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Albion hat mit der Gewalt zu leben

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Nach dem Bombenattentat gegen ihre Regierung in Brighton weiß Margaret Thatcher bei der Bekämpfung des Terrors das ganze Land hinter sich. Bei den anderen Hauptproblemen wird freilich weiter gezankt.

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Nach dem Bombenattentat gegen ihre Regierung in Brighton weiß Margaret Thatcher bei der Bekämpfung des Terrors das ganze Land hinter sich. Bei den anderen Hauptproblemen wird freilich weiter gezankt.

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Der tosende Beifall für Premierministerin Margaret Thatcher am Schluß der Tory-Konfe-renz in Brighton kam aus vollem Herzen, der Dank des Landes gleichsam, von einem harten Geschick verschont worden zu sein und mit einem Schlage die gesamte politische Führung zu verlieren. Zwölf Stunden zuvor war im Grand Hotel die von IRA-Terroristen gelegte Bombe explodiert, ein Anschlag auf das Leben der Premierministerin und ihres Führungsteams, dem sie ohne Schaden entkommen war.

In der Bekämpfung des Terrors weiß Frau Thatcher das ganze Land hinter sich, das zweitemal unter ihrer Führung nach dem Feldzug in den Südatlantik und dem militärischen Sieg über Argentiniens Generäle. Das hat die Bombe der gemeinen Verbrecher zustandegebracht: Einigkeit dort, wo vorher Divergenz und Streit geherrscht hatte, speziell auf jenen beiden Gebieten, die Frau Thatcher sofort in ihrer Parteitagsrede anging — den Streik in den Kohlegruben und die Arbeitslosigkeit.

So verschieden wie die Rezepte zur Lösung ist der Stellenwert, der diesen beiden vordergründigen Problemen von den einzelnen Parteien zugewiesen wird.

Arthur Scargill, der Führer von Kohlearbeitern, ist der Held jener Partei, die sich mit der arbeitenden Klasse identifiziert. Für die Tories wiederum ist der Gewerkschafter Inbegriff des Bösen und Undemokratischen. Am Streik der Bergleute scheitert auch der Versuch von Labour, sich als die große Opposition gegen eine starke Tory-Regierung zu etablieren.

Eine klägliche Vorstellung der Labour Party in Blackpool beweist nur wieder einmal, daß Frau Thatcher in der britischen Politik allein auf weiter Flur steht — nicht unbedingt zum Guten eines gesunden Parlamentarismus. Auch die Mitte-Allianz mit vernünftigen politischen Richtlinien und ohne Mangel an tragenden Persönlichkeiten ist durch ein ungerechtes Wahlsystem zu einem Schattendasein verurteilt.

Die Arbeiterpartei konnte sich auf ihrer Konferenz nicht selbst überwinden und die Gewalt an den Streikpostenlinien verurteilen. Die Partei fand kein Wort des Tadels, daß Scargill seinen Mannen das elementare Recht der geheimen Abstimmung versagt, in dem viele Bergleute, vielleicht sogar die Mehrheit gegen den Ausstand stimmen könnte.

Zu Labours chronischem Hang zur Selbstzerstörung gehört der wirtschaftliche Wahnwitz, verlustreiche Gruben so lange offen zu halten, bis nur mehr Geröll und Morast geschürft werden kann. Nur in einem gelingt es Labour, Glaubwürdigkeit zu erregen: Für sie ist der Bergarbeiterstreik Ausdruck des Rechts auf Arbeit und Selbsthilfe von"Köhler-Gemeinschaften, im Arbeitsprozeß zu überleben.

Streikende Kohlearbeiter und Arbeitslose, sie scheinen andererseits meist nur nackte Zahlen in der monetarischen Rechnung der Konservativen zu sein. Die Volksmeinung wirft ihnen, den Tories, vor, sie kümmerten sich nicht um Arme und Brotlose, um die exi-stenziellen Anliegen von Streikenden. Ein Redner am Podium im Konferenzzentrum von Brighton warnt denn auch vor der Zeitbombe Arbeitslosigkeit, andere sehen sich veranlaßt, für mehr Menschlichkeit, für „Compassi-on", Mitgefühl zu plädieren.

Die sogenannten „Nassen", Kritiker Thatchers in der Parteiführung, sind fast völlig verstummt. Nur Energieminister Walker fordert, man sollte wohl den Druck auf die Inflation etwas nachlassen und dafür aktiv in den Arbeitsmarkt investieren. ,

Doch davon will die Regierungschefin nichts wissen, die Hoffnung wird allein auf eine expandierende Wirtschaft gelegt, die den Arbeitsmarkt entlasten kann. Alles weitere, wie Ausbildungsprogramme, Anreize zu wirtschaftlicher Selbständigkeit und Drang zu Bescheidenheit in der Entlohnung ist Zutat, nicht Substanz.

Was Thatcher auch immer beschließt, sie kann es durchführen. Eine überlegene Mehrheit im Parlament und die Unfähigkeit der politischen Gegenspieler, über den eigenen Schatten zu springen, befähigt die Premierministerin dazu. Der äußere Widerstand ist schwach und den inneren hat sie selbst zum Schweigen gebracht. Allerdings ist noch ungewiß, wann sie ihr Land aus dem sozialen Vakuum mit Arbeitslosigkeit, Gewalt und Kriminalität führt. Die Heerschau der Partei hat den Weg noch nicht gewiesen.

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