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Alleingang zur Kernkraft?

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Bundeskanzler Kreisky hat den Vorschlag der Opposition abgelehnt, wie im Fall Kärnten auch zum Problem Kernenergie eine gemeinsame Lösung anzustreben. Das ist sein gutes Recht - ob es letzten Endes gut für die Materie und für den Staat sein wird, bleibt abzuwarten. Es hätte auf jeden Fall etwas für sich gehabi, diese so kontroverse, so von Emotionen aufgeheizte Frage wenigstens aus dem unmittelbaren Parteienstreit herauszuheben - es geht beim Ja oder Nein für Kernkraftwerke um mehr als um eine Profilierungsneurose von Spitzenpolitikern. Die hier zur Lösung stehenden Probleme erschöpfen sich nicht mit einem Auslaufen der „Ära Kreisky“, wann immer dies sein wird. Sie haben Auswirkungen vielleicht für Generationen - sie wären wert, gemeinsam gelöst zu werden. Aber das ist in Österreich aus der Mode gekommen.

Gerade die von Bürgermeister Gratz und Finanzminister Androsch markierten Extrempositionen in der Bandbreite der Diskussion beweisen, wie sehr die Meinungen, quer durch die Parteien, gespalten sind - das gilt ebenso auch für die ÖVP und wohl auch für die FPÖ - und wie sehr Unbehagen die Politiker überfallt, wenn sie an die Aussicht denken, daß die Atomfrage in den nächsten Wahlkampf gezogen werden könnte.

Das vehemente Auftreten der Gegner in den vergangenen Monaten hat zweifellos wesentlich zur Erweiterung des Problembewußtseins beigetragen - die Verunsicherung konnte dadurch nicht beseitigt werden. Die Fachleute- wir meinen hier nur jene, die wirklich konstruktiv etwas beizutragen haben- haben ihre auf dem heutigen Stand des Wissens stehenden Aussagen gemacht. Djese Aussagen gehen mitunter diametral auseinander. Glaubhaft sind sie trotzdem beide - nur gehen sie von verschiedenen Ausgangspositionen aus. Nun kann es nur mehr diė Aufgabe der Politiker sein, aus dem Mosaik def Aussagen nach bestem Wissen und Gewissen jenes Bild zusammenzusetzen, das für das Gemeinwohl der kommenden Jahrzehnte das Optimum verspricht. Da kann weder nur der Angstkomplex noch nur der Wachstumsfetischismus dominieren.

Auf der einen Seite stehen die echten, auch von den Befürwortern der Kernenergie sehr ernstgenommenen Einwände wegen der Sicherheit. Tatsache ist, daß die zusätzlichen Sicherheitsauflagen die Fertigstellung von Zwentendorf bereits wesentlich verzögert und verteuert haben — trotzdem sind sie nötig. Wenn damit Zwentendorf das sicherste Kernkraftwerk der Welt wird - um so besser. Darm aber muß schnellstens geklärt werden, ob die Alarmmeldungen eines Boulevardblattes nur dem zügigeren Sonntagsverkauf dienen sollten oder begründet waren. Wir wollen es wissen!

Weniger beruhigend scheint die Frage des Atommülls auszusehen. Hier sind noch so manche Aufträge an die Wissenschaftler offen. Immerhin bleiben auch nach Inbetriebnahme noch einige Jahre Zeit - aber am Beginn müßte man wissen, wie die Endlösung aussehen soll. Immerhin sollten doch von den bereits seit Jahren in Betrieb stehenden Kernkraftwerken bereits einschlägige Erfahrungen vorliegen. Die Inbetriebnahme von Zwentendorf jedoch mit dem Argument abzulehnen, das Kraftwerk könnte durch einen feindlichen Atombombenangriff zerstört werden und dann Radioaktivität freigeben, ist ebenso weit hergeholt wie die Verteidigung der Inbetriebnahme mit dem Hinweis, in der (mährischen) Nachbarschaft stünden ohnehin bereits Kernkraftwerke.

Auf der anderen Seite können auch die Argumente nicht vom Tisch gewischt werden, die für eine rasche Verwirklichung der laufenden Pläne sprechen. Die Fehlinvestition von sechs Milliarden Schilling, die sich nicht amortisieren könnten, ist sicherlich für den Finanzminister legitim, sollte aber doch nicht im Vordergrund stehen. Wie sieht es wirklich mit dem Energiebedarf von 1985 und 1990 aus? Müssen die heute - von der Energiewirtschaft - errechneten Zuwachsraten angepeilt werden oder genügen doch, wie Professor Bruckmann kalkuliert, auch unwesentlich geringere, um vielleicht ohne Kernkraft aus- kommen zu können? Wobei es wohl gar nicht so darauf ankommt, ob der Privatverbrauch an Energie in dieser Zeit auf das Dreifache oder nur das Doppelte ansteigt, sondern ob genug Energie vorhanden ist, um mit einem steigenden Wirtschaftswachstum den an uns herankommenden Aufgaben im weltweiten Umverteilungsprozeß gerecht werden zu können.

Hier muß natürlich auch die Frage eingebaut werden: Wenn nicht Kernkraft, was dann? Noch mehr Ölimporte? Noch mehr Stromimporte aus dem Osten und damit noch mehr Abhängigkeit - mit weit mehr Gefahr, daß am Tag X einfach abgedreht weden könnte, als es bei über Jahre reichenden Brennelementen im Reaktor der Fall ist. Hier gehören - wieder .als Gegenfrage - die Sparmöglichkeiten hinein. Einschlägige Forschungen hierzu gibt es seit Jahren. Gerade hier ist ein Feld, wo rasch und ohne allzugroßen Aufwand durch entsprechende Förderungsmaßnahmen geholfen werden kann. Zusammen mit neuen Energiegewinnungsmethoden wird zum mindesten eine Atempause im Bedarfszuwachs erreicht werden können.

Die Fragen liegen auf dem Tisch. Sie müssen einzeln beantwortet und in den Gesamtkomplex eingebaut werden. Die Verantwortung, sie zu gewichten und gegeneinander abzuwägen, nimmt; der Regierung niemand, ab. Ein-Windschatten hätte der. Klärung könne«., ns?«

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