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Laut Geliert fürchtet ein sterbender Geizhals den Verlust seiner Schätze mehr als den Tod. Und Timotheus, der Begleiter des Apostels Paulus, meinte, der Geiz sei die Wurzel allen Übels. Dieses Verkralltsein ins Materielle und die verheerende Wirkung, die sich daraus ergibt, zeigt Moliere in seiner Komödie „Der Geizige“ — wohl seine bitterste —, die eben im Burgtheater neu inszeniert wurde.

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Laut Geliert fürchtet ein sterbender Geizhals den Verlust seiner Schätze mehr als den Tod. Und Timotheus, der Begleiter des Apostels Paulus, meinte, der Geiz sei die Wurzel allen Übels. Dieses Verkralltsein ins Materielle und die verheerende Wirkung, die sich daraus ergibt, zeigt Moliere in seiner Komödie „Der Geizige“ — wohl seine bitterste —, die eben im Burgtheater neu inszeniert wurde.

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Ubersteigerungen einer Leidenschaft wirken komisch, wenn der ihr Hörige dadurch in selbst gegrabene Gruben fällt. Das ist in dieser Komödie der Fall. Die Leidenschaft macht blind, setzt partiell das Urteilsvermögen außer Kraft, das zeigt sich bei Harpagon. Doch vor allem entsteht beim Geizigen eine Verhärtung in der Vereinzelung, ein nicht mehr steigerbares Äußerstes an Egoismus, das alle Menschlichkeit auslöscht. Im Urgrund ist Mensch an Mensch gebunden, der Geiz zerschneidet diese Bindung. Wie sehr, zeigt Moliere, die Familie wird zerstört, im Geschlechterkampf ergibt sich Verwerfliches als Gegenwirkung.

Der französische Regisseur Jean-Paul Roussillon ließ durch den Bühnenbildner Jacques Le Marquet auf der großen Bühne eine schäbige, den Geiz spürbar machende Halle errichten, die von einer mächtigen Treppe beherrscht wird. Auf ihr vor allem entfaltet sich das Spiel in raschem und zögerndem Hinauf und Hinunter. Durch diese Bewegungsvorgänge werden die Beziehungen der Gestalten optisch sichtbar gemacht, ein Ritual entsteht. In diesem Gewoge dominiert Harpagon, den Achim Ben-ning als einen Choleriker darstellt, der immer wieder brüllt. Damit beherrscht er die Bühne, damit wird das Zerstörerische, dessen Ursache er ist, besonders herausgetrieben. Doch fehlt der Hintergrund einer starken Persönlichkeit.

Unter der jungen Generation gibt es drei neue Darsteller. Dieter Wit-ting fällt als Cleante durch Frische auf. Wolfgang Hübsch gibt dem Va-lere bewußt gemessene Haltung, Blanche Aubry setzt als Frosine Ge-legenheitsmacherisches mit Temperament ein, Otto Tausig ist ein aufbrausender Koch und Kutscher, Peter Gerhard ein würdevoller Anselme. Kleine Gags ordnet Roussillon als szenische Accessoires bei Nebengestalten an.

Es gibt Menschen, denen die Kunst, ihr spürbar Metaphysisches, völlig unzugängig bleitot. Sie sind meist erfolgreich dem materiellen Leben verhaftet, sind unfähig, darüber hinauszublicken wie der Großkaufmann Heißt in dem einaktigen Schauspiel „Der arme Narr“ von Hermann Bahr, das derzeit im Theater in der Josefstadt aufgeführt wird. Seinen Bruder, einen berühmten, aber keineswegs reich gewordenen Komponisten, hält er für verkommen. Da der Berühmte seit einiger Zeit in einer Irrenanstalt interniert ist, triumphiert die Selbstgerechtigkeit des Großkaufmanns. Und nun besucht ihn der Geisteskranke in Begleitung seines Arztes. Großartige Konfrontation zweier gegensätzlicher Welten: Jeder hält den andern für einen armen Narren. Wir wissen, wer es tatsächlich ist. Gespielt wird unter der subtilen Regie von Dietrich Haugk vorzüglich von Kurt Heintel als kränkelnder, leicht

erregbarer Großkaufmann und vor allem von Harald Harth, der Kugo Wolf — merkbar hat Hermann Bahr an ihn gedacht — täuschend ähnlich sieht, soweit man dies aus Photos beurteilen kann.

Im Anschluß daran gelangt das einaktige Lustspiel „Schöne Seelen“ von Felix Saiten zur Wiedergabe, das in einem Nachtlokal der Jahrhundertwende spielt, wo die Statistin Mizzi jeden Abend mit einem anderen Mannsbild erscheint, diesfalls mit einem jungen, noch etwas unbeholfenen Prinzen. Was sich da rings um die beiden und mit ihnen begibt, bis ihr der vermögend gewordene Ober einen Heiratsantrag macht, das ist amüsant, geraÜfe ätieft durch de* einstigen gesellschaftlichen Abstand der Beteiligten. Das Parfüm einer vergangenen Zeit wird spürbar. Dietrich Haugk inszenierte mit merkbarer Milieukenntnis. Elfriede Ott als Mizzi, Fritz Muliar als Ober, Christian Futterknecht als Prinz sind eine exzellente Besetzung. Den Bühnenbildnern beider Einakter gab Monika Zallinger zeitbezogene Prägnanz.

Wenn auf der Bühne drei Ehemänner voll Entzücken über die Tugend ihrer Gattinnen sprechen, ist es klar, daß alle drei von ihnen betrogen werden. Konkret: ihr gemeinsamer Freund hatte es mit allen dreien, die Gehörnten erfahren es nach seinem Tod. Dies begibt sich in der Tragikomödie „Drei Frauen“ des Spaniers Alejandro Casona, die das Volkstheater für die Vorstellungen in den Wiener Außenbezirken zur deutschsprachigen Erstaufführung brachte. Das Grundmotiv ist einer Erzählung von Arthur Schnitzler entnommen.

Leichtgewichtiges Spiel bis dort, wo es ernster wird, unter der Regie von Erich Margo mit Helmi Mareich als die ihren Seitensprung Bereuende und Erwin Strahl als fälschlich Totgesagter. Das Stück wurde, entgegen Casona, in die Schnitzler-Zeit verlegt, dem entsprechen Tibor Var-tvks Bühnenbilder.

Krasser Gegensatz zu alledem bei dem Brecht-Abend im Theater am Börseplatz. Da bieten die „Komödianten“ an die dreißig Gedichte, Songs, Balladen unter dem Titel „Vom freundlichen Herrn Brecht“. Werden mit populärer, mitunter höhnischer Penetranz schwere soziale Mißstände attackiert, trifft das bei uns heute ins Leere, da jeder Arbeiter seinen Fernseher, seinen Kühlschrank hat. Man müßte gedanklich auf andere Erdteile umschalten. Brecht ergreift, wo er vereinzelt mit dem menschlichen Leid mitfühlt. In der Verteilung der Texte auf sieben Sprecher, die immer wieder zu Darstellern werden, gelingt dem Regisseur Conny Hannes Meyer eine abwechslungsreiche szenische Umsetzung in Bewegungsvorgänge und Gestik.

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