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Allein gegen das Chaos

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Der Schriftsteller Herbert Eisenreich ist tot. Eine Freundschaft von dreißig Jahren hat uns verbunden. Es ist schwer, einen ersten Rückblick zu wagen.

An Körper und Seele verwundet ist er aus dem Krieg zurückgekehrt. Spätfolgen machten sich immer wieder bemerkbar. Anfälle der Krankheit mußten überwunden, Erinnerungen an die Bestialität verarbeitet und subli-miert werden. Die Lebensum-

stände blieben schwierig, das Vordringen eines neuen Banau-sentums machte das Atmen nicht leichter.

Die ersten Jahre nach dem Krieg hatten Hoffnungen erweckt. „So glücklich wie damals waren wir dann nie wieder“: mit diesem Satz beginnt Eisenreichs Romanwerk „Die abgelegte Zeit“. Damals, „um 1950 herum“, schrieb er seinen ersten Roman .Auch in ihrer Sünde“, fand zu einer kristallinisch klaren Form der Kurzgeschichte, verfaßte Hörspiele von eindringlicher Knappheit. Auch das große Romanwerk konnte in Angriff genommen werden. Der Essayband „Reak-

tionen“ (1964) ließ die geistigen Bezüge und Analogien, die sein Werk mit Stifter, mit Musü, mit Doderer verbinden, erkennen.

Eisenreich, der als Zwanzigjähriger den mörderischen Kitsch des Dritten Reiches verabscheut hatte, befand sich dann angesichts des Vordringens verblendeter und aggressiver Ideologien abermals in Opposition.

Obwohl er, der überzeugte Demokrat, auch von der Möglichkeit direkter politischer Stellungnahme Gebrauch machte, war seine Antwort auf das Uberhandnehmen einer systematisierten und also eo ipso mörderischen Dummheit vor allem literarisch. Hohlen Parolen setzte er die Arbeit an der Sprache entgegen. Indem er mit größter Genauigkeit formulierte, Rhythmus und Klang der Satzreihen zu den tragenden Kräften seiner Prosa machte, indem er aus der Sinnlichkeit der Sprache deren Sinn hervorholte, strebte er nach einer menschenmäßigen, durch Widersprüche vielfach gebrochenen, Perfektion. Er wußte, daß „die humane Qualität eines Werkes in dessen artistischer begründet liegt und durchaus nicht im sogenannten Inhalt“.

Da die ästhetische Anforderung, die er an sich stellte, zugleich eine moralische war, ver-

langte sie höchste Konzentration. In diesem Punkt, und nicht nur in diesem, war Eisenreich kompromißlos. Er, der so gerne im Kreis der Freunde saß, die Kleinstädte und die kleinen Beisel liebte, alte Schlager sang, forderte von sich selbst das Höchste. Er war in diesem Punkt unerbittlich. Er mußte es sein: Dem Hohlen und Verschwommenen war nur durch die Verdichtung der Wirklichkeit zur Form entgegenzutreten.

Durch die Erfüllung dieser ästhetischen und zugleich moralischen Pflicht gewinnt Eisenreichs Prosa Kraft, Leichtigkeit, Fülle und Dauer. Auch seine Aphorismen, auch die vielen Beiträge, die er als langjähriger treuer Mitarbeiter der FURCHE zu Papier brachte, haben Anspruch darauf, einst im Band „Kleinere vermischte Schriften“ einer Gesamtausgabe zu erscheinen.

Eisenreich gehört zu den großen Epikern der österreichischen Literatur. Sobald die Beobachtung genügend Distanz gewinnt, um die Gegenwart mit ruhigem Blick zu betrachten, werden die wahren Maße seines vielfältigen Werkes in ihrer vollen Bedeutung zutage treten. Bis dahin sind wir, die ihn geschätzt und geliebt haben, verpflichtet, die lebendige Erinnerung an seine Gestalt wachzuhalten und seinem Beispiel zu folgen.

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