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„Alle haben nur zugeschaut"

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Die Realität der Zerstörung Kroatiens macht auch vor den Literaten nicht halt. Sie verlassen die Höhe der geistigen Abstraktion und beziehen Stellung - in politischen Artikeln, mittels Pamphleten, auf Flugblättern. P.E.N.-Mitglied Ivo Runtic aus Zagreb, Universitätsprofessor, Übersetzer und Autor, hat sich auch den geänderten Verhältnissen angepaßt.

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Die Realität der Zerstörung Kroatiens macht auch vor den Literaten nicht halt. Sie verlassen die Höhe der geistigen Abstraktion und beziehen Stellung - in politischen Artikeln, mittels Pamphleten, auf Flugblättern. P.E.N.-Mitglied Ivo Runtic aus Zagreb, Universitätsprofessor, Übersetzer und Autor, hat sich auch den geänderten Verhältnissen angepaßt.

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Im Gespräch mit Ivo Runtic dauert es nicht lange, bis er von den Tausenden Wohnungen in Zagreb berichtet, die von Serben bewohnt sind; aus ihnen - beispielsweise in den Stadtvierteln Zaprude und Utrine, in den Straßen wie VodnikovaMarticevaund Masarykova - wurden während der Luftalarme Behausungen von Hek-kenschützen. Erfahrungsgemäß verlassen die Serben Städte, die von Angriffen bedroht sind, sodaß die Heckenschützen wahllos auf Passanten schießen können.

Man erzählt von Heckenschützen überall in Kroatien, die auf Menschen beim Verlassen der Luftschutzkeller hinterrücks schießen. Runtic" weiß auch von Greueltaten zu berichten, die serbische Soldaten und Tschet-niks an Zivilisten verübt haben. Beispielsweise fand man bei der Obduktion von Ermordeten die Augen anderer Menschen in den Mägen der Toten. Das kann nur bedeuten, daß vor der Ermordung die Beklagenswerten gezwungen gewesen waren, die Augen anderer zu schlucken.

Runtic, der kein Politiker ist und auch keiner sein will, empfindet angesichts solcher Greuel „natürlich Wut, aber auch Ohnmacht, Scham und Verzweiflung". Und er fragt sich, wie die Welt die Barbarei zwischen zwei Völkern zu differenzieren wissen wird.

Wenn die Serben, wenn Slobodan Milosevic wirklich um die Sicherheit ihrer Landsleute besorgt sind, dann sind Fragen zu stellen, betont Runtic: Wieso soll die serbische Minderheit gerade dort gefährdet sein, wo sie zahlenmäßig am stärksten ist - wie in Knin? Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind dort Serben. Und sollte die Bevölkerung dort tatsächlich gefährdet sein, warum vertraut sie dann Milosevic nicht dem Schutz internationaler Truppen an?

Solche Fragen lassen sich nicht mit Vernunft beantworten. Darum geht es auch gar nicht mehr, sondern um den brutalen Angriffskrieg der Republik Serbien gegen die Republik Kroatien. „Dieser Krieg wird mit Panzern, Raketen, Bomben, Napalm-und Kassettenbomben geführt", sagt der Kroate Runtic und hängt dabei an der Integrität seiner Heimat wie die Serben an ihrer. Für ihn ist Knin eine so heilige Gegend - ehemalige Residenz kroatischer Könige - wie für die Serben der Kosovo. Für Runtic ist die Verbrennung der Wälder um Dubrovnik mit Napalm eine fast persönlich zu nennende Kränkung.

„Dieser Krieg wird gegen ein ganzes Volk geführt. Die kroatische Landesverteidigung, das muß dazu gesagt werden, wurde vor eineinhalb Jahren entwaffnet. Unter dem Vorwand, daß die Waffen einem Service unterzogen werden müßten, haben Serben den Kroaten die Waffen abgenommen. Bisher sind mehr als 200.000 Häuser in Kroatien zerstört worden."

Zivilisten waren fast mehr die Leidtragenden als die Angehörigen der kroatischen Streitkräfte. Für Runtic

Zerstörte Pfarrkirche von Cuntic ein weiterer Beweis des serbischen Zieles: Vernichtung der Kroaten, Auslöschung eines Landes samt seiner Kultur. Um diesem Ziel so rasch wie möglich näherzukommen, werden Kulturdenkmäler, Kirchen, Spitäler, Schulen, Kindergärten zerstört, um - so Runtic - jede Erinnerung an Kroatien zu tilgen.

Nach Ansicht des Schriftstellers ist die gegenwärtige Lage der Endpunkt einer langen Entwicklung, die im vorigen Jahrhundert ihre Wurzeln hat. In der programmatischen Schrift „Nacretanija" von Garesanin - er war Ahnherr der serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste im 20. Jahrhundert - wird der Traum eines Großserbiens von intellektueller Seite geträumt. Diesen Traum träume Serbien heute noch.

So wundert es nicht, daß nationalistische Tschetnikverbände in die Armee eingetreten sind, Angehörige der anderen Völker Jugoslawiens das Heer nach dem Slowenien-Krieg verlassen haben und die Serbifizierung bis in die untersten Ränge durchgeführt werden konnte. Sichtbares Zeichen der Veränderung ist die Einführung des Tschetnikgrußes in Teilen der Armee: „Pomoz Bog, junaci!" (Gott helfe uns, Helden!)

Wie sehr allerdings die Armee die Öffentlichkeit fürchtet, mag aus dem Umstand erkennbar werden, daß während des Krieges in Kroatien bereits mehr in- und ausländische Reporter starben als während des gesamten Vietnamkrieges. „So einen Krieg hat es in Europa noch nie gegeben", sagt Runtic, „weil er nicht eine Explosion ist, sondern eine Implosion, weil ihn die Armee gegen eines ihrer Völker führt, das sie schützen soll." Besonders gefährlich ist die Mi-sehung der Kriegsgründe: Ethnische Konflikte, religiöse Differenzen, Orthodoxe gegen Katholiken, Christen gegen Kommunisten, Demokraten gegen Totalitaristen.

Für Runtic scheinen die Gründe der Unzufriedenheit der Serben in Kroatien klar: „Sie haben Rechte als Serben in Kroatien eingebüßt, weil diese Rechte Privilegien heißen. Sie haben Rechte als Kommunisten eingebüßt, sie haben Rechte als Offiziere verloren und als letztes hatten sie ein bevorzugte Stellung als alte Krieger. Diesen bevorzugten Status haben die Serben in einem demokratischen Kroatien abgeben müssen. Jetzt genießen sie Rechte wie Kroaten, aber auch nicht mehr."

Unzufrieden ist Runtic auch über das Waffenembargo: Während die Armee sich jahrelang aufgerüstet hat, haben die Kroaten nichts. Die einen leiden unter dem Embargo kaum, die änderen werden vernichtet.

Bestürzt ist Ivo Runtic über das Zuschauen der Europäer. „Wir haben bei den Vorfällen in Slowenien zugesehen", gibt sich der Kroate selbstkritisch, „Bosnien-Herzegowina schaut jetzt zu, wie Kroatien zermalmt wird, Mazedonien könnte in einigen Monaten zuschauen, was in Bosnien geschieht. So kommt es zur paradoxen Abwicklung eines paradoxen Krieges, daß ein Volk, das sich zum Staatsvolk von Jugoslawien erklärt, Ansprüche hat und diese schrittweise bei seinen zahllosen Gegnern wie den Albanern, den Mazedoniern, den Kroaten, den Slowenen durchsetzt." Für Runtic ist es unverständlich, daß sich Europa so leichtfertig der politischen Verantwortung begibt.

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