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Aktion Neuer Eifer

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Bei der Generalaudienz am 9. Mai hat Papst Paul VI. gesagt: „Wir möchten Ihnen heute eine Mitteilung machen von der wir glauben, daß sie für das“! geistliche Leben'der Kirche von Bedeutung ist. Es ist die folgende: Nach Gebet und reiflicher Überlegung haben Wir beschlossen, entsprechend dem von Unserem Vorgänger Paul II. durch die Päpstliche Bulle .Ineffabilis Providentia' vom 17. April 1470 festgesetzten Zeitabschnitt von 25 Jahren im kommenden Jahr 1975 ein Heiliges Jahr zu feiern.“ Der Heilige Vater weist darauf hin, daß im Heiligen Jahr auch die biblische Tradition des Alten Testaments aufgenommen wird, die Tradition des „Jubel“-Jah-res, das mit einer Wiederherstellung der ursprünglichen Verteilung des ländlichen Besitzes, mit dem Erlaß der anstehenden Schulden und der Befreiung der jüdischen Sklaven verbunden war.Gewiß kann es heute nicht mehr um den Erlaß materieller Schulden oder um Sklavenbefreiung gehen. Ebenso wichtig aber ist nach wie vor die Vergebung unserer Schuld vor Gott und die Erneuerung unseres Lebens vor ihm. So betont der Papst, daß die christliche Feier des Heiligen Jahres immer unter dem Gedanken der Buße und der Bußwallfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus gestanden hat.

Die Ankündigung hat manchen überascht. In unserer schnellebigen Zeit ist die Feier des letzten Heiligen Jahres im Jahre 1950 weithin in Vergessenheit geraten, und nicht nur das. Tradition ist nicht ohne weiteres gefragt und hat sich zu legitimieren vor dem Heute und dem Morgen. Ja, wir müssen auf manchen Gebieten von einem Traditionsbruch sprechen, der bis in unsere Familien geht, wo Väter und Mütter sich oft verzweifelt fragen, wie es kommt, daß ihre Kinder, die sie doch im Glauben der Väter und in ihrem eigenen Glauben erzogen haben, ganz andere Wege gehen.

Und wie ist es mit den Traditionen und mit dem Halten von Traditionen in unserer Kirche? In unserer — wie gesagt — so schnellebigen und hektischen Zeit wird nicht nur gefragt: Wer weiß das noch? — sondern auch: Wer will das noch, „es so machen wie früher“? Tradition steht weithin in einem grundsätzlichen Verdacht, überaltert, unmodern, kraftlos zu sein. Tradition ist nicht „in“. Und in diese Situation hinein kommt die Ankündigung des Heiligen Jahres. Wenn es doch einen anderen Namen hätte, mag mancher denken. Und dann etwas so typisch Katholisches! Müßte es nicht mehr ökumenische Offenheit atmen?

In der erwähnten Ankündigung bemerkt der Heilige Vater, daß er sich selber gefragt habe, ob eine solche Tradition es verdiene, in unserer Zeit, „die von den vergangenen Zeiten so sehr verschieden ist und geprägt wird einerseits durch den vom letzten Konzil in das kirchliche Leben eingeführten religiösen Stil und anderseits von der Gleichgültigkeit weiter Teile der modernen Welt gegenüber rituellen Ausdrucksformen vergangener Jahrhunderte“, aufrechterhalten zu Vierden.

Papst Paul VI. ist viel zu sehr ein Mensch unseres Zeitalters, als daß er nicht die Spannung empfände, die zwischen der Tradition des Heiligen Jahres und der Traditionsfremdheit und inneren Verweltlichung unserer Zeit liegt.

Trotzdem hat er das Heilige Jahr angekündigt, und er Hat sich seitdem mindestens ein Dutzend Mal dazu geäußert, am häufigsten in den wöchentlichen Generalaudienzen. Am 7. Juni empfing er das unter Leitung von Maximilian Kardinal von Fürstenberg stehende Zentralkomitee für das Heilige Jahr. In seiner Ansprache machte er, immer wieder vom Manuskript aufblickend und abweichend, mit großer Eindringlichkeit deutlich, daß das Heilige Jahr eine Zeit zur Heilung sein müsse, daß es helfen solle, die vom II. Vatikanischen Konzil gegebenen Impulse für die Erneuerung des Lebens der Kirche in das Leben der einzelnen Christen und der ganzen Kirche hineinzutragen.

In der Tat, das Konzil und die von ihm erstrebte Erneuerung der Kirche haben Papst Paul VI. offenbar von Anfang an im Hinblick auf die Thematik des Heiligen Jahres bestimmt. 1975 sind zehn Jahre seit Ende des II. Vatikanischen Konzils vergangen. Papst Johannes XXIII. hatte von ihm ein neues Pfingsten erwartet. Bis heute ist dieses Wort unvergessen. Aber das, was es meinte, wartet noch auf seine Vollendung. Zehn Jahre nach Abschluß des Konzils spüren wir und spürt vor allem der Heilige Vater, daß die Erneuerung bei allen guten Ansätzen weithin noch nicht gelungen ist, daß sie oft einseitig in äußeren Formen gesucht wurde und in äußeren Reformen steckengeblieben ist. Die große Aufgabe steht auch heute noch vor uns, die religiösen und pastoralen Impulse des Konzils zu übersetzen und einzuüben in das Leben der ganzen Kirche.

Wie oft hat gerade Papst Paul VI. beschwörend seine Stimme erhoben und zur Umkehr und Einkehr gemahnt angesichts der zunehmenden Erschütterung nicht nur unserer christlichen Glaubensüberzeugungen, sondern auch der Grundlagen unseres menschlichen Lebens! Immer wieder machte er aufmerksam auf die inneren Zusammenhänge zwischen der religiösen Verirrung und den Zusammenbrüchen der sittlichen Wertvorstellungen, so erwartet er vom Heiligen Jahr das, was er in der Generalaudienz vom 26. September „eine Zeit der Gnade für die Menschen, für die Kirche, für die Welt“ genannt hat. Freilich fährt er fort: „Es ist eine Möglichkeit, ein Wunsch, eine Hoffnung, deren Erfüllung, eben wegen ihres übernatürlichen Charakters, unsere Kraft übersteigt ... Unser kraftloses Wollen vermag das nicht. Die Wirklichkeit selbst, dieses neue Pfingsten, das in die menschlichen Geschicke eintritt, mag vielleicht unseren leiblichen Augen verborgen bleiben. Aber es kann aus vielen einleuchtenden Gründen, wir wiederholen es, für unsere Erfahrung zu einem entscheidenden menschlich-göttlichen Ereignis werden.“

Immer hat das Heilige Jahr auch etwas mit Rom zu tun gehabt, mit den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus, mit der Apostolizität der Kirche also und mit dem Petrusamt sowie mit dem lebenden Petrus als dem Felsen, auf den der Herr seine Kirche gebaut hat, dem sichtbaren Garant der Einheit der Kirche. Das Heilige Jahr soll zwar schon im Jahre 1974 in den einzelnen Diözesen begonnen und vorbereitet werden. In der Pfingstnovene wird die Erneuerung aus der Kraft des Heiligen Geistes ein besonderes Anliegen aller unserer Gemeinden sein. Wallfahrten und besondere Gottesdienste werden in den Bischofskirchen dieses Anliegen weiterführen. Aber der Höhepunkt des Heiligen Jahres wird selbstverständlich im Jahre 1975 in Rom gefeiert. Wie seit dem Jahre 1500 üblich, werden die sogenannten Heiligen Pforten der vier großen Basiliken (also von St. Peter, von St. Paul vor den Mauern, von St. Johann im Lateran und von Santa Maria Maggiore) geöffnet. Die Öffnung dieser sonst zugemauerten Türen ist Sinnbild und Hinweis auf die eigentliche Aufgabe des Heiligen Jahres, die Öffnung der Herzen, die religiöse Erneuerung und den dadurch erleichterten Zugang zum göttlichen Erbarmen.

Viele Tausende aus aller Welt werden 1975 zu den Gräbern der Apostel pilgern und dem lebenden Petrus in Papst Paul VI. begegnen. Allen Rom-Pilgern wird es hilfreich sein, zu erfahren, daß es dieses Petrusam't gibt, daß es im Bischof von Rom weiterlebt und daß wir in ihm und seinem Amt den Auftrag und die Verheißung haben: „Du aber stärke seine Brüder“ (Lk 22, 32) und „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben“ (Mt 16, 19).

Die unmittelbare Erfahrung des Petrusamtes und die Begegnung mit seinem lebendigen Träger wird keineswegs unserem ökumenischen Mühen hinderlich sein, im' Gegenteil: Alle Bemühung um die Einheit der Kirche wird nicht im Petrusamt und am lebenden Petrus vorbeikommen. Der Dienst des Petrus ist gerade ein Dienst an der Einheit. Schon in der Ankündigung des Heiligen Jahres hat Papst Paul VI. darauf hingewiesen, daß die Wiederversöhnung sich auch im Bereich des Ökumenismus vollziehen

Die Pilgerfahrten nach Rom werden es in unserer Zeit des perfekten

und weltweiten Tourismus nicht leicht haben, sich davon zu unterscheiden. Ein Arbeitskreis „Heiliges Jahr“ wird sich besonders darum mühen, daß die Pilgerfahrten ein wirklich geistliches Ereignis werden.

Ist das nicht eine zu hoch gesteckte Erwartung?

In der bereits vorher zitierten Generalaudienz vom 26. September 1973 hat der Heilige Vater, als er betonte, daß in der Heilsökonomie stets eine entsprechende Vorbereitung erforderlich sei, auch gesagt: „Aber es scheint uns keine Täuschung zu sein, auch in den Geschehnissen unserer Zeit manche aufregenden Spuren zu entdecken.“

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