6833656-1975_01_12.jpg
Digital In Arbeit

Allen fehlt der „starke Mann”

19451960198020002020

Wenn Wiens Ballettensembles zu den Feiertagen ihre Leistungsschau vorzeigen — das Staatsopernballett Juri Grigoro- witschs Wiener Parade-„Nußknacker”, einen der größten Balletterfolge der letzten Jahre, und das Ballett des Theaters an der Wien Hans Kresniks eben erst herausgebrachten choreographischen Reißer „Schwanensee AG”; das Volksopernballett döst hingegen in lethargischem Schlaf! —, scheint die Wiener Ballett- sitüation für am mit „fast intakt”.

19451960198020002020

Wenn Wiens Ballettensembles zu den Feiertagen ihre Leistungsschau vorzeigen — das Staatsopernballett Juri Grigoro- witschs Wiener Parade-„Nußknacker”, einen der größten Balletterfolge der letzten Jahre, und das Ballett des Theaters an der Wien Hans Kresniks eben erst herausgebrachten choreographischen Reißer „Schwanensee AG”; das Volksopernballett döst hingegen in lethargischem Schlaf! —, scheint die Wiener Ballett- sitüation für am mit „fast intakt”.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Staatsopembälleft arbeitet gerade an Sergej Prokofieffs „Romeo und Julia” (Premiere: 11. Jänner) ; wobei allerdings nicht ganz klar ist, warum die Staatsoper just eine Reproduktion der Choreographie des verstorbenen John Cranko aufführen muß; um so mehr als ohnedies nur noch die Assistentin der Assistentin Crankos die Proben leitet; außerdem kündigte die Staatsoper für 1975 auch Prokofieffs „Cinderella” an. Doch ganz abgesehen davon, daß dieses Ballett in Orlikovskys wenig erfolgreicher Passung eben erst abgesetzt wurde, hat man dafür einen Choreo graphen verpflichtet, für dessen Engagement es so gut wie keinen zwingenden Grund gibt: Tom Schilling aus Ost-Berlin …

Doch das eigentliche Problem: Mehr als ein halbes Jahr stehen Wiens Balettensembles ohne Leiter da. Aurel von Milloss, der bereits nach seiner letzten, umstrittenen, auch heftig kritisierten Premiere Staatsoper und Ensemble verlassen und mitgeteilt hatte, seinen Vertrag keinesfalls verlängern zu wollen, ist seit 30. Juni offiziell nicht mehr Ballettchef. Richard Nowotny, schon unter Milloss stellvertretender Ballett meister, führt die Agenden; aber ein neuer Chef ist vorerst nicht in Sicht und wird — nach Meinung des Ensembles — vor Ende der Direktion Rudolf Gamsjäger auch kaum bestellt werden.

Nun, das Staatsopernballett mag vielleicht mit Nowotny und einer Reihe vofi’-teils^&ärid^fcn; -teils” hier gastierenden hervorragendere fraf- ftern undTäneF KÖIhrttichtigc1 Sfdif- choreographen sein Auslangen finden. Aber erstens weiß man bereits, wie das mit den Stars aussieht: Gri- gorowitsch, der auch „Romeo” “zum Erfolg führen sollte, winkte fürs erste ab; einen John Neumeier, einen van Manen, Gien Tetley oder wen immer man sonst will, nach Wien zu bringen, ist die Staatsopemdirektion offenbar kaum gewillt. Also zeichnen sich „rosigere Zeiten” erst für die nächsten Jahre am Horizont ab: Denn in Eigeninitiative verhandelte zum Beispiel Bundestheatergeneralsekretär Robert Jungbluth mit Neumeier, den er von Hamburg nach Wien holen möchte wie er überhaupt schon jetzt daran arbeitet, die Bal- lettsaisonen der Ära Seefehlner (ab 1977) durch prominente Choreographen und große Tänzer aufzuwerten.

Um jedenfalls dem nächsten Ballettchef ein möglichst attraktives Startterrain zu schaffen, hat Jungbluth auch den Ausbau der Ballettschule im Hanuschhof in Angriff genommen. Er hat also alle Vorarbeiten geleistet, um daraus später ein Internat nach Stuttgarter Muster zu formen. Also immerhin, von der Basis her wird viel getan, um in die Zukunft zu arbeiten. Aber die Gegenwart? Hier sind die großen, wirklichen Probleme!

Was jetzt fehlt, sind im Fall des Staatsopembaletts die Impulse, die das Ensemble von Persönlichkeiten, zum Beispiel von der dominierenden Persönlichkeit eines Ballettchefs, eines großen Choreographen empfängt, in der ständigen Auseinandersetzung mit dessen vielfältigen Anregungen … Und was fehlt, ist im Moment der konsequente Kampf um die Zahl der Ballettabende, um günstige Termine, um Stargastspiele, um die sich schließlich Jungbluth nicht auch noch kümmern kann. Was fehlt, ist die klare unmißverständliche Linie, die konsequente Einhaltung von Disziplin und Arbeit, die ein Ballett nun einmal befolgen muß, ohne Rücksicht auf Demokratisierung, Arbeitszeitgesetze, die — falsch verstanden — beim Ballett unweigerlich zur Provinzialisierung, zu Qualitätsverlust, zu Auflösungserscheinungen führen müssen. Was fehlt, ist also im Moment der Mann, der einer, wie bekannt, nicht sehr ballettfreundlichen Direktion gegenüber den Willen des Ensembles vertritt und immer wieder klar macht, was Direktoren wie Rolf Liebermann in Paris längst wissen: daß man auch mit Ballett, das in den Spielplan konsequent integriert wird, volle Häuser erzielen und gleichzeitig damit eine Menge sparen kann, denn das, so oder so bezahlte, Ballett kostet einen Bruchteil dessen, was Sänger an Abendgagen kosten.

Natürlich wird es auch in dieser kritischen Phase am Ring die angekündigten Ballettpremieren geben — ob sie nun für das Ensemble positiv sind, es somit weiterbringen oder nicht, und ob nun das Publikum diese Art von Planung — zweimal Pro- kofleff in einer Saison und noch dazu ln ‘solchdF ‘C’öi’^WckÜfi’g! akzeptiert ‘6Ser nicht. Uhrf ^ wefdeh gewiß auch wieder Nurejew und Bortoluzzi, vielleicht sogar noch der eine öder andere Superstar anreisen.

Aber man kann heute schon vorausahnen, daß es wieder ähnliche Kalamitäten geben wird, deretwegen letztlich etwa die Auffrischung des „Schwanensee” durch Nurejew geplatzt und vorerst auf 1975 verschoben wurde. Nach Geschrei, Wirbel, Krach, einer eingetretenen Tür, resignierte Nurejew damals, im Juni 1974, bekanntlich, tanzte „Schwanensee” ohne Probe, stellte im Kleinkrieg gegen Bestimmungen, gewerkschaftlichen Unwillen, gegen alle möglichen Schlampereien und Laxheiten, lakonisch fest: „Ich war fünf Jahre nicht hier, doch es hat sich an der Situation wirklich nichts geän dert!” Und Wien sprach wieder einmal vom „schwierigen Star und seinen Allüren!”

Und gerade da macht sich das Fehlen der „eisernen Hand” bemerkbar. Ein Ballettchef hätte wahrscheinlich diese Ballettpremierenvorhaben für 1974/75 kaum akzeptiert; er hätte auch jetzt grundsätzlich zu entscheiden, welche Werke, die von Milloss in höchster Eile ins Depot verbannt wurden, aufgefrischt werden müssen, welche Milloss-Choreagraphien dieses Beinahe-Nur-Milloss-Repertoires des Staatsopemballetts überhaupt noch zu halten sind. Aber ohne Ballettchef wird das alles routinemäßig — wenn überhaupt — kalkuliert, was eigentlich sehr sorgfältig, nach genauer Kenntnis dessen, geplant werden sollte, was das Ballett zur Weiterarbeit braucht.

Und sonst? Nach einer gewissen Lethargiephase und plötzlichem Abwanderungstrend ist das Ballett des Theaters an der Wien in eine Auf- windströmunig hineingeraten: Kres- niks „Schwanensee AG” hat zwar nicht unbedingt alle Möglichkeiten ausigeschöpft, weil er selbst viel zu wenig Zeit für Wien hatte; aber er hat das Ensemble ins Gespräch gebracht. Und die jungen Tänzer, die vom Theater-an-der-Wien-Chef Rolf Kutschera engagiert wurden, haben immerhin größere Aufgaben bekommen. Ja, am Horizont zeichnen sich sogar schon Entscheidungen über die Zukunft des Balletts ab: Kresnik verhandelt mit dem Musicalhaus wegen der künstlerischen Leitung des Balletts.

Als Vorbedingung nennt er allerdings, interessante Solisten engagieren zu dürfen, das Training wesentlich zu erweitern, weil mit hauptsächlich klassischem Training dieses Ensemble all den täglichen Ansprüchen kaum gerecht werden kann; also fordert Kresnik konsequente Arbeit auf den Gebieten des Modem Dance, des Jazz- und Show-Dance, Übungen in seinen choreographischen Theatervorstellungen. Und als Einstand für seine mögliche Übernahme, die schon 1975 stattfinden könnte, will er Fernando Arrabals „Wahn”-Ballett als Uraufführung nach Wien bröigen.A

bgesehen” vötl dieser AftMfläöft, die für die Truppe gründliche Vorarbeiten bedeutete und dafür auch das Echo der internationalen Kritik bescheren würde, könnte Kresniks Engagement auch eine Veränderung des Ballettklimas für Wien bedeuten: Klassisches Ballett an der Staatsoper, Modem Dance, Show-Ballett, Jazz- Tanz an der Wien, dazu ein paar internationale Gastspiele klassischer wie moderner Truppen, und man könnte allen Managern, die es besser wissen wollen, endlich beweisen, daß Wiens Publikum sehr wohl auf Ballett positiv anspricht, informiert werden will. Ganz abgesehen davon, daß eine junge Truppe an der Wien überhaupt mehr Wind in die verschlafene Wiener Ballettszene bringen könnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung