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Albanien: Wo sogar die Toten schreien

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In einem Kommentar vor rund zwei Jahren hat die FURCHE Albanien als „neuen Bruder für Europa" begrüßt. Mittlerweile ist Albanien KSZE-Mitglied, die Kommunisten sind zwar mit Zweidrittelmehrheit nach ersten demokratischen Wahlen an der Macht, ein Machtwechsel scheint aber für die Zeit nach den Parlamentswahlen am 22. März nicht ausgeschlossen.

Enver Hodschas Schatten fällt zwar nicht mehr auf das Land der Skipetaren, längst sind seine Statuen gestürzt, was das Land aber dringend braucht, wirtschaftliche Konsolidierung, blieb ihm bisher versagt. Die auch von Wirtschaftsfachleuten oft als Paradiesesidylle beschriebene wirtschaftliche Situation Albaniens während der Pakt-Jahre mit China und danach als abgeschlossener, in sich gekehrter, isolierter Staat, in dem alle zufrieden sein mußten, wurde mit einemmal aufgebrochen. Die staatlich geregelte Binnenwirtschaft wurde durch keine außenwirtschaftlich bestimmte Marktwirtschaft abgelöst. Albanien bleibt das Armenhaus Europas.

Der „Bruder Europas" findet keine Arbeit mehr, die Elite geht ins Ausland, das tägliche Elend hält sich der westliche Bruder mit Gewalt vom Leibe - man denke nur an die Schande von Bari, als vor einem Jahr Italien beziehungsweise Westeuropa mit Tausenden Albanerflüchtlingen nicht fertig wurden.

Nach wie vor ist auch für prominente Politiker des Westens Albanien ein weißer Fleck. An dieser Einschätzung - vor zirka einem Jahr in der FURCHE zu lesen - hat sich bis heute kaum etwas geändert. Deshalb steht hilfloses Erschrecken jenen Aufbrüchen von Jugendlichen in Albanien gegenüber, die Gewalt und Tod im Gefolge haben, deren Wurzeln in bitterster Armut und Hunger liegen.

Anders als in der ehemaligen Sowjetunion, wo der Schwarzmarkt offenbar funktioniert, fehlt Albanien das Allernotwendigste. Tausende Tonnen Lebensmittel aus Italien, Hilfstransporte aus Österreich sind Tropfen auf dem heißen Stein. Erst dieser Tage mußte eine Delegation des kirchlichen Europäischen Hilfsfonds aus Wien, mit Gutem in Albanien unterwegs, die Auswirkungen der Hungersituation in Albanien erfahren. Mit Mühe konnte sich der Transport aus einer wütenden Menge in Shkodra retten.

Leider sprechen für Albanien die vier Toten der letzten Tage der Plünderung mehr als die eigenen Politiker, die mit dem Wahlkampf beschäftigt sind. Auch die Opposition - beispielsweise die Demokratische Partei eines Salih Berisha - hat kein Rezept zur Lösung der wirtschaftlichen und damit sozialen Problemeiles Balkanlandes.

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