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Alles halb so schlimm

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ZUR DISKUSSION Wie dringend sind Maßnah- men zur Verringerung der Abgasemissionen? Ist ra- sches Handeln geboten? Im folgenden die Gegenüber- stellung zweier unterschied- licher Standpunkte.

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ZUR DISKUSSION Wie dringend sind Maßnah- men zur Verringerung der Abgasemissionen? Ist ra- sches Handeln geboten? Im folgenden die Gegenüber- stellung zweier unterschied- licher Standpunkte.

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Fast jeder (Kinder eingeschlos- sen) macht sich heute Sorgen we- gen der weltweiten Klima Verände- rungen und besonders wegen des Treibhaus-Effektes. Man hat ge- lernt, daß die Konzentration von Kohlendioxid (CO,) in der Atmo- sphäre zunimmt. Wiederholt wur- de einem gesagt, daß die Tempera- turen um drei bis vier Grad steigen werden. Es steigt der politische Druck, Handlungen zu setzen un- abhängig von den Kosten - und zwar jetzt. Aber wie gut sind die Beweise für eine ins Gewicht fallende welt- weite, vom Menschen verursachte Erwärmung und wie wahrschein- lich ist sie? Wann wird sie eintre- ten?

Analysiert man die Situation, indem man die üblichen Standards wissenschaftlicher Forschung an- legt, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß es da mehr Lärm als solide Fakten gab. Einige Fragen drängen sich auf: Sind die Compu- ter-Modelle, die eine weiträumige Erwärmung vorhersagen, aussage- kräftig? Welche Wirkung hatten die vom Menschen erzeugten Treib- hausgase auf das Klima bisher? Wird die Konzentration von C02 in der Atmosphäre bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts auf das Doppelte steigen? ,

Die Arbeit am Bau von Modellen für das Weltklima wird intensiv von zumindest 14 verschiedenen Grup- pen betrieben. Sie haben sich weit- gehend darauf konzentriert, die Folgen einer Verdoppelung der für den Treibhaus-Effekt verantwort- lichen Gase in der Atmosphäre zu studieren. Wie zu erwarten, hängen die erzielten Ergebnisse von den Funktionen innerhalb des jeweils verwendeten Modells ab. Die Spannweite der Schätzungen be- trägt von 1,5 bis fünf Grad; es gibt also offensichtlich große Unsicher- heit.

Dazu kommt folgendes: Unter- sucht man einige wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema, so findet man fast einheitlich die Meinung vertreten, daß diese Mo- delle mangelhaft sind. Sie berück- sichtigen beispielsweise nicht aus- reichend die Wirkung der Wolken- bildung, von der man annimmt, daß sie mit steigenden Temperaturen an Bedeutung gewinnt. Wolken haben einen negativen Einfluß auf die Temperaturen, weil sie teilwei- se das Sonnenlicht in den Welt- raum zurückspiegeln. Sie haben aber auch eine positive Wirkung, weil sie die von der Erdoberfläche abstrahlende Wärme festhalten. Wie empfindlich Computer-Model- le auf auf die Eigenschaft der Wol- ken reagieren, hat ein Artikel kürz- lich gezeigt. Wurde der Wasserge- halt der Wolken im Modell berück- sichtigt, so sank die vorhergesagte, weltweite Erwärmung von 5,2 auf 1,9 Grad.

Was waren die Erwärmungsef- fekte (wenn sie überhaupt existie- ren) von Abgasen menschlicher Aktivität? Die typische Antwort ist 0,5 Grad. Aber die Antwort hängt vom gewählten Beobachtungszeit- raum ab. Es gab einen beachtlichen Temperaturanstieg von 1880 bis 1940. Von 1940 bis 1960 jedoch sind die Temperaturen so gefallen, daß eine bevorstehende Eiszeit vorher- gesagt wurde. Neue, genaue Satel- litendaten werfen weitere Fragen bezüglich der Erwärmung auf. Von 1979 bis 1988 wurde eine große Schwankungsbreite zwischen wö- chentlichen und jährlichen Zeitach- sen festgestellt, aber kein offen- sichtlicher Temperaturtrend wur- de beobachtet.

Modisch ist auch die Schätzung, daß bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts eine Verdoppelung des C02 der Erde eintreten wird. Aber bisherige Vorhersagen über den Energieverbrauch waren noto- risch ungenau. Beim derzeitigen Stand des C02-Ausstoßes ergäbe sich eine Verdoppelungszeit von 2 0 0 Jahren. Damit es zu einer Verdop- pelung bis 2050 kommt, müßte es zu einem beachtlichen exponentiel- len Wachstum der CO,-Emissionen kommen. Welche Brennstoffe soll- ten aber verbrannt werden?...

Was sollte also die Reaktion un- seres Landes auf die oben erwähn- ten Unsicherheiten sein? Selbst wenn der Treibhaus-Effekt ver- nachlässigbar wäre, sollten wir dennoch handeln. Beispielsweise sollten wir die Natur schützen und die Effizienz der Energie durch Steuererhöhungen, besonders bei Benzin, steigern. Wir sollten unsere Anstrengungen zur Entwicklung erneuerbarer Ressourcen, inklusi- ve Biomasse, stark erhöhen. Aber was immer wir tun, es sollte sich nach gut durchdachten langfristi- gen Zielen richten. Es sollte nicht das Ergebnis unausgegorener poli- tischer Reaktionen sein.

Auszug aus dem Leitartikel von „Science" vom 30. März 1990, aus dem Englischen von Christof Gaspari.

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