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Allerweltsrummel oder was Besonderes?

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Ist Österreichs Fremdenverkehr eine problemlose Wachs-, tumsindustrie? Auf Grund der Statistik scheint es fast so: die Zahl der Übernachtungen ist allein 1970 um 12,1 Prozent gestiegen, von 1960 bis 1970 erhöhte sie sich um fast 100 Prozent.

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Ist Österreichs Fremdenverkehr eine problemlose Wachs-, tumsindustrie? Auf Grund der Statistik scheint es fast so: die Zahl der Übernachtungen ist allein 1970 um 12,1 Prozent gestiegen, von 1960 bis 1970 erhöhte sie sich um fast 100 Prozent.

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Das Verhältnis verschiebt sich Immer weiter zugunsten der Ausländer. 1970 stand einem 2,6prozen- tigen Zuwachs an inländischen Gästen ein 15,9prozentiger an ausländischen gegenüber. Auch 1971 hielt diese Entwicklung an: in den ersten vier Monaten gab es im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum um 10 Prozent mehr Ausländer gegenüber nur 2,5 Prozent mehr Inländernächtigungen.

Als Wintersportland anerkennt auch der Österreicher seine Heimat. Es wird viele verwundern zu hören, daß die Statistik dreimal so viel Nächtigungen im Sommer- als im Winterhalbjahr aufweist; an Ausländem kommen sogar 3,5mal so viel im Sommer als im Winter. Wir dürfen daher nicht gebannt auf die Wintersaison starren, sondern müssen anerkennen, daß der Sommer noch wichtiger ist.

Der Fremdenverkehr ist anscheinend eine statistische Idylle. Wird er es auch weiter bleiben? Nun, die Wachstumsraten werden ganz gewiß kleiner werden; das aus vielerlei Gründen.

Da sind zunächst allgemeine, die alle westeuropäischen Fremdenverkehrsländer treffen: das Urlauber- „Aufkommen“ ist nicht unbeschränkt vermehrbar; der Massentourismus ist nicht mehr im Kommen, sondern schon eine feststehende Tatsache.

Steigende Einkommen

Immer mehr Menschen können sich einen Urlaub, insbesondere einen Auslahdsurlaub, ‘leisten. Für Österreich ist das freilich ein zweischneidiges Schwert: auch mehr Österreicher werden ins Ausland reisen.

Das Institut für Wirtschaftsforschung erstellte eine Vorschau auf die Reisedevisenbilanz bis 1980: Demnach werden die Einnahmen aus dem Ausländerfremdenverkehr von 26 Milliarden Schilling 1970 auf 44 Milliarden Schilling 1980 (zu Preisen von 1970) wachsen, also um 80 Prozent; die Ausgänge durch österreichische Auslandsurlauber werden aber von 8 auf 24 Milliarden Schilling steigen, sich also verdreifachen. Der Überschuß wird absolut zwar noch um 30 Prozent wachsen, relativ aber kleiner werden, die Abgänge der Handelsbilanz zu immer geringerem Maße abdecken können. Das „natürliche“ Wachstum genügt also für Österreich nicht, soll der Fremdenverkehr seine bisherige volkswirtschaftliche Rolle beibehalten.

• Mehr Urlaub, daher auch längere und häufigere Reisen.

• Zunehmende Motorisierung steigert die Reiselust.

• Verstädterung: Die Reiselust nimmt mit wachsender Siedlungsgröße zu; sie schwankt zwischen wenigen Prozent in kleinen ländlichen Gemeinden bis zu 80 Prozent in den Großstädten.

• Bevölkerungswachstum: Es verlangsamt sich freilich, trägt daher zwar zum Zuwachs des Fremdenverkehrs, aber auch zur Verflachung der Wachstumskurve bei.

Dagegen werden dem Fremdenverkehr folgende Entwicklungen abträglich sein:

1. Fortschritte der Verkehrstechnik: Dank der Ausbreitung des Flugtourismus werden immer mehr Europäer überseeische Urlaubsziele aufsuchen, insbesondere sobald Großraumflugzeuge stärker eingesetzt werden.

2. Zwar werden auch mehr Überseegäste nach Europa kommen, aber die Anzeihungskraft Westeuropas beruht auf Kultur, Verwandtschaftsund Geschäftsbeziehungen; an reinen Erholungslandschaften haben die meist dünner besiedelten Überseeländer selber häufig mehr und bessere. „Bildungs“-Reisende bleiben aber meist kürzer.

Konnten bisher die westeuropäischen Länder ziemlich einträchtig den rasch wachsenden Touristenkuchen verspeisen, so wird künftig der „Fortnahmewettbewerb" (Herbert Groß) eine größere Rolle spielen. Schon bisher hat sich gezeigt, daß die Marktanteile im Fremden- vęrkehf weniger stabil sind ąls . in anderen Wirtschaftszweigen; das wird künftig noch viel unmißverständlicher zutage treten.

Aber nicht nur der Fremdenzustrom wird weniger steigen, auch das Angebot an Erholungslandschaften ist in Österreich angesichts der geringen Größe des Landes und des Fehlens einer Meeresküste, die sich fremdenverkehrsmäßig besonders gut auswerten läßt, beschränkt. Der österreichische Fremdenverkehr ist quantitativ nicht beliebig ausweitbar; er wird künftig qualitativ wachsen müssen oder er wird bald gar nicht wachsen.

Gewiß sind, vorab für den Ausländerfremdenverkehr, noch Gegenden zu erschließen. Bisher entfallen 31,5 Prozent der Nächtigungen auf Tirol, 17,6 Prozent auf Salzburg und 15,9 Prozent auf Kärnten. Der Anteil der übrigen Bundesländer ist gering und macht für Wien nur noch 4,1 Prozent und für das Burgenland gar bloß 1 Prozent aus. Aber in den vernachlässigten Bundesländern ist, wenn überhaupt, nur ein verhältnismäßig kleines Gebiet „klassische“ Erholungslandschaft.

Bisher hat Österreich in sträflicher Weise dem Quantitätsgesichtspunkt den Vorrang gegeben. Laut OECD- Studie „Tourism in OECD Member Countries“ (Paris 1969) geben die ausländischen Gäste in Österreich nur 330 Schilling pro Person und Tag aus, in der Schweiz dagegen 520 Schilling und in Italien sogar 580 Schilling, gar nicht zu reden von den Niederlanden (1100 Schilling) und der Bundesrepublik Deutschland (1300 Schilling).

Man mag einwenden, daß sich die Länge des Aufenthaltes zu den Tagěsausgaben eines Reisenden in der Regel umgekehrt proportional verhält, der Gast in Deutschland aber im Durchschnitt nur 2,1 Tage bleibt,, in Österreich dagegen 6,5 Tage (Italien 5,5 Tage). Dennoch sind die Unterschiede so kraß, daß sie mit dem Hinweis auf die Aufenthaltsdauer nicht kurzerhand abgetan werden können.

Daß Österreich vielfach das weniger zahlungskräftige Publikum anlockt, zeigt auch das verhältnismäßig hohe Wachstum in den billigeren Unterkunftsarten: 1970 wuchs die Zahl der Übernachtungen in den gewerblichen Betrieben nur um 12,3 Prozent, in den Privatzimmern dagegen um 14,1 Prozent und auf den Campingplätzen immerhin um 9,2 Prozent. In Kur- und Erholungsheimen machte der Zuwachs nur 4,1 Prozent aus.

Gliederte man die gewerblichen Betriebe näher auf und vergleicht sie international, so käme man auf einen ziemlich hohen Prozentsatz Unterkünfte niedrigerer Kategorien; zudem entsprechen die einzelnen Kategorien in Österreich noch immer nicht ganz dem Standard etwa in der Schweiz. Dazu kommt noch, daß sogar die jungen Reiseländer in ihren neu erbauten Hotels meist einen sehr hohen Standard halten, der freilich in den unteren Kategorien rasch und gründlich absinkt.

Die internationalen Erfahrungen, vorab in den letzten Jahren, haben aber deutlich bewiesen, daß vorwiegend nicht mehr das billige Angebot, sondern der hohe Standard zu relativ günstigen Bedingungen gefragt ist. Österreich muß daher vom „Image“ des billigen Reiselandes wegkommen, es muß sich mehr auf den „gehobenen Geschmack“ aus- richten, das zahlungskräftige Publikum anzusprechen versuchen, denn nur bei der Qualität liegen die Ausweitungsmöglichkeiten.

Es muß ein ähnlicher Umwandlungsprozeß einsetzen, wie wir ihn heute in Industrie und Gewerbe erleben: Weg von der Massenware, hin zum Spitzenerzeugnis, bei dem die kleine Serie kein Nachteil, sondern ein Vorzug ist. Bei Massenware ist unsere Industrie auf Grund Ihrer geringen Betriebsgrößen, geographischer Ungunst und des kleinen Inlandsmarktes den Riesenwerken in den großen Industriestaaten hoffnungslos unterlegen; für eine „Maßwerkstätte Europas“ sind hingegen die Aussichten günstig.

Ebenso muß Österreich das Land des „maßgeschneiderten“ Urlaubes werden. Wir müssen weg von der Campingplatz- und Massenquartiergesinnung, weg von der Verpflaste- rung unserer Seeufer nach der Losung (frei nach Tucholsky) und noch ‘ne Pension, und noch ‘ne Pension.“ Was dieses kurzsichtige Massen- und Rummelplatzdenken, das nur den Augenblickserfolg, nicht aber die Zukunftsmöglichkeiten erwägt, an unseren Badeseen schon gesündigt hat, ist erschreckend.

Nur noch „Riviera für den kleinen Mann“?

Wir werden es uns auf die Dauer nicht leisten können, das knappe und teure Personal für den Massentourismus einzusetzen; gewiß, wir können zur Selbstbedienung und zur Verabreichung von Fertiggerichten übergehen, wir können den Urlauber auf die Selbstverpflegung mit Konserven verweisen, aber das bedeutet, daß wir unsere Erholungsräume unter ihrem Wert verschleudern, auf eine möglichst hohe Wertschöpfung verzichten, gewissermaßen im Kleinbetrieb Massenwaren erzeugen, daher eines Tages nicht mehr wettbewerbsfähig sein werden.

Die Forderung nach dem maßgeschneiderten Urlaubsangebot hat noch einen weiteren Grund: gerade (und das gilt vor allem für den Sommer) was die trivialen Urlaubserwartungen betrifft („Sonne, Sand und Meer“ usw.), können wir mit Südeuropa nicht Schritt halten, geschweige denn mit überseeischen Erholungsräumen. Die völlige und auf den Massentourismus äbgestellte „Erschließung“ etwa der Ufer lassen unsere Badeseen zu einem minderwertigen Ersatz für das Mittelmeer, zu „Revieren für den kleinen Mann“ werden. Dazu kommt noch, daß man bisher auch herzlich wenig für den Umweltschutz getan hat, so vor allem die Abwässer meist erbarmungslos in die Seen leitete, oft mitten hinein in die Badestrände. Einst saubere kristallklare Waldseen sind heute oft schon in bedenklichem Maße fäkalienüberdingt, von sonstigen Verunreinigungen ganz zu schweigen. Erst in jüngster Zeit ist man um Abhilfe bemüht, wie die Sanierung des Zeller- und des Ossiachersees beweisen; wir wollen hoffen, daß das keine Einzelbeispiele bleiben, sondern eine Fortleitung der Abwässer bald überall die Regel ist.

Snob-Appeal?

Österreich (und gerade das wird oft übersehen) hat als Reiseland nur eine Zukunft, wenn es sich nicht nur auf den gehobenen, sondern auch auf den besonderen Geschmack einstellt, wenn es mehr bietet als die internationale Erholungsnorm. Das heißt, daß es nicht genügt, moderne, komfortable Unterkünfte der gehobenen Kategorien zu schaffen (so wichtig das auch ist), am Ende sogar die stillen Örtchen durchwegs mit Papierrollen und reinen Handtüchern auszustatten, Schwimmbecken, Golf- und Tennisplätze, Seilbahnen anzulegen, für Tanzkapellen zu sorgen usw., sondern daß es gilt, die Schönheit und Eigenart der österreichischen Natur- und Kulturlandschaft zu erhalten, wiederherzustellen, herauszustreichen, nicht nur Erholung, sondern auch Erlebnis zu bieten.

Moderne Unterkünfte schaffen heißt auch beileibe nicht, daß die Landschaft noch mehr als bisher mit welt- einheitlichen Betonklötzen und Glaskästen verstellt wird, sondern daß man, auch bei etwas erhöhten Kosten (sie werden sich auf längere Sicht mehr als reichlich bezahlt machen) schöne alte Gebäude bewahrt und instandsetzt, sie nur mit neuzeitlichen Bequemlichkeiten ausstattet. Wir haben zum Beispiel in Österreich 1368 Schlösser und Burgen, der Großteil vom Verfall bedroht, ein unschätzbares Kapital für den Fremdenverkehr, das bis auf wenige Ausnahmen brach liegt.

Gerade die zahlungskräftigen überseeischen Gäste werden wir nur anlocken, wenn wir ihnen nicht nur Erholung, sondern Kultur und Erholung, Urlaub und Romantik bieten. Hierfür bietet Österreich hervorragende Voraussetzungen, die freilich genutzt werden müssen; Salzburger Fest- und Bregenzer Seespiele allein genügen noch nicht, es muß die ganze österreichische Kulturlandschaft mitspielen. Daß womöglich viele Gäste nicht Bildung, sondern Snob-Appeal, nicht Romantik, sondern Kitsch suchen (wir müssen ihnen deswegen nicht Kitsch bieten), muß nicht unsere Sorge sein. Wichtig ist, daß ein Urlaub in Österreich seine unverwechselbare Eigenart aufweist, daß der Massen- und Camping-Tourismus gegenüber dem gehobenen Fremdenverkehr zurückgedrängt, daß ein Gefühl des Besonderen statt dem Allerweltsrummel geboten wird. Aber auch die besten Hotels werden auf die Dauer wertlos sein, wenn die Umwelt vernachlässigt wird.

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