hatte, wieder ein, schloß die Hindus vom Schulbesuch aus, zerstörte die Tempel und ließ den Führer der Sikhs hinrichten. Ein Stirnrunzeln Aurangsebs bedeutete den Tod des Bittstellers. Das Ergebnis hieß Widerstand gegen den Großmogul und Ende des Mogul-reiches; dessen Zukunft war nur noch ein Vegetieren.

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