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Alarmsignale für Mitterrand

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Sechs Monate nach Amtsantritt der Linksregierung rumort es bereits in der französischen Arbeiterschaft. Und selbst die Gewerkschaften gehen auf Distanz zu den neuen Machthabern in Paris.

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Sechs Monate nach Amtsantritt der Linksregierung rumort es bereits in der französischen Arbeiterschaft. Und selbst die Gewerkschaften gehen auf Distanz zu den neuen Machthabern in Paris.

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Verantwortlich für dieses ungünstige Klima ist der in der Politik häufige, vielleicht unvermeidbare Widerspruch zwischen den Erwartungen und der Realität. Die Wähler Mitterrands erhofften sich eine sofortige und fühlbare Besserung ihres persönlichen Schicksals, wobei sie den in den letzten dreißig Jahren erreichten Lebensstandard erheblich unterschätzten.

Ihnen erscheint es normal, daß die im Wahlkampf versprochene

Verkürzung der wöchentlichen Arbeitsdauer auf 35 Stunden und die Herabsetzung des Pensionierungsalters auf 60 Jahre ohne Verringerung des Einkommens sofort verwirklicht werden. Eine recht intensive Propaganda förderte auch die primitive Annahme, daß es in der heutigen Gesellschaft noch möglich ist, das Schicksal der sogenannten Armen automatisch zu verbessern, indem man den sogenannten Reichen ihren Überfluß wegnimmt.

Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtfertigkeit die Verantwortlichen der Linksparteien die soziale Struktur Frankreichs übersehen und nicht zur Kenntnis nehmen wollen, daß sie es mit einer breiten kleinbürgerlichen Schicht zu tun haben und die voraussichtlich 100.000 französischen Haushalte, die die neue Vermögenssteuer zu bezahlen haben werden, eine sozial belanglose Minderheit sind.

An die Stelle des erhofften sozialistischen Frühlings tritt jedenfalls ein düsterer Herbst mit sinkender Kaufkraft und weiterhin steigender Arbeitslosigkeit.

Zur Sanierung der Sozialversicherung mußte gerade die Kaufkraft einer breiten Masse um ein Prozent gekürzt werden. Die von der Regierung versuchte Ankurbelung der Konjunktur über den

Verbrauch brachte zwar bereits der Staatskasse ein hohes Defizit, aber sonst nur ein bescheidenes Ergebnis.

Jetzt beobachtet man auf seiten der Wirtschaft eine Vertrauenskrise, die die Investitionen stark abbremst, während im Gewerkschaftslager Zweifel aufkommen an der Glaubwürdigkeit und vor allem an der Wirksamkeit der Regierungspolitik. Die Frage ist nur, ob es andere Lösungen gibt, die sich mit der unentbehrlichen Dosis von Ideologie einer Linksregierung vereinbaren lassen.

Die beiden Linksgewerkschaften, die kommunistische CGT und die als prosozialistisch zu bezeichnende CFDT, fühlten sich zunächst mit der sozialistischkommunistischen Regierungsko- altion verbunden. Daher hielten sie es für ihre Pflicht, nichts zu unternehmen, was das von ihr in die Wege geleitete Experiment gefährden könnte. Beide Verbände müssen aber auf die Stimmung ihrer Mitglieder Rücksicht nehmen — dies umso mehr, als sie schon lange unter einem bedenklichen Mitgliederschwund leiden und der Sieg Mitterrands ihnen

erstaunlicherweise keinen Auftrieb brachte.

Außerdem stehen sie zueinander in scharfer Konkurrenz. Die Gegensätze sind derartig stark geworden, daß niemand mehr ernstlich an die vor einigen Jahren üblich gewesene Aktionsgemeinschaft denkt. Die CFDT erkannte sehr schnell, daß ihre Regierungstreue für sie bedenkliche Folgen haben könnte. Ihr Generalsekretär gab daher eine Reihe warnender Erklärungen ab, während sein Apparat verschiedene Streikbewegungen aktiv unterstützte, schon um das Feld nicht der kommunistischen CGT zu überlassen.

Die Entwicklung hängt nunmehr vorwiegend vom Verhalten der Kommunisten ab. Bereits unmittelbar nach der Wahl Mitterrands nahm ihre Gewerkschaft eine weit größere Bewegungsfreiheit in Anspruch als die politisch gebundene Partei. Bei der gerade erfolgten Sanierung der Sozialversicherung mußte sich die Partei nach einigen Protesten der Regierungssolidarität unterwerfen, die Gewerkschaft ging dagegen zum ersten Mal bis an die Grenze der offenen Opposition.

In Anbetracht der voraussichtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist mit einer Verschärfung ihrer Taktik zu rechnen. Die CFDT muß sich dieser Tendenz anpassen, wenn sie ihren Einfluß in der Arbeiterschaft nicht ein- büssen will.

In einer Sonderstellung befindet sich die gemäßigte Gewerkschaft „Force Ouvriėre“, deren Mitglieder traditionell mehrheitlich zu den sozialistischen Wählern gehören, die jedoch auf ihrer politischen Unabhängigkeit besteht und gern ihr wirtschaftspolitisches Verantwortungsbewußtsein herausstellt. Sie bekennt sich offen zu einem revisionistischen Kurs und forderte nie eine Veränderung der Gesellschaftsstruktur.

Als einzigen Verband gelang fs ihr, in den letzten Jahren ihre Mitgliederzahl regelmäßig zu steigern. Sie hat nie vergessen, daß sie aus einer Spaltung der von den Kommunisten beherrschten Einheitsgewerkschaft hervorgegangen ist. Daher lehnte sie sofort entschieden die kommunistische Regierungsbeteiligung ab und kündigte gerade für Mitte Jänner die Veröffentlichung eines Dokuments über die systematische Unterwanderung der Verwaltung durch die kommunistische Partei an.

„Force Ouvriėre“ ist einerseits gewillt, einen gemäßigten Wirtschafts- und Sozialkurs der Regierung zu unterstützen, andererseits aber äußerst kritisch, nicht nur gegenüber den Kommunisten, sondern auch gegenüber dem linken Flügel der Sozialisten.

Man gelangt so zu dem Schluß, daß sich augenblicklich die französische Linksregierung nur noch sehr bedingt auf die Gewerkschaften zu stützen vermag und sich voraussichtlich in den kommenden Monaten die sozialen Spannungen weiter verschärfen werden, so daß der Austritt der kommunistischen Minister aus der Regierung in Reichweite rückt.

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