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Allein im Heim - ganz (un-)freiwillig

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Die Zahl der Single-Haushalte steigt. Erstmals gibt es mehr Singles als Zwei-Personen-Haushalte. Wer lebt in diesen Haushalten? Aus welchen Beweggründen? Ist die Familie out? Ein Blick hinter die globalen Zahlen der Statistik und ihre Trends. Trends, die beim Wohnungsproblem und bei der Altenbetreuung politische Folgewirkungen haben.

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Die Zahl der Single-Haushalte steigt. Erstmals gibt es mehr Singles als Zwei-Personen-Haushalte. Wer lebt in diesen Haushalten? Aus welchen Beweggründen? Ist die Familie out? Ein Blick hinter die globalen Zahlen der Statistik und ihre Trends. Trends, die beim Wohnungsproblem und bei der Altenbetreuung politische Folgewirkungen haben.

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818.600 Menschen, also etwa neun Prozent der Gesamtbevölkerung Österreichs leben im Ein-Person-Haushalt. Das sind damit bereits fast 28 Prozent aller Haushalte. Gerhard Majce vom Institut für Soziologie unterscheidet dabei drei Gruppen: „Der größte Teil sind alte Menschen, dann kommen die Geschiedenen und die, die freiwillig alleine leben." Auch Peter Findel vom Statistischen Zentralamt meint, daß der Anstieg der Singlehaushalte in der mittleren Altersgruppe „nicht so stark war, wie man erwarten könnte", daß aber Menschen ab etwa 00 Jahren vermehrt alleine leben.

Wobei für diese Gruppe „alleine leben" nicht den Abbruch aller sozia-

ÖTOB ler Beziehungen meint. Die Kinder werden bei der Erziehung der Enkel unterstützt, den Eltern wird bei Bedarf mit Pflege geholfen - Findel spricht von einer „Sol idarität zwischen den Generationen". Die sozialen Kontakte sind sogar oft intensiver als bei Jüngeren. Detail am Rande: Entgegen üblicher Klischees ist die Einsamkeitsquote alter Menschen in „der Stadt niedriger als auf dem Land. Das Idealbild der ländlichen Großfamilie ist eine Illusion" (Majce).

Mangel an Partnerschaft Wie viele Menschen sich freiwillig dazu entschließen, alleine zu leben, läßt sich nicht sagen. Statistisch nachweisbar ist der Rückgang der Mehrpersonen-Haushalte. Als Gründe nennt Majce das gestiegene Ersthei-ratsalter und die zunehmende Berufstätigkeit der Frau. „Ehe und Familie bedeuten für Frauen oft eine große ökonomische Abhängigkeit" - für viele Menschen ist das nicht mehr vorrangiges Ziel und „Erfüllung aller Träume", eine Familie zu gründen.

An die 30 Prozent der Frauen bleiben unverheiratet. Die Gründe: Partnerschaftliches Denken und Handeln ist für manche Männer zwar theoretisch wichtig, doch praktisch geht in den meisten Fällen der Mann arbeiten und die Frau erbringt „eine enorme, unbezahlte Arbeitsleistung im Haushalt und bei der Erziehung der Kinder" (Majce). Daß der .Arbeitstag für die Männer nicht mit dem Nachhau-sekommen vorbei ist" und die Aufgaben in der Familie gemeinsam getragen werden, ist überwiegend noch immer nicht die gelebte Praxis.

Aberauch beim Berufseinstieg sind Frauen benachteiligt: „Die Chancengleichheit oder gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist noch lange nicht überall durchgesetzt." Die Wirtschaft ist auf einen Eineinhalb-Personen-Beruf ausgerichtet, wie es die Autorin Beck-Gemsheim in ihrem Buch „Das halbierte Leben" nennt. Dabei kommt der Frau die Rolle zu, den arbeitenden Mann zu unterstützen. Außerdem hat sich auch das gesellschaftliche Bild alleinstehender Frauen geändert - „in den fünfziger Jahren galten weibliche Singles als .sitzengeblieben' oder als Gefahr für aufrechte Ehen" (Findel).

Zusammen, aber getrennt Ein anderer Trend, der mit dem Wunsch nach mehr Freiraum verbunden ist, kommt aus den USA: „Living apart together" - die getrennten Haushalte. „Insgesamt jeder fünfte, der im Berufsleben steht, lebt in einer festen Partnerschaft unter getrennten Dächern" (profil 35/1991). Genauere statistische Daten sind hier schwer zu ermitteln, bedauert Findel - der generell mehr Ein-Person-Haushalte in Österreich vermutet, als bei der Volkszählung angegeben wurden. Das österreichische Mietrecht (Anrecht auf Nachfolge etwa), einmalig in Europa, bringt viele junge Leute, die eine eigene Wohnung haben, dazu, weiter auch bei den Eltern oder Großeltern angemeldet zu bleiben.

Der größte Anteil der allein lebenden Menschen - mehr als die Hälfte -sind aber wie gesagt Menschen über 60, davon wieder sind mehr als zwei Drittel Frauen. Eine Folge der Lebenserwartung: Frauen leben im Schnitt um sieben Jahre länger, Männer sind zudem, wenn sie heiraten, auch bereits etwa zwei Jahre älter. „Das ergibt eine neun- bis zehnjährige statistische Wahrscheinlichkeit, daß Frauen allein leben" (Majce).

Nach Prognosen des Statistischen Zentralamts, die sich auch in internationalen Trends widerspiegeln, wird der Anteil der Singlehaushalte weiter steigen, allerdings auch der der Zwei-Personen-Haushalte. Langfristig gesehen wird die Haushalts- und Familiengröße weiter sinken. Auch aus diesem Grund wäre es für Majce wichtig, daß es mehr staatliche Förderungen für Wohngemeinschaften oder Nachbarschaftsinitiativen geben soll. Neue Modelle.der staatlichen Fürsorge und Unterstützung müßten ebenso bei der Betreuung und Pflege älterer Menschen gefunden werden.

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