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Allein bin ich zu schwach

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Die Schreckens taten im Krankenhaus Lainz betreffen mich in dop- pelter Hinsicht: zunächst als diplo- mierte Krankenschwester, die eben- falls auf einer intemen Station ar- beitet, vor allem aber auch als gläu- biger Mensch.

liberali herrschen Betroffenheit und Ratlosigkeit, besonders unter uns Schwestem. Warum konnte es soweit kommen? Wem oder was ist die Schuld zuzuschreiben? Können wir uns wirklich auf die fehlenden Kontrollpersonen ausreden?

In keinem Spital der Welt ist es möglich, jeden Handgriff zu kon- troÜieren - es sei denn, man stellt auch fur jede Schwester eine Kon- trollschwester zur Überwachung jeder Handlung.

Oder liegt die Schuld doch an un- serem System? Kann ein perfektes System Mord ausschließen? Welche Aufnahmekommission kann in den Kandidaten spätere Mörder erah- nen?

Wahrend der Schwestemausbil- dung wird neben pflegerischem und medizinischem Wissen, Wert auf die ethischen Grundregelnfiir die Kran- kenkpflege gelegt. Es wird gelehrt, daß die Achtung vor dem Leben, vor der Würde und den Grundrechten des Menschen die Grundlage der Pflege bildet.

Das wird nicht nur gelehrt, son- dem für tausende Pflegepersonen wird eine verantwortlungsbewußte und menschliche Betreuung auch tatsächlich zum wichtigsten Anlie- gen ihrer konkreten Be- rufsausübung.

Der große Enthusiasmus und das enorme Engagement jeder jungen Schwester nimmt aber mehr oder weniger langsam ab. Dutch chroni- sche Überlastung und schlechtes Gewissen. Die Zeit reicht einfach nicht, um den Patienten so zu pfle- gen, wie es sich die Schwester vor- gestellt hatte.

Einerseits herrscht Hektik und Streß, um immer mehr Patienten in immer weniger Betten in immer kür- zerer Zeit mit immer mehr Leistung durchzuschleusen. Auf der anderen Seite führt vor allem aber die stän- dige Konfrontation mit Schmerzen, Leid und Trauer zu einer enormen Belastung.

Es ist uns bereits zur Routine ge- worden, stöhnenden und sterben- den Patienten gegenüberzustehen. Obwohl der Gedanke an den eige- nen Tod meistens noch nicht be- wältigt worden ist, gehört der Tod der anderen zum Stationsalltag.

Wenn Menschen jahrelang zwölf Stunden am Tag (oder in der Nacht) unter diesen Umständen Patienten pflegen, helfen Grundregeln der Ethikunddes Anstandes allein nicht mehr. Dann ist der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr um Anstän- digkeit oder Verantwortungsgefühl geht.

Kein noch so gutes Ausbildungs- system kann vor Verzweiflung, Frustration und Depression schützen, bzw. den sich daraus ergebenden Gedanken an Mord (oder eben sogar seine Ausführung) zu verhindem. Auch keine psychologische Ausbil- dung oder Betreuung kann auf die Dauem Enthusiasmus und Moral, vor allem aber Freude und Liebe für den Beruf aufrechterhalten.

Meine persönliche Erf ahrung war es bisher, daß mir allein der Glaube andaskonkrete Wirken Jesu Christi so viel Kraft und Starke, so viel Liebe und Freude vermittelt, daß ich trotz Hektik und Streß auch dem 10.000. Patienten mit möglichst viel Liebe begegnen kann. Wer dies er- fahren hat, verzweifelt nicht mehr an Elend, Schmerz und Tod auf der Station, sondem kann - trotz aller eigenen Schwäche - neue Hoffnung schenken. Viele Patienten wundern sich dann und fragen mich, wie ich bei allem dem Leid fröhlich sein kann.

So bat mich etwa einmal eine alte einsame Frau: “Bitte, beten Sie für mich! “ Ich habe es gem getan. Und als sie später gestorben ist, hatte sie ein Lächeln auf ihren Lippen.

Es ist wirklich jedesmal erstaun- lich, was ein Gebet oder ein einziger Satz oder das Kreuzzeichen auf die Stime bewirken können.

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