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Alarm nach Sperrstunde

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Erst nach der parlamentarischen Sperrstunde für die große Sommerpause waren Bundeskanzler Fred Sinowatz und sein Kompagnon Norbert Steger bereit, einen Zipfel des Geheimnisses der Budgetmisere zu lüften: Nicht 74 Milliarden Schilling werde das Budgetdefizit 1983 betragen, sondern rund 95 Milliarden Schilling — wenn alles gutgeht, denn im Finanzministerium hält man auch ein Defizit von über hundert Milliarden Schilling für möglich. Sollte nicht rasch, spätestens bis zum kommenden Frühherbst, etwas geschehen, so droht für das Jahr 1984 ein Abgang von rund 130 Milliarden Schilling.

Finanzminister Herbert Saldier wohnte dieser Präsentation des finanziellen Scherbenhaufens der sozialistischen Regierung nicht bei. Er sitzt, vermuten einige, schon im Austragstüberl dieser Regierung.

Trotzdem will die unikolore parlamentarische Opposition den Finanzminister und seine Regierung noch ein wenig zwicken. Für den 22. Juli hat sie eine Sondersitzung des Parlaments erwirkt, bei der die budgetäre Katastrophenlage ebenso wie die von der Regierung geplanten Belastungen diskutiert werden sollen. Am Ende dieser parlamentarischen Sondersitzung dürfte ein Mißtrauensantrag gegen den unglücklichen Finanzminister stehen.

Mit der politischen Opferung eines erfolglosen Finanzministers lassen sich freilich die Budgetprobleme nicht lösen. Die Schwierigkeiten im Staatshaushalt sind ja auch nicht erst in den letzten zwei Jahren, also mit der Übersiedlung Salchers in das Finanzministerium, entstanden.

Die Wurzeln der finanziellen Notsituation der Republik reichen bis in die frühen siebziger Jahre zurück. Damals glaubte die Regierung, Konjunktur und Wachstum total zu beherrschen und verfiel in einen Ausgabenrausch (Gratisschulbuch, Nulltarif für Schüler auf öffentlichen Verkehrsmitteln, Heirats- und Geburtenprämien, Mammutprojekte …).

Der ölschock 1973 und der erste konjunkturelle Einbruch im Jahr 1975 führten indes zu keinem Katzenjammer und zu keiner Kursänderung, sondern zu dem Irrglauben, daß sich die konjunkturellen Gewitter recht bald wieder verziehen würden. Auch der damalige Finanzminister Hannes Androsch gab sich dieser Illusion hin.

Um ein hohes Maß an Vollbeschäftigung zu halten, riskierte die Regierung hohe und immer höhere Budgetausgaben und -de- fizite für kostspielige Projekte mit hohen Folgekosten und für die Abdeckung der wachsenden Defizite bei den Bundesbahnen und in Bereichen der verstaatlichten Industrie. Und immer noch hoffte die Regierung auf ein Wunder, auf einen Konjunkturfrühling.

Der damalige Finanzminister und Vizekanzler Androsch hat als erster in der sozialistischen Regierung diese Fehlrechnung erkannt und - Anfang 1978 - auch öffentlich eingestanden. Nicht AKH und „Consultatio“, sondern Androschs Warnungen vor einem öffentlichen Finanzkollaps führten schließlich auch zum Ausscheiden Androschs aus der Regierung im Jahr 1981.

Im Grunde genommen bestand Finanzminister Salchers Aufgabe in den letzten dreißig Monaten darin, die sich abzeichnende Budgetkatastrophe mit sonnigem Optimismus still zu verwalten.

Denn die Budgetkatastrophe ist präzise vorhergesagt worden. In der letzten Budgetvorschau des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen wird für 1983 mit einem Defizit von 75 Milliarden Schilling kalkuliert; nun werden es an die 100.

Kreisky mußte die dramatische Budgetlage bekannt gewesen sein. Aber der von ihm geplante „Schweiß und Tränen“-Wahlkampf wurde von seiner Partei nicht akzeptiert. Nachfolger Sinowatz bleibt nach der Wahl die Qual.

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