6958746-1984_40_07.jpg
Digital In Arbeit

Albanische Impressionen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Volksrepublik Albanien wird bei uns mit den Etiketten „stalinistisch" und „atheistisch" gebrandmarkt. Ihre zu lange Isolierung hat ein Gutteil zu diesem Zerrbild beigetragen.

Hat man jetzt als Journalist endlich ein Visum erhalten, so wird man doch angenehm überrascht: Ein in jeder Hinsicht sauberes und ehrliches Land mit sympathischen Menschen; Verhältnisse wie bei uns in den frühen fünfziger Jahren, doch dafür Gemütlichkeit, Gelassenheit und keine Angst vor der Krise.

Schon am Flughafen Rinas geraten dabei die mitgebrachten Er-Wartungen vom stalinistischen Zwangsstaat Albanien ins Wanken: Kaum Polizisten und keine Hodscha-Bilder. Dafür umso mehr Palmen, Oleander und eine gemütliche Ankunftshalle im Wohnzimmerstil.

Hier kann man die Paßkontrolle im Sitzen beim ersten albanischen Wein oder .JConjak" erledigen und das Zollformular ausfüllen. Die Armbanduhr muß mit Marke und Nummer für die Wiederausfuhr registriert werden. In der gerade vierzig Jahre alt gewordenen Volksrepublik mit ihrem Programm des „eisernen Sparens" sind Uhren ein Luxusartikel.

Dafür ist der vorbildliche Gesundheitsdienst kostenlos, betragen die Wohnungsmieten nur einen Taglohn, kostet der Liter Benzin zwei Schilling und sind die

Steuern inzwischen ganz abgeschafft.

Der albanische Zöllner öffnet dann jeden Koffer. Zeitschriften mit Nacktfotos werden den Reisenden abgenommen. Auch nach religiösem Schrifttum wird gefahndet.

Albanien ist seit 1967 ein konsequent atheistischer Staat. Zuvor war Staats- und Parteichef Hodscha den Weg anderer Kommunisten mit Duldung einer beschränkten Kultfreiheit unter Bevorzugung der orthodoxen Landeskirche gegangen. Seit siebzehn Jahren ist nun aber jede öffentliche Religionsausübung verboten.

Albanien, das bei seiner Unabhängigkeit von der Türkei 1912 auf dem Nullpunkt beginnen mußte Und bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs unter der Herrschaft von König Ahmed Zogu und darauf der Italiener kaum Fortschritte aufzuweisen hatte, ist heute bis ins kleinste Dorf mit Strom versorgt.

Für eine Mindestzahl von acht Schülern wird eine Schule gebaut. Der einstige Analphabetismus ist heute genauso ausgerottet wie Malaria und Syphilis, die Volksseuchen, von denen die Lebenserwartung der Albaner auf 38 Jahre beschränkt worden war. „Albanien ist das einzige Land, dem der Kommunismus wirklich einen Fortschritt gebracht hat", bestätigt dann in der Hauptstadt ein westlicher Diplomat.

In Tirana begegnet man vorwiegend jungen Leuten. Fast die Hälfte der Bevölkerung, die bald drei Millionen erreicht haben wird, ist unter 25 Jahren alt. Früher mußte die albanische Jugend auswandern, wenn sie eine bessere Zukunft wollte. Das hat dazu geführt, daß noch jetzt mehr Albaner im Ausland als in der Heimat leben. Dazu kommen noch Albaner in jenen Gebieten in Kosovo, Mazedonien und Montenegro, die zu Jugoslawien gehören.

Das lange von seiner Führung hermetisch abgeschlossene Albanien wirbt neuestens bewußt um seine Emigranten in Italien, Frankreich, der Türkei, Ägypten und selbst den USA. Uberall in den Hotels und sehenswerten Museen von Tirana stößt man auf solche Gruppen.

Enver Hodscha scheint jetzt zur Uberzeugung gelangt zu sein, daß er sein Land als Modell herzeigen kann. Im Hintergrund der seit kurzem geradezu sprunghaft eingeleiteten Kontakte zu den europäischen Neutralen und der Dritten Welt, aber auch zur bayerischen CSU, steht aber auch der Bedarf an technischem Know-how und hochqualifizierten Produktionsmitteln.

Im Verlauf von Hodschas vierzigjähriger Amtszeit hatten diese zunächst die Jugoslawen, dann die Russen und bis vor wenigen Jahren die Chinesen geliefert.

Albaniens eigener Weg trennte sich von den Chinesen vor allem in der Einstellung zur Familie. Sie ist hier in Stadt und Land zumindest ebenso wichtig wie die Partei geblieben. Seit dem Bruch mit Peking macht sich auch das Bemühen um eine Synthese zwischen marxistisch-leninistischer Fortschrittsgläubigkeit und einem gesunden Traditionsbewußtsein bemerkbar.

Symbol dafür ist in den albanischen Bergen die Festung Kruja. Unter Führung der Nationalhelden Skanderbeg und Moissi Golem hat sie den Sultanen Murat und Mehmet fast ein Menschenalter Widerstand geleistet. Heute erhebt sich hier eine Gedenkstätte der „großen, albanischen Vergangenheit".

Auch Albaniens angeblich „kämpferischer" Atheismus ist heute mehr ein Laizismus im Sinne von Kemal Atatürk. Wie dieser ist Hodscha aus dem islamischen Kleinbürgertum hervorgegangen. Das berühmt-berüchtigte Atheismus-Museum in Shroda am Skutrarie-See hat seine Pforten schon seit längerer Zeit geschlossen. Offiziell heißt es: „Wegen Renovierung". Vielleicht hat es aber den Tübinger Theologen Hans Küng nicht verkraftet, dem dort nach seinen Schwierigkeiten mit Rom eine eigene Nische eingerichtet worden war.

In der Hafenstadt Dürres, wo sunnitischer Islam, die tolerante Mischreligion der Bektaschi-Derwische, Orthodoxie und Katholizismus früher alle vertreten waren, ist zunächst keine Spur von Religion mehr zu bemerken. Stolz erzählt der Reiseführer von seinen Tagen als Jungkommunist beim Sturm auf Moscheen und Kirchen.

Damals dürfte es wirklich hart auf hart gegangen sein. Die zur Bibliothek umgebaute Moschee auf dem Hauptplatz neben dem Moissi-Theater ist nicht mehr als solche zu erkennen. Hingegen haben an der Fetih-Moschee an den alten Stadtmauern Renovierungsarbeiten begonnen: als Kulturdenkmal natürlich und nicht als Gotteshaus.

Die früher verpönten Mischehen zwischen Muslimen und Christen haben seit 1967 kräftig zugenommen. Das dient nicht nur dem „Unglauben", sondern dem nationalen Zusammenwachsen.

Ob das Prinzip der Areligiosität Albanien auf die Dauer vor der heutigen Re-Islamisierung zu schützen vermag, bleibt noch abzuwarten. Hodschas unterschwelliges Vorbild Atatürk verliert in der Türkei immer mehr an Zugkraft. Der Staatschef mußte erst kürzlich persönlich gegen die Frauen von Kavaja in Mittelalbanien Stellung nehmen, bei denen der Schleier noch immer im Gebrauch beziehungsweise sogar wieder im Kommen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung