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Alle Plagen Asiens im Land der Bengalen

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Selten wurde die Geschichte neuer Staaten mit so viel Blut geschrieben wie bei der Aufteilung des indischen Subkontinents. Als sich die Briten aus Indien zurückzogen, forderten Moslems und Hindus ihre Eigenstaatlichkeit, kam es zwischen ihnen zu einem erbitterten Religionskrieg, zu gnadenlosen Massakern und Massenaustreibungen. Mit Feuer und Schwert wurde Pakistan, das „Land der Reinen“, von den Moslems Indiens erkämpft

West- und Ostpakistan lagen zweieinhalbtausend Küometer auseinander. Mehr als die Hälfte der pakistanischen Bevölkerung entfiel auf Ostpakistan, das flächenmäßig fünfmal kleiner war als Westpakistan. Nicht das ostpakistanische Dacca, sondern die westpakistanische Hafenstadt später das klimatisch bekömmlichere Islamabad, wurde zum Regierungssitz bestimmt. Dort tagte das Zentralparlament, während in Dacca lediglich das Regionalparlament zusammenkam. Die Abgeordneten mußten sich mit Englisch verständlich machen. Bengali,.. ,4ie * Landessprache Ostpakistans, wurde von den Urdu sprechenden Westpakistanern nicht verstanden. Der Einheit wegen sollte Urdu in ganz Pakistan eingeführt werden. Darüber kam es in Ostpakistan zu einem blutigen Sprachenkrieg. Weitverbreiteter Analphabetismus und die verheerende Mißwirtschaft der Parteien führten dazu, daß die parlamentarische Demokratie britischen Musters gegen ein strafferes Präsidialregime ausgewechselt wurde.

An der Spitze des Militär- und Verwaltungsapparates Ostpakistans standen großenteils Westpakistaner; sie waren zumeist von hellerer Hautfarbe, stärkerem Körperwuchs und auch höherer Schulbildung als die weniger disziplinierten, leicht erregbaren, zu Streitsucht und Verträumtheit neigenden Bengalen. Das gemeinsame Bekenntnis zum Islam erwies sich als ein unzulängliches Bindeglied. Ostpakistan fühlte sich als Kolonie behandelt.

Bei den Nationalratswahlen von 1970 erhielt die bengalische Awami- Liga eine Stimmenmehrheit, die zur Regierungsführung ausgereicht hätte. Aber Westpakistan wollte den Ostpakistanern nicht einmal eine größere Kontrolle der bengalischen Angelegenheiten zugestehen. Scheik Muji- bur, Führer der Awami-Liga, wurde verhaftet. Die brutale Unterdrük- kungspolitik der Militärregierung in Ostpakistan löste in der Ostprovinz eine haßerfüllte Guerrüla aus. Millionen von Bengalen flüchteten nach Indien.

Durch diese Vorgänge fühlte sich die Regierung Indira Ghandis zur militärischen Intervention gegen Westpakistan herausgefordert. Am 17. Dezember 1971 mußten sich die pakistanischen Truppen geschlagen geben. Mit indischer Hilfe wurde die Abtrennung Ostbengalens von Pakistan vollzogen, entstand der neue Staat Bangladesch, das „Land der Bengalen“. Scheik Mujibur Rahrnan kehrte aus der Gefangenschaft zurück, um als Premierminister und „Vater der Bengalen“ die Staatsführung zu übernehmen.

Von Anfang an sah sich der junge Staat gewaltigen Problemen gegenüber. Bangladesch ist eines der am dichtesten besiedelten Länder der Erde. Rund vier Fünftel der Bewohner können nicht schreiben und lesen. Der Verwaltung und der Wirtschaft mangelt es an qualifiziertem Nachwuchs. Es fehlt überall im Lande an Straßen, Brücken, Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen. Die großen Flüsse Ganges und Brahmaputra mit ihren zahllosen Nebenarmen haben ein unwegsames Deltaland geschaffen, das zwar drei Reisernten im Jahr erlaubt, aber kaum eingedeicht ist und deshalb immer wieder von zerstörerischen Überschwemmungen heimgesucht wird.

Scheik Mujibur Rahrnan hatte seinen Landsleuten ein goldenes Bangladesch auf der Grundlage von Demokratie und Sozialismus versprochen. Dieser Traum war bald verflogen. Nach drei Jahren Unabhängigkeit regierte der „Vater der Bengalen“ mit diktatorischen Vollmachten in einem Einparteienstaat, unterstützt von einer Privatarmee, die mehrere tausend politische Gegner liquidierte. Korruption und Nepotismus, die alten Übel Asiens, wucherten schlimmer denn je.

Am frühen Morgen des 15. August 1975 wurden Scheik Mujibur Rahrnan und seine Familienangehörigen von einer Gruppe junger Offiziere der bengalischen Armee ermordet. Die Rebellen stellten den ehemaligen Handelsminister, Khondakar Ahmed, an die Spitze einer neuen „Revolutionären Regierung“.

In dem Gerangel um Macht und Einfluß verlor Präsident Ahmed schon bald seinen Posten an Mohammed Sayem, den höchsten Richter des Landes. Ein neuer Militärputsch machte Ziaur Rahrnan zum „starken Mann“. Sayem wurde als „Oberster Kriegsrechtsadministrator“ eingesetzt. Im August 1976 fand sich die Militärregierung dazu bereit, einen Teil der rund 50 politischen Parteien Bangladeschs wieder zuzulassen. Allgemeine Wahlen wurden in Aussicht gestellt, aber auf einen späteren Termin verschoben.

Wird die Regierung Bangladeschs alle politischen Parteien wieder zulassen und den Ausnahmezustand abschaffen? Solche Fragen erscheinen zweitrangig in einem Land, das sich den apokalyptischen Prognosen des „Club of Rome“ gegenübersieht. Die Menschen Bangladeschs leben weiterhin am äußersten Rand des Existenzminimums. Mit „Ruhe und Ordnung“ allein ist den Problemen nicht beizukommen. Viele Hoffhungen sind nun auf die bisher spärliche Hilfe arabischer Ölländer und auf die noch in den Anfängen steckende eigene Ölforderung gerichtet

Außenpolitisch ist der junge Staat zu seinem Geburtshelfer Indien auf Distanz gegangen, sucht er sein Verhältnis zu China, aber auch zu Pakistan, zu verbessern. Bangladesch und Pakistan haben nach Jahren erbitterten Haders wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen. In Dacca werden heute Begriffe, wie Blockfreiheit, Arbeitsdisziplin und Genügsamkeit bemüht. Einstweilen aber lassen Massenarbeitslosigkeit und Nahrungsdefizit, eine stagnierende Wirtschaft und eine ungewisse politische Zukunft wenig Fortschritt und viel eher eine Dauerkrise erwarten.

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