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Alles in Butter...

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Man sagt mir nach, ich sei ein Feinschmecker. Nun, ich esse gerne gut, und kann unterscheiden, was mir schmeckt und was nicht, ohne mich von dem Preis der Speisen und des Geschirrs beeindrucken zu lassen.

Es gab in meinem Leben verschiedene Zeiten: solche, in denen ich nächtelang Schlange stand, um ein Stück pappiges Brot zu bekommen, und auch solche, in denen man mich in vornehme Restaurants und zu exklusiven Empfängen einlud. Trotzdem: Mein größtes Geschmackserlebnis hat nichts mit berühmten Lokalen und raffinierten Speisen zu tun. Ich werde es nie vergessen, obwohl es genau fünfzig Jahre zurückliegt.

Wir lebten damals in einem Dorf am Ural als „Sondersiedler". Wir schmuggelten uns, vor allem wir Kinder, an den Spitzeln des Kommandanten vorbei in die nahe Stadt Krasnowischersk, um etwas Eßbares für die Familie zu ergattern. Ich war damals dreizehn.

Eines Tages erblickte ich im Büffet der Betriebsbücherei, wo ich mir Bücher geliehen habe, eine besondere Rarität: kleine Schnitten Schwarzbrot, dick mit frischer Butter bestrichen. Die Schnitte war sündhaft teuer: 90 Kopeken. Dafür gab es in der Kantine drei Portionen Milchreis! Mein Gewissen sträubte sich, so viel Geld aus der Familienkasse für meine Gelüste auszugeben, ich kämpfte mit mir eine Zeit lang, konnte aber nicht widerstehen. Der Genuß - ich dehnte ihn aus, so lange ich konnte - war himmlisch. Wahrhaftig, es gibt nichts Besseres als frische, sahnige, leicht gelbe Butter auf kernigem Brot!

Daß es mir damals so schmeckte, war kein Wunder - Butter war eben eine Rarität. Aber - sie ist auch heute für mich ein Genuß. Es ist mir nicht selten passiert, daß ich mir nach der Rückkehr von einem Empfang mit reichlich bestücktem Büffet eine Scheibe Brot schmierte - nicht weil ich Hunger, sondern weil ich Lust danach hatte.

Vielleicht ist dies eine Sache der Einstellung zum Leben, seine kleinen Gaben zu genießen: einen winzigen Erfolg, ein warmes Wort, einen klugen Satz, das Lächeln einer Frau oder eines Kindes. Sollte man immer nur auf das große Glück warten, müßte man die meiste Zeit des Lebens unglücklich sein.

Ich kann nicht verstehen, warum normale, gesunde Menschen bereit sind, sie durch irgendein chemisch erzeugtes Gemisch zu ersetzen, das im besten Fall „wie Butter" schmeckt. Das ganze „medizinische", vielmehr medienzynische Gerede von der Schädlichkeit eines Naturproduktes berührt mich nicht, zumal die Wissenschaftler einmal so und einmal umgekehrt reden.

Wer auf die tagtäglichen neuen Erfindungen der gelehrten Männer hört, dürfte nichts essen, nichts trinken, und auch nicht atmen. Er müßte sterben - aber das dürfte er auch nicht, weil er mit den Schadstoffen aus seinen körperlichen Überresten die Umwelt verschmutzen würde.

Dieser Gesundheitswahn, diese hysterische Suche nach Schädlichem in allem, was gut ist, hat in Wirklichkeit mit Gesundheit nichts zu tun. Dies ist ein Ausdruck des schlechten Gewissens der satten Menschen in den reichen Ländern - es ist ja ungerecht, daß es ihnen um so viel besser geht, als den Hungrigen. Sie trösten sich damit, daß es ihnen auch schlecht geht: sie haben ja so viele gute Sachen zum Essen, und jeder Biß gefährdet ihr Leben!

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