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Alles aus einer Kraft ?
Der Mikrokosmos lehrt uns den Makrokosmos verstehen. An einer wichtigen physikalischen Entdek- kung in Genf hat erfreulicherweise auch Österreich seinen Anteil.
Der Mikrokosmos lehrt uns den Makrokosmos verstehen. An einer wichtigen physikalischen Entdek- kung in Genf hat erfreulicherweise auch Österreich seinen Anteil.
Bernard Shaw soll einmal gesagt haben: „Wir wissen über immer kleinere Dinge immer mehr, bald werden wir alles über nichts wissen.“ Shaw konnte freilich jene Organisation, die nach den kleinsten Bestandteilen der Materie, also danach forscht, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, noch nicht kennen.
Die Europäische Organisation für Nuklearforschung (Organisation Europėenne pour la Recherche Nuclėaire) - ihre Kurzbezeichnung CERN stammt aus der Zeit, als der erste Buchstabe noch für „Conseil“ stand — besteht seit 1955, hat ihren Sitz in Genf und 13 Mitgliedsländer, darunter alle wichtigen westeuropäischen Länder außer Portugal und Irland.
Österreich hat zu CERN hervorragende Beziehungen. Univ.- Prof. Wolfgang Kummer, Ordinarius für Theoretische Physik an der Technischen Universität Wien, ist Vizepräsident des CERN-Rates. Hervorragende österreichische Wissenschafter arbeiten in Genf. Etliche österreichische Firmen profitieren von CERN-Aufträgen. Und vor allem hat sich das 1966 gegründete Institut für Hochenergiephysik der österreichischen Akademie der
Wissenschaften in Wien als CERN-Partner in Österreich bewährt.
Auch am gegenwärtig interessantesten — und nobelpreisverdächtigen - CERN-Unterneh- men, dem sogenannten „Antipro- ton-Proton-Collider-Projekt“, hat das Wiener Institut seinen Anteil. Institutsvorstand Univ.-Prof. Walter Majerotto berichtet, daß unter großen Belastungen für die Mitarbeiter und mittels erheblicher Zuwendungen durch die Akademie und den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ein essentieller Teil je-, nes Detektors zustande gebracht werden konnte, der die Experimentabläufe registriert: „Die Auslese-Elektronik stammt zum Teil aus Wien.“
Was sind das nun für Experimente?
Zunächst handelt es sich um reine Grundlagenforschung, deren Gegenstand weniger die Kernphysik ist (sie endet bei Protonen und Neutronen, also den Partikeln des Atomkerns), sondern die Elementarteilchenphysik, die sich den Subteilchen dieser Partikel, den sogenannten „quarks“, widmet.
Dazu kommt die Hochenergie- physik, welche die zur Zertrümmerung der Protonen und Neutronen erforderlichen Elementarteilchenbeschleuniger liefert. Während die Energie eines Elek trons zwischen den Polen einer normalen Steckdose 220 Elektronenvolt (eV) beträgt, benötigt man in den Genfer Anlagen ein Vielfaches von einer Milliarde Elektronenvolt (.= ein Gigaelek- tronenvolt= ein GeV) an Energie.
Mit einer Energie von jeweils 270 GeV wurden im Rahmen des genannten Projektes beim „UA-1.-Experiment“ Protonen und Antiprotonen („Anti“ bedeutet jeweils spiegelbildlich verkehrte Eigenschaften) zur Kollision gebracht, wobei neben bereits bekannten auch neuartige Teilchen mit einer extrem kurzen Lebenszeit (10-2’ Sekunden) entstehen: „intermediäre Bosonen“.
Zwei solche Bosonen konnten heuer erstmals nachgewiesen werden: das Z-Boson, das sofort wieder in Elektron und Positron zerfällt; und das W-Boson, das ebenso rasch in Elektron und Neutrino zerfällt.
Warum sind diese Entdeckungen so wichtig? Der Klärung welcher wissenschaftlichen Frage dienen diese Experimente?
Prof. Majerotto erklärt: „Es geht darum, die kleinsten Bausteine der Materie und die dazwischen wirkenden Kräfte zu ergründen. Denn ein Verständnis des Mikrokosmos ermöglicht ein Verständnis des Makrokosmos. Das Ziel ist, alle Phänomene auf möglichst wenige oder sogar auf eine einzige Kraft zurückzuführen.“
Die der Wissenschaft bekannten vier Kräfte sind die Schwerkraft (Gravitation), die elektromagnetische Kraft, die „schwache“ Naturkraft (sie wirkt beim Zerfall der Atomkerne und bei der Radioaktivität mit) und die „starke“ Naturkraft (sie sorgt für die Bindung des Atomkerns). Nun will die Wissenschaft beweisen, daß es sich gar nicht um vier verschiedene Kräfte, sondern um vier Erscheinungsformen einer einzigen Kraft handelt.
Während vor Jahrzehnten Einsteins Versuch, die Theorien der Gravitation und der elektromagnetischen Kraft zu vereinigen, scheiterte, glückte nun die sogenannte „Elektroschwache Theorie“, die elektromagnetische und „schwache“ Kraft zusammenfaßt. Was die Nobelpreisträger des Jahres 1979 im nach ihnen be nannten„Glashow-Weinberg-Sa- lam-Modell“ theoretisch niederlegten, wurde nun in Genf im Experiment bestätigt. Dafür winkt in erster Linie dem Projektleiter Carlo Rubbia, in zweiter dem Niederländer Simon Van der Meer ein Nobelpreis.
Die beim „U^.-1-Experiment“ nachgewiesenen Bosonen sind nämlich nicht nur die Träger der „schwachen“ Kraft, sondern sie erwiesen sich auch als den Photonen, glso den Trägern der elektromagnetischen Kraft, verwandt.
Um nun noch Gravitation und „starke“ Kraft als Erscheinungsformen einer einzigen ,-,Urkraft“ nachweisen zu können, wird es noch vieler Anstrengungen bedürfen. Aber die Physiker sind einer Weltformel, die alle Naturgesetze zusammenfaßt, schon sehr nahegekommen.
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