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Akkord in Kuba

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Eineinhalb Dekaden lang lebte Kuba abgeschnürt von seiner karibischen Nachbarschaft. Teils sorgte der nordamerikanische Boykott gegen die Zuk-kerinsel dafür, teils war die Ursache selbstauferlegte Enthaltung vom karibischen Raum, um mit Lateinamerika langsam wieder ins Gespräch kommen zu können.

Erst seit Beginn dieses Jahres läßt sich wieder von einer direkten Mittelamerika-Karibik-Politik der kubanischen Führung sprechen. Dabei geht es - aus der Sicht Havannas - nicht sosehr um das „reformistische” Nikaragua, sondern um die Revolutionen in El Salvador und auf der winzigen Karibikinsel Grenada. Dort regiert seit März 1979 mit energischer Hand der junge Maurice Bishop, der Black Power mit Sozialismus mischt.

Allerdings: Das Afrika-Abenteuer (seit 1975 in Angola, jetzt auch in Äthiopien) hat Kubas Kräfte gebunden; parallel dazu eine weitere außenpolitische Achse, diesmal für die engere Nachbarschaft, zu schmieden, geht fast über das Vermögen der gar nicht so großen Zuk-kerinsel mit ihren neun Millionen Einwohnern. Die Straffung der Staatswirtschaft gehört deshalb zu den dringendsten Aufgaben der kubanischen Innenpolitik.

Einmal mehr wird Kubas Bürgern das Äußerste abverlangt, was ihre Verdrossenheit - mit sehnsüchtigem Seitenblick zu den Brüdern in Miami -noch verstärkt. So muß sich die Castro-sche Verwaltung etwas einfallen lassen: Bezahlung nach Leistung.

Akkord und Leistungsorientierung rahmen denn auch das neueste Entlohnungsschema, das jüngst mit starker publizistischer Unterstützung in Kraft getreten ist. Auf diese Weise erreicht die Zuckerinsel die äußerste Bandbreite der materiellen Anreize, nachdem in den frühen sechziger Jahren -als es noch um den „neuen Menschen” ging - überspitzt mit Moralpredigten experimentiert worden ist.

Das neue System sieht für vier Basiskategorien der Beschäftigung jeweils einen Grundlohn vor. Dieser kann bei schwierigen Arbeitsbedingungen, bei besonderen Leistungen und für Akkord aufgestockt werden.

In der untersten Kategorie - manuelle Arbeit - liegt der Grundlohn um die hundert Pesos (ein kubanischer Peso sind neun Schilling); Staatsbürokratie und Dienstleistungen fallen in die zweite Kategorie, die etwas besser bezahlt ist; der dritten, dem technischen Bereich, pendelt der Grundlohn bereits um 300 Pesos; Kategorie vier umfaßt die Führungspositionen mit immerhin 400 bis 500 Pesos.

Die Botschaft ist nicht überhörbar: wer in Kuba etwas leistet, bringt es zu was (freilich unter der Zusatzbedingung der „revolutionären Gesinnung”)!

Das neue Lohnschema rundet die Wirtschaftsreformen der vergangenen eineinhalb Jahre ab. Deren Kernelement, der „cäleulo econömico”, verpflichtet die Staatsbetriebe auf Effizienz, Leistung und Profitwirtschaft.

Manchmal scheint auch den kubanischen Wirtschaftstheoretikern angesichts des bedingungslosen Leistungsund Akkordschemas nicht ganz wohl zumute zu sein. Pressediskussionen zeigen, daß sie Zeit und Energie aufwenden, um den Unterschied zwischen „kapitalistischer Ausbeutung” und „sozialistischem Akkord” zu verdeutlichen.

„Im Sozialismus”, schreibt Roberto Alvarez Quinones im Regierungsblatt „Granna”, sei „die Arbeitskraft keine Ware mehr, denn die Arbeiter sind ja Eigentümer der Produktionsmittel, was ausschließt, daß sie sich an sich selbst verkaufen.”

Offensichtlich gibt es darob bei nicht wenigen kubanischen Bürgern Zweifel: weswegen sie Floridas Küste überschwemmen.

Kubas Führung löst auch diesen Widerspruch, indem sie die solchen Akkordzwang abgeneigten Abwanderer als „Los Lumpens” (eine Verballhornung von „Lumpenproletariat”, das Karl Marx geprägt hat) beschimpft, gegen sie zu Demonstrationen vor der US-Botschaft in Havanna animiert und achselzuckend zur Tagesordnung übergeht.

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