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Alle vier Kirchen arbeiten fiir den Frieden

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Das Debakel, das Ian Paisley mit seinem Aufruf zum Generalstreik in Nordirland erlitten hat, hat wieder Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft wachwerden lassen. Die Kirchen haben seit langem die Gewaltanwendung verurteilt, obwohl immer wieder von einem „Religionskrieg” gesprochen wird, wenn die Rede auf Nordirland kommt. Dänemarks katholischer Bischof Hans Martensen SJ hat in der katholischen Zeitschrift seines Landes, „Katolsk Orientering”, zu dieser Behauptung Stellung genommen. Die FURCHE bringt die wichtigsten Twlfi dieses Artikels.

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Das Debakel, das Ian Paisley mit seinem Aufruf zum Generalstreik in Nordirland erlitten hat, hat wieder Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft wachwerden lassen. Die Kirchen haben seit langem die Gewaltanwendung verurteilt, obwohl immer wieder von einem „Religionskrieg” gesprochen wird, wenn die Rede auf Nordirland kommt. Dänemarks katholischer Bischof Hans Martensen SJ hat in der katholischen Zeitschrift seines Landes, „Katolsk Orientering”, zu dieser Behauptung Stellung genommen. Die FURCHE bringt die wichtigsten Twlfi dieses Artikels.

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Hoffentlich vergißt man nicht auf das Fragezeichen hinter dem Titel „Religionskrieg in Nordirland”. Ich möchte der so stark verbreiteten Auffassung, die blutige Unruhe sei religiös bedingt, heftig widersprechen.

Man nennt in der Presse die Gegner im Bürgerkrieg gerne „Katholiken” und „Protestanten”, und das sind zweifellos religiöse Bezeichnungen. In einer Diskussion im dänischen Radio hörte ich vor nicht allzu langer Zeit einen der Teilnehmer von der „Kirche als Machtfaktor hinter denen, die einander in Irland ermorden” reden. Aber so einfach ist die Sache jedenfalls nicht.

Die Partisanen-Armee IRA wird oft als katholisch bezeichnet, obwohl sie nur ganz wenige Mitglieder hat, die praktizierende Katholiken sind. Ihre Anhänger stammen ganz gewiß aus den Teüen der nordirischen Bevölkerung, die kulturell und sozial einen katholischen Background haben und in einem „katholischen Milieu” aufgewachsen sind. Aber die IRA-Mitglie- der sind fast ausnahmslos Leute, die ihre Beziehung zur katholischen Kirche verloren haben. Ihre geistige Zugehörigkeit ist für die meisten eher eine Form marxistischer Ideologie. Sie gehen nicht zu den Sakramenten, und die kirchliche „Autorität” bedeutet ihnen nichts. Würde sie ihnen etwas bedeuten, so würden sie große Gewissensprobleme bekommen, wenn sie weiterhin Mitglieder der IRA blieben.

Wenn man Rechenschaft ablegt, wie oft die katholischen Bischöfe in Irland Gewaltmethoden verurteilt haben, stößt man auf recht überraschende Tatsachen. Sie müssen sich wohl recht unpopulär gemacht haben, diese Bischöfe, die selbst Iren waren und die Ansichten der Iren teüten und auch ihre politischen Wünsche. Dennoch haben sie gegen politische Gewalt gepredigt; nicht nur unter der letzten Entwicklung. Schon 1862 und 1863 verurteilten Irlands katholische Bischöfe Bewegungen, die eine Revolution gegen die Engländer vorbereiten wollten.

Heute werden ihre Appelle immer drängender. Einige Sätze einer Erklärung der irischen Bischofskonferenz im Herbst 1976 verdienen es, gehört zu werden: „Wir wollen aus innerster und vollständiger Überzeugung die fortwährenden Gewalthandlungen in unserem Land verdammen. Sie sind barbarische Verbrechen, die mit allem, ‘was im Evangelium steht, in direktem Widerstreit stehen.” Dann nennen die Bischöfe die Freiheitsbewegung der Frauen, die die große Mehrheit der Bevölkerung und deren Gefühle widerspiegelt. Die Situation in Nordirland ist, sagen die Bischöfe, „ein treffendes Beispiel dafür, wie in der modernen Gesellschaft ganz kleine Gruppen von Menschen mit einem begrenzten Verstand und einer verdorbenen Moral ganze Völker als Geiseln halten können. Wir appellieren an die öffentliche Meinung in aller Welt um Mitleid und um Gebet für die Gesellschaft hier, für Katholiken und Protestanten, die täglich in Angst vor Gewalt und Tod leben.”

Die Katholiken in Nordirland gehören einem Teil der Bevölkerung an, der sich traditionell in Opposition zur britischen Macht fühlt. Die meisten wollen, daß ein geeintes Irland unter geeinter irischer Verwaltung entstehe. Man sollte fiir sie lieber den politischen Namen „Republikaner” als den religiösen wählen. Auch bei den Protestanten wäre es besser, die politische Bezeichnung zu gebrauchen. Sie sind „Loyalisten”, loyal zur Verbindung mit Großbritannien, die seit 1929 bewahrt blieb, als 80 Prozent des irischen Gebietes eine selbständige Republik wurden, die sechs nordöstlichsten „Counties” aber bei Großbritannien verblieben.

Auch die protestantischen Kirchen, deren drei bedeutungsvollsten die Presbyterianer, die Anglikaner und die Methodisten sind, haben wiederholt ihre absolute Verurteilung politischer Gewaltanwendung ausgedrückt. Wenn man alle diese Aussagen in Betracht zieht, kommt man zu dem Resultat, daß die Kirchen nicht der „Machtfaktor hinter denen, die einander morden”, sein können, sondern eher eine klägliche, machtlose Instanz, die sich vergeblich bemüht, Gewalthandlungen zu beenden.

Damit ist nicht gesagt, daß die Unruhe in Irland ohne religiösen Hintergrund wäre. Die Religion geht zweifellos als wichtige Komponente in den bürgerkriegsartigen Konflikt ein. Aber das ist keine Religion, die mit den offiziellen Kirchen identisch ist oder die von Kirchenleitern gesteuert wird. Das ist eher Religion als Tiefendimension - im Guten und Schlechten - im Bewußtsein der Bevölkerung, wo Kulturerbe, Familientraditionen, der durch Jahrhunderte vererbte Lebensstil, politische Freiheitsträume oder die Angst, herkömmliche Macht zu verlieren, zusammenzuschmelzen.

Religion in diesem Sinn darf nicht mit christlichem Glauben oder dem Bekenntnis zu einer bestimmten Kirche verwechselt werden. Sie entspricht einem Abgrund in Seele und Selbstverständnis eines Volkes und gibt eine Extradimension an Fanatismus und Sturheit, wenn ein Teil des Volkes gegen den anderen steht. Sie liefert extra Zündstoff für den Brandherd der Gewalt, die um sich greift, wo Gewalt neue Gewalt hervorruft. Jugendkriminalität, ungelöste Wohnungsprobleme, soziale Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit, nationale Vorurteile und verbissener, verzweifelter Haß - all das geht in einem Hexenkessel der Gefühle ein, wo einige Men schen Kriegserlebnis und spannenden Kampf und anderen Auslauf für ihre Rachegefühle suchen.

Es liegt eine traurige historische Ironie darin, daß die friedliche Bürgerrechtsbewegung, die in den letzten sechziger Jahren so stark wuchs, im Schatten der IRA und ihrer Gewaltmethoden so schnell zum Stillstand kam. Viele soziale und politische Reformen, die sich vielleicht schnell einen Weg gebahnt hätten und die Zustimmung des größten Teües der Bevölkerung gehabt hätten, wurden vereitelt. Die Idee der Bürgerrechtskämpfer, daß Katholiken und Protestanten gleiche Rechte haben sollten, wenn es um politische Wahlen ging, daß sie gleichen Zugang zu öffentlichen Stellen haben sollten und gleiche Chancen, Arbeit in Fabriken und Geschäften zu bekommen - all diese in sich selbst so angemessenen Anliegen wären sicher gehört worden, wenn nicht alles in Chaos und Angst ertrunken wäre, verursacht durch die Partisanenheere.

Statt dessen sind viele Zustände seit 1969 eher verschlechtert als verbessert worden. Es ist nicht Schuld der Politiker. Es ist noch weniger Schuld der Kirchenleiter. Es sind eher die anonymen Faktoren, die die Gewalt hervorrufen, die die Schuld tragen.

Eine der schlimmsten Strategien der Gewaltmethoden geht darauf aus, die Bevölkerung noch mehr als bisher in zwei Teile zu teilen. Es ist schon ein Erbe aus früheren Zeiten, daß arme Katholiken in ihren Ghettos wohnen und arme Protestanten in ihren. Aber es war doch gewöhnlich eine gewisse Mischung vorhanden. Die Partisanen veranlassen ihre „Glaubensgenossen” unter Drohungen, in die eigenen Ghettos auszuwandern. Sonst riskieren sie, getötet zu werden.

Die Jugendkriminalität wird in politische Bahnen kanalisiert. Wo andere Buben Räuber und Soldaten spielen, bekommen sie in Nordirland richtige Waffen in die Hände. Sie lernen zu töten, während sie noch kaum zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden können.

Die Angst ist eine der schrecklichsten Waffen geworden. Wenn Menschen sehen, wie ein anderer getötet wird, wagen sie nicht, als Zeugen auszusagen. Auch die, die zwischen den Streitenden für Friede und Versöhnung arbeiten wollen, werden Drohungen ausgesetzt. Das haben die mutigen Frauen erleben müssen, die die Demonstrationen und Friedensmärsche organisiert haben. Wenn Menschen beginnen, friedlich miteinander zu leben, so zerstören sie die Hoffnung der Partisanen auf einen totalen Zusammenbruch.

Gleichzeitig liegt aber in diesen Demonstrationen eine wahre Hoffnung für die Zukunft. Die Frauen haben gewußt, daß eine große Mehrheit der Bevölkerung nicht an Streit interessiert ist, am allerwenigsten an Streit, der auf Religion basiert. Kirchengrenzen haben kein Hindernis für ihren gemeinsamen Einsatz für den Frieden bedeutet.

Dennoch muß man mit Sorge feststellen, daß der Einsatz dieser Frauen vergeblich gewesen ist, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, politische und soziale Änderungen zum Besseren zu schaffen. Die Entwicklung in Irland ist eines der abschreckenden Beispiele dafür, wie spielend leicht es ist, Gewalt in Gang zu setzen und wie übermenschlich schwer, sie wieder zu stoppen.

In den letzten fünf Jahren hat eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern der vier großen Kirchen in Nordirland einen gemeinsamen Rapport erarbeitet. Er versucht, eine Art Friedensprogramm zu schaffen, dem sich die Kirchen und ihre Mitglieder anschließen sollen. Hier einige Punkte aus diesem Programm:

• Die Kirchen müssen selbst gerecht handeln.

• Sie müssen ohne Angst Ungerechtigkeit aufzeigen, wo immer diese entsteht.

• Die Kirchen müssen sich aller Form von Diskriminierung enthalten und Abstand davon nehmen, Gottesdienste zu feiern, die mit Politik in Verbindung stehen (etwa in Verbindung mit Waffenparaden).

• Die Kirchen müssen all die unterstützen, die für größere Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen.

• Besonders soll darauf geachtet werden, daß Frauen größeren Einfluß auf politische und soziale Entwicklungsprozesse bekommen.

• Die Kirchen sollen in ihrer Verkündigung den Mut herausstreichen, den gewaltlose Methoden erfordern.

• Sie sollen selbst ein Programm für gewaltlose Methoden zur Förderung sozialer Gerechtigkeit entwickeln.

• Die Kirchen sollen für soziale Schulung ihrer Mitglieder sorgen und ihre Verkündigung zur Versöhnung der streitenden Partner gebrauchen.

Sind das alles leere Worte? Der Gemeinschaftsrapport der Kirchen legt jedenfalls seinen Finger auf wunde Punkte. Es sind die Probleme um das Verhältnis zwischen Kultur und Tradition und sozialer Diskriminierung. Es sind Probleme mit Gewaltanwendung und gewaltlosen Methoden im Kampf um Gerechtigkeit. Es sind Probleme mit der Demokratie und den Rechten der Minderheit. Ursachen und Überwindung eines Streites hängen zusammen. Wenn die Wurzel des Bösen erkannt ist, ist die Heilung vielleicht in Reichweite.

(Bearbeitung und Übersetzung: Hannes Koch Hansen, Kopenhagen)

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