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Allah und die USA

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Pakistan macht der amerikanischen Afghanistan- Politik - sofern es sie überhaupt gibt - einen Strich durch die Rechnung. Das Sagen haben die Geheimdienste.

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Pakistan macht der amerikanischen Afghanistan- Politik - sofern es sie überhaupt gibt - einen Strich durch die Rechnung. Das Sagen haben die Geheimdienste.

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Gibt es eine amerikanische Afghanistan-Politik?“ wird in Washington neuerdings immer wieder gefragt. Vielleicht sollte man besser fragen, ob es überhaupt eine amerikanische Außenpolitik gibt. Das Dilemma ist nicht neu, doch rückt es wegen der Kontroverse um Afghanis tan wieder einmal ins Rampenlicht.

Die mit Afghanistan befaßten US- Politiker fühlen sich von den pakistanischen Verbündeten seit langem hintergangen und übervorteilt, weil diesen vornehmlich daran gelegen ist, in Kabul eine Regierung ihrer Wahl an die Macht zu bringen, das heißt ihren Günstlingen im afghanischen Widerstand zum Sieg zu verhelfen.

Eintracht und Demokratie in Afghanistan sind nicht das oberste Ziel der pakistanischen Militärs.

Ihnen geht es darum, den Paschtu- nen-Irredentismus früherer afghanischer Regierungen ein für allemal aus der Welt zu schaffen, indem der von Paschtimen besiedelte Südosten Afghanistans fest an Pakistan gebunden werden soll.

Solange der militärische Sicherheitsdienst ISI (Interservices Intelligence) mithalf, den Sowjets eine Niederlage beizufügen, drückte man in Washington ein Auge zu, wenngleich im State Department kaum jemand über die pakistanische Förderung der radikalen Islamisten unter den Afghanen begeistert war.

Nun hat sich der selbstherrliche ISI als unfähig erwiesen, den Mud- schahedin zur Einnahme irgendeiner der größeren Städte zu verhelfen. Im Gegenteil, pakistanisches Drängen auf den Kampf um die grenznahe Stadt Dschalalabad hat zu einer Schlappe für die Guerilla- Kämpfer geführt, die dabei höhere Verluste erhielten als je zuvor während des zehnjährigen Krieges.

In Washington ist man darüber erbost, daß sich die großsprecherischen Voraussagen Islamabads von einem Zusammenbruch des Kabu- ler Regimes innerhalb weniger Tage nach Abzug der Sowjettruppennicht erfüllt haben (FURCHE 41/1988). Die fanatischen Islamisten, die den Löwenanteil der über den ISI verteilten US-Waffenhilfe erhalten, sind weniger diszipliniert und kampfestüchtig als die unabhängigen Mudschahedin, moderaten Moslems und königstreuen Nationalisten, denen die Pakistaner nur wenig abgeben oder gar die Mittel gänzlich sperren.

Die radikalen “Fundamentalisten“ (Islamisten) um die kontroversen Führer Hikmatj ar und Sa j j af geben sich betont anti-amerikanisch und anti-demokratisch. Ein loser Zusammenschluß der wichtigsten Chefs der Mudschahedin im Inneren Afghanistans hat sich neuerdings deutlich von den im pakistanischen Solde stehenden Islamisten und der von ihnen gebildeten Übergangsregierung distanziert.

Für die USA ist dabei besonders ärgerlich, daß ihnen nun der Vorwurf gemacht wird, die unproportionale Aufrüstung der Extremisten sei von ihnen veranlaßt. Die Mehrheit der Mudschahedin scheint jedenfalls der Meinung zu sein, die Aufpäppelung des inzwischen weithin diskreditierten Islamistenchefs Hikmatjar gehe auf das Konto Washingtons, der ISI handle nur im Auftrag der USA.

Dieses Image hat einige verantwortliche Kreise in den Vereinigten Staaten in helle Aufregung versetzt und zu überdeutlichen Stellungnahmen nicht nur gegen Hikmatjar; sondern auch gegen dessen pakistanische Hintermänner bewegt. Seit Jahreswende erscheint in prominenten Blättern wie “New York Times“ und “Wall Street Journal“, “Washington Post“ und “Washington Times“ ein Beitrag nach dem anderen voll kritischer Stellungnahmen zumpakdstanischenHerumpfuschen in der Afghanistan-Politik.

Unmittelbar nach dem Flugzeugabsturz des Militärdiktators Zia ul- Haq im August 1988 hatte man geradezu frohlockend geäußert, die USA könnten nun eine ausgewogenere Verteilung der Waffen vornehmen, mit anderen Worten, künftig sollten die moderaten Nationalisten den Löwenanteil erhalten; die Entstellung des Kräfteverhältnisses im afghanischen Widerstand solle begradigt werden, um den wirklich repräsentativen Formationen den Weg zum Regierungsantritt zu ebnen. Dabei wurde wiederholt mit aller Schärfe zum Ausdruck gebracht, daß die Vereinigten Staaten die Waffenausteilung in die eigenen Hände nehmen müßten.

Bislang schien diese Forderung illusorisch angesichts der Machtfülle des ISI, der unter Führung von General Hamid Gul die eigentliche Nachfolge Zia ul-Haqs antrat. Der durch freie Wahlen zur Ministerpräsidentin avancierten Benazir Bhutto sind Außen- und Verteidigungspolitik erst einmal vorenthalten worden. Sie ist wenig mehr als eine schlecht geduldete Gallionsfigur.

Statt nach dem Tod des Militärdiktators einzulenken, wurde der ISI nur noch einseitiger in seiner Afghanistanpolitik. Die Wahl einer provisorischen Regierung der Mudschahedin in der pakistanischen Stadt Rawalpindi im Februar dieses Jahres war gänzlich von pakistanischen Offizieren manipuliert - zum lauten Verdruß vieler afghanischer Graubärte. Die jungen Frontkommandanten der Guerilla zogen vorzeitig wieder ab oder waren erst gar nicht erschienen.

Der ISI sperrte dann sogar einer der Islamistenfraktionen die Waffen, weil sie sich nicht botmäßig gezeigt hatte. Der stolze Mullah Junus Khalis, dessenPartisanenbe- sonders im Raum Kabul dominieren, mußte zu Kreuze kriechen, um wieder beliefert zu werden.

Erschwerend wirkt sich dabei aus, daß der ipi August letzten Jahres als Botschafter nach Islamabad entsandte Stardiplomat Oakley den Washingtoner Afghanistan-Planem einen Strich durch die Rechnung machte. Er scheint große Stücke auf den ISI zu halten und hat dabei die CIA auf seiner Seite. Aus der Sicht der CIA ist allein entscheidend, daß der ISI sein Soll nicht nur erfüllt, sondern darüber hinaus eine Glanzleistung vollbracht habe: Für die Sowjets hat sich Afghanistan nicht nur als unverdaulich erwiesen, sie mußten sich sogar zurückziehen.

Kritik am ISI bezeichnet man bei der CIA ärgerlich als Pakibashi (“Pakistaner versohlen“) - nach einem bei den rassistischen Skinheads in England gebräuchlichen Ausdruck.

Zwecks Ausgleichung der propakistanischen Rolle von Botschafter Oakley wurde im State Departement die Entsendung eines Sonderbeauftragten bei der Übergangsregierung der Mudschahedin beschlossen, ein Posten, den der China- Experte Peter Robertson antreten soll. Damit gäbe es dann in einem Staat (Pakistan) zwei amerikanische Botschafter; denn die provisorische Regierung der “Islamischen Allianz der Mudschahedin Afghanistans“ hat ja im Heimatland immer noch nicht Fuß fassen können. Also zwei US-Botschafter im selben Land, die eine einander entgegengesetzte Politik treiben sollen.

Die provisorische Regierung der afghanischen Exilparteien ist bisher nur von Saudi-Arabien und dessen Vasallenstaaten Bahrain und Sudan anerkannt worden. Die USA geben vor, mit der Anerkennung warten zu wollen, bis die Mudschahedin eine der Städte wie Kandahar oder Dschalalabad erobert und ihre Regierung dorthin verlegt hätten. Der pensionierte US-General Mataxis, ein Afghanistan-Spezialist der CIA, der im April die Schlacht um Dschalalabad aus nächster Nähe verfolgte, glaubt nicht, daß es 1989 noch zu einer einschneidenden Veränderung der militärischen Lage kommen werde.

Der wahre Grund für die Zurückhaltung Washingtons ist jedoch die Ernennung des extremistischen Hikmatjar zum Außenminister der Übergangsregierung. Seine ersten Auslandsreisen führten ihn in den Iran und nach Libyen. In früheren Jahren hat er seine Mudschahedin- Kollegen kritisiert, weil sie dem “Großen Satan“ im Weißen Haus ihre Aufwartung machten. Daß der Erzopportunnist Hikmatjar zur gleichen Zeit Franz Josef Strauss seine Aufwartung machte und über zwei Jahre hinweg von der Hanns- Seidel-Stiftung (CSU) ausgehalten wurde, war in Washington bislang nicht einmal registriert worden. Nun spürt man neben dem Schaden noch den Hohn.

Die amerikanische Afghanistan- Lobby zetert darüber, daß die Islamisten so undankbar seien, den Sieg ausschließlich für den Islam verbuchen zu wollen:’’Ohne unsere Stin- ger-Raketen, mit Allah allein, kann man keinen Krieg gewinnen.“

In Washington hat noch kaum jemand eine konkrete Vorstellung darüber, wie ISI und Hikmatjar ausgeschaltet werden können, um der entmündigten Mehrheit im afghanischen Widerstand die Entwicklung in Richtung auf eine demokratische Ordnung zu ermöglichen. 72 Prozent der befragten Flüchtlinge sprachen 6ich für eine-konstitutionelle Monarchie aus, weniger als ein Prozent für die Islamisten.

Der renommierte Soziologe Ba- hauddin Madjruh, der diese Befragung durchführte, wurde wenig später in der pakistanischen Provinzhauptstadt Peschawar ermordet. Bei allgemeinen Wahlen wäre der populäre Intellektuelle womöglich Ministerpräsident geworden. Inzwischen hat sein Sohn die Nachfolge als Sprecher der unabhängigen Nationalisten übernommen.

Ob die Amerikaner dieses Potential noch in ein Pendant zur Aquino-Laufbahn ummünzen können, scheint fraglich. Die Fülle von Entscheidungsträgem ist schwer zu koordinieren - zu viele Köche verderben den Brei. Die Afghanistan- Politik der USA war zu keinem Zeitpunkt konsequent durchdacht und konsistent ausgeführt. Darüber hinaus war sie oft kopflos, im buchstäblichen Sinne.

Einen Weg heraus aus diesem altbekannten amerikanischen Dilemma könnte die von Benazir Bhutto in Angriff genommene völlige Umstrukturierung der pakistanischen Sicherheitsdienste bieten. Dabei ist jedoch eine gehörige Portion Wahnwitz seitens der jungen Ministerpräsidentin im Spiel.

Die USA müßten schon auf ihrer Seite intervenieren, wenn dieser ungleiche Kampf gegen den allmächtigen ISI zu Benazir Bhuttos Gunsten ausgehen soll.

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