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Alles ins Ministerium

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Die jüngst erfolgte Verlautbarung des Maßnahmenkatalogs zur Kulturpolitik provozierte die ÖVP-Kulturapostel zur unvermeidlichen Frage, weshalb Unterrichtsminister Sinowatz, „was er hier so großartig verkünde, nicht schon längst in Angriff genommen habe“. Diesen kalten Hauch der Skepsis hatte fünf Wochen vorher — Mitte Juni — auch der ÖVP-Kultursprecher Paul Kaufmann zu spüren bekommen, als er mit einem neuen Bil-dungs- und Kulturprogramm (ÖVP-Plan IV zur Lebensqualität) vor die Journalisten trat: „Das ist alles gut und schön, aber wann geschieht endlich etwas? Wieso kommt die ÖVP erst jetzt auf diese Ideen; sie hat doch lange genug selbst den Unterrichtsminister gestellt...“ Diese Ungeduld der Kulturexperten gegenüber Politikerversprechen und Parteikonzepten scheint verständlich: In keinem anderen Bereich tut sich eine derartige Kluft auf zwischen dem, was in Reden und neuerdings auch in Programmentwürfen versprochen, und dem, was in der Praxis gehalten zu werden pflegt.

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Die jüngst erfolgte Verlautbarung des Maßnahmenkatalogs zur Kulturpolitik provozierte die ÖVP-Kulturapostel zur unvermeidlichen Frage, weshalb Unterrichtsminister Sinowatz, „was er hier so großartig verkünde, nicht schon längst in Angriff genommen habe“. Diesen kalten Hauch der Skepsis hatte fünf Wochen vorher — Mitte Juni — auch der ÖVP-Kultursprecher Paul Kaufmann zu spüren bekommen, als er mit einem neuen Bil-dungs- und Kulturprogramm (ÖVP-Plan IV zur Lebensqualität) vor die Journalisten trat: „Das ist alles gut und schön, aber wann geschieht endlich etwas? Wieso kommt die ÖVP erst jetzt auf diese Ideen; sie hat doch lange genug selbst den Unterrichtsminister gestellt...“ Diese Ungeduld der Kulturexperten gegenüber Politikerversprechen und Parteikonzepten scheint verständlich: In keinem anderen Bereich tut sich eine derartige Kluft auf zwischen dem, was in Reden und neuerdings auch in Programmentwürfen versprochen, und dem, was in der Praxis gehalten zu werden pflegt.

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Die Forderungen des schwarzen Bildungsplans decken sich mit denen des roten Ministerkataloges in vielen Punkten. Hier wie dort setzt man sich die Chancengleichheit im Zugang zur Kultur und den Abbau des enormen Kulturgefälles zum Ziel; fordert man neue Kulturstätten mit eigens dafür auszubildenden Funktionären (Animatoren) sowie eine Vertiefung der Kunsterziehung und der musischen Betätigung in den Schulen. Bereits im Vorschulalter soll die Kreativität geweckt und aktiviert werden. Diesem Anliegen, etikettiert mit dem Modewort „Ani-mazione“, widmet der ÖVP-Bil-dungsplan verdienstvollerweise ein eigenes Kapitel.

Daneben kristallisieren sich weitere Gemeinsamkeiten in den Anliegen von roten und schwarzen Kulturplanern heraus:

• Für die Bewohner der Bundesländer soll der Theaterbesuch erleichtert werden. Hier schweben dem Minister' Woebenendarrangemehts mit Verbilligten Reise- und Übernachtungsmöglichkeiten vor (diese Idee ist allerdings nicht ganz neu. Ähnliches gab es bereits in den dreißiger Jahren, und Ratzenböcks Aktion „Offenes Theater“ in Oberösterreich beruht ebenfalls auf diesem Grundgedanken).

• Der Literaturunterricht bedarf einer „Verlebendigung“ (Sinowatz), unter anderem auch „durch Begegnungen mit Schriftstellern in den Schulen“ — fordert der ÖVP-Plan eine Praxis, die teilweise bereits stillschweigend geübt wird: „Die Deutschlehrer sollen von innerschulischen Budgetrücksichten dadurch unabhängig werden, daß Autorenlesungen in den höheren Schulen vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst, in den Pflichtschulen von den Landeskulturreferenten bezahlt werden“.

• Die Versorgung mit Büchern soll verbessert werden. Gefordert wird der Ausbau der Schulbibliotheken und Volksbüchereien. Die ÖVP will darüber hinaus Zoll- und Abgabevergünstigungen für Bücher sowie Subventionen für Buchgemeinschaften.

• Um die Jugend in verstärktem Maße an das Kulturgeschehen heranzuführen, soll ein Förderungsschwerpunkt auf die für die jungen Leute geschaffenen Kulturinstitutio-nen, wie „Theater der Jugend“, „Musikalische Jugend“ usw., gelegt werden.

• Schließlich soll sich das Musikschulwesen der Bundesländer in Zukunft besserer Unterstützung erfreuen dürfen.

Soweit die Bandbreite, über die man sich hüben wie drüben eines Sinnes weiß. Während nun die linke Reichshälfte das ÖVP-Kulturpro-gramm bisher nicht einmal ingoriert, d. h.: weder kritisert noch „grundsätzlich begrüßt“ hat, riefen die im Sinowatz-Plan vorgesehenen ministeriellen Schaltstellen die ersten Zweifel auf den Plan. So befürchtet der oberösterreichische Kulturmotor Ratzenböck, daß sich Sinowatz mit diesem Vorhaben übernehmen könnte: „Um all das zu schaffen, bedürfte es wahrscheinlich eines eigenen Ministeriums“.

Schon die seltsame sozialpartner-schaftliche Konstruktion des „Kulturpools“, so benannt nach dem stillen Vorbild des „Skipools“, ist nicht eben anheimelnd: Neben Bund,Ländern, Bundestheatern und ORF sollen auch der ÖGB und die Kammern daran teilnehmen. Ziel dieses Pools: „Mit dem Einsatz moderner Werbetechniken soll eine verstärkte Anteilnahme der Bevölkerung am Kulturgeschehen erreicht und ein kulturfreundlicheres Klima geschaffen werden“.

Von der Koordinierungsstelle für Kulturförderung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden befürchtet der Präsident des „Österreichischen Kulturgesprächs“, Gesandter Johann Dengler, eine stillschweigende Liquidierung bzw. Verstaatlichung seines Vereines. Denn der von Sinowatz ins Auge gefaßte „Kulturbundesrat“ (so der Arbeitstitel der Koordinierungsstelle) soll neben der Begutachtung von Kulturgesetzentwürfen auch ein jährliches „Kulturgespräfib,“. organisieren, bei dem „gemeinsame Kulturvorhaben beraten und die kulturellen Erfahrungen der Gebietskörperschaften ausgetauscht werden“.

Vorwürfe, wie „Zentralismus“, „Dirigismus“ und „staatliche Reglementierung, werden spätestens bei der „Servicestelle“ manifest, mit deren Hilfe das Ministerium — in erster Linie ist an Schulen, Betriebe, Erwachsenenbildungseinrichtungen und Jugendklubs gedacht — die Künstlervermittlung selbst in die Hand nehmen will. Dengler vermutet eine falsch angesetzte Therapie: „Kultur soll offensichtlich staatlich verordnet werden. Ausgangsund Endpunkt aller Maßnahmen ist nämlich das Ministerium. Die Neigung, im Zuge von Reformen nicht nur Macht anzuwenden, sondern auch neue Macht im eigenen Ressort anzusiedeln, ist für einen Minister geradezu klassisch“.

Hier scheiden sich also die Geister: Die zwar überparteilich zur Diskussion offen stehenden, von Gründungsgeschichte und Grundtendenz aber im Nahbereich der ÖVP angesiedelten „österreichischen Kulturgespräche“ stehen nach wie vor auf dem Boden der Künstlerautonomie. 1972 haben sie bekanntlich in Innsbruck ein Modell der Künstlerselbstverwaltung ausgearbeitet und dem Minister vorgelegt. Demgegenüber beruft sich Sinowatz darauf, Kulturpolitik sei eben Sache des Unterrichtsministers, die Ministerverantwortlichkeit ließe sich nicht einfach auf die Künstler übertragen. „Aber das ist doch kein Argument“, schnaubt Präsident Dengler, „dann dürfte auch der Sozialminister keine Sozialpolitik mehr machen, weil es eine Arbeiterkammer und den ÖGB gibt“. Der wahre Grund für die ablehnende Haltung des Unterrichtsministers wird von den Vertretern des Kulturgesprächs woanders vermutet: „Trotz der Phrasen vom Demokratisierung, Transparenz und Partizipation ist Sinowatz nicht bereit, die Künstler als gleichberechtigte Gesprächspartner zu akzeptieren“. Gäbe es nämlich gewählte Repräsentanten eines (in einer Art Künstlerkammer) organisierten Künstlervolkes, dann läge es nämlich nicht mehr in der Macht des Herrn Ministers, nur ihm genehme Kulturbeiräte in Kommissionen zu nominieren, ORF-Virilisten zu bestellen usw.

Mangelnde Kommunikationsfreude und Ignoranz gegenüber den Kulturschaffenden sind in der Tat die beiden schwachen Stellen, die schon anläßlich der Erstellung des Maßnah-menkataloges konstatiert werden konnten. Weder wurde der Kontakt mit den Ländern gesucht, obwohl ja gerade bei diesen die primäre Zuständigkeit für die Durchführung eines großen Teils der ministeriellen Vorhaben liegt, noch wurde auf das schriftliche Angebot des „Kulturgesprächs“, an der Erstellung des ministeriellen Kulturfahrplanes mitzuarbeiten, auch nur geantwortet.

Von ähnlicher Kontaktarmut zeigte sich das Unterrichtsministerium bekanntlich auch bei der Planung der . ORF-Akademie,.. deren Verwirkji-, chung laut-Maßnahmenka.ijälog knapp, bevorsteht. Ursprünglich hätte dieses Projekt noch vor dem Sommer realisiert werden sollen; inzwischen scheint es kaum noch realistisch, vor den Oktoberwahlen damit zu rechnen. Zwar wurde die Absicht von Unterrichtsministerium und ORF, in diesem machtvollen Apparat von der Planung weg unter sich zu bleiben, durch einen empörten Aufschrei der Landeshauptleute und Landeskulturreferenten durchkreuzt — „föderalistische Querschüsse“ nannte es das sinowatzfreundliche „Profil“. Das inzwischen gegenüber den Landeshauptleuten Wenzel und Lechner gegebene Versprechen, den Erwachsenenbildungsverbänden ein echtes Mitentscheidungsrecht zu geben, die Statuten in diesem Sinn zu ändern und den Ländern „zur Kenntnisnahme“ zuzuschicken, wurde bis dato nicht erfüllt. So hat sich Hofrat Korn von der Verbindungsstelle der Bundesländer bis zur Stunde erfolglos bemüht, dem in dieser Frage besonders verschlossenen Ministerium Unterlagen über die ORF-Akademie abzuluchsen.

Natürlich hätte auch der ORF seine Macht lieber nur mit dem Ministerium als einzigem Partner geteilt. Und das nicht erst seit heute. „Auch Gerd Bacher wollte keine allzu breite Beteiligung“, erinnert sich

Elmar Dick, der Bundessekretär des Ringes Österreichischer Bildungswerke, „außerdem soll seihe Meinung über die Erwachsenenbildung nicht die beste gewesen sein. Und diese Tradition wird nun fortgesetzt“. Fortgesetzt durch Generalintendant Oberhammer, der am 14. Mai in Strobl den versammelten Vertretern der Erwachsenenbildung angeblich „zynische Geringschätzung“ spüren ließ und sie mit Phrasen wie „es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht“ abspeiste.

Bezeichnend ist ferner, daß in dieser schwierigen Gründungsphase der Funk- und Fernsehschule niemals inhaltliche Fragen im Vordergrund des Interesses standen. Wer über Art und Umfang der Bildungsziele Aufklärung sucht, wird auch aus den bisherigen, inzwischen schubladier-ten Entwürfen nicht klug. Vielmehr waren es bislang Überlegungen teils parteitaktischer, teils personälpoliti-scher Natur, welche die Einigung auf einen endgültigen Entwurf verhinderten. Zuerst, in der Ära» Bacher, scheute die SPÖ davor 'zurück, das Akademieprojekt zu realisieren, ehe sie im ORF selbst tabula rasa gemacht hatte. Später ging es um die Frage der Geschäftsführung, saßen doch in den Verhandlungsteams selbst die Anwärter auf den neuzuschaffenden Posten. Auch ein „Doppelmanagement“ mit einem pädagogischen und einem kaufmännischen Leiter soll erwogen worden sein.

Die nächste Hürde in der langwierigen Gründungsgeschichte ergab sich im vergangenen Mai. Damals beschlossen rote und schwarze Landeskulturreferenten in schöner Einmütigkeit eine Resolution, in der sie gegen den Ausschluß der Länder von den Verhandlungen protestierten und Mitsprache verlangten. In diesem Sinne wandte sich auch die Landeshauptleutekonferenz gegen die Geheimnistuerei zwischen ORF und Ministerium: Neben den Landeshauptleuten Wenzl und Lechner ließ sich auch der sozialistische Bürgermeister Gratz in jenes Team nominieren, das im sozialistischen Unterrichtsministerium im Sinne der Länder intervenierte. Doch seit Sinowatz daraufhin versprach, die Vorstellungen der Länder „entsprechend“ zu berücksichtigen, wurden vom Ministerium keine weiteren Verhandlungstermine mehr anberaumt, so daß bis zur Stunde kein endgültiger Entwurf der Akademie-Konstruktion (Satzungen des Vereines „österreichisches Studieninstitut“) vorgelegt werden konnte. Wieder einmal scheint es die Regierung zu sein, die aus naheliegenden Gründen die Bremse gezogen hat. Was man ihr nicht verargen kann. Denn wenige Wochen vor dem Wahltag zeigt sie verständlicherweise nur wenig Lust, sich auf eine neue Front einzulassen. Wer weiß schon, ob die Länder mit dem, was man ihnen im neuen Entwurf zugestehen will, tatsächlich zufrieden sein könnten, wie Minister Sinowatz es glauben machen will. Er selbst gibt sich „offenherzig“ und behauptet, seit der klärenden Aussprache mit Wenzel und Lechner im Einvernehmen mit den Landeshauptleuten vorzugehen — einem Einvernehmen, von dem die Betroffenen noch immer nichts wissen.

Zurück zum Maßnahmenkatalog: Sein zweiter Mangel, das Übergehen der Künstler, ihrer Existenzsorgen und Rollenprobleme, hat sich bereits im Rahmen der ifes-Studie abgezeichnet. „Vom Ministerium mit der Zielsetzung in Auftrag gegeben, eine Handhabe für weitere Maßnahmen zu sein“ (Sinowatz gegenüber der Zeitschrift „Academia“), stellte sie sich im wesentlichen als Neuaufguß des bereits 1973 veröffentlichten „Mikrozensus“ dar (wodurch die Sinowatz-Äußerung: „Jetzt haben wir schwarz auf weiß, was wir ohnehin bereits wissen“, einen doppelten Sinn erhält). Als Zutat erfuhr diese Zusammenschau einen an Blüten reichen Kommentar. Bei aller Selbstgefälligkeit dürften sich die Verfasser aber selbst eher im Zweifel darüber gewesen sein, ob sie mit ihren Ergebnissen auch eine ausreichende „Grundlage“ für weitere politische Entscheidungen geschaffen hätten. Allzusehr beklagten sie den Mangel an Zeit, Geld, Vorarbeiten und eines „erprobten wissenschaftlichen Instrumentariums“. Die Meinung der Kunstschaffenden wird in dieser Studie konsequent ignoriert und ein neues Rollenbild des Künstlers gezeichnet: „Kulturschaffende Spezialisten“, „Aneiferer und Ermutiger künstlerischer Selbstaktualisierung“, „Lehrer und Ratgeber für die aktive Volkskultur“. Letzteres scheint wiederum durchaus konsequent, wenn als Alternative zur professionalen Kunst und zur „Kennerkultur“ die „Amateurkultur“ gefordert wird.

Sinowatz sollte endlich zur kulturpolitischen Tat schreiten, anstatt sich durch ein Hochspielen des Gegensatzes zwischen „Hoch“- und „Volkskultur“ einem Spiel mit ungewissem Ausgang hinzugeben, räsonierte daraufhin Paul Kaufmann, seines Zeichens ÖVP-Nationalrat und Generalsekretär des Steirischen Herbstes: „Welche kulturpolitischen Probleme (angefangen von der kulturellen Abstinenz weiter Bevölkerungskreise bis zu den Bundestheatern) hat denn die Regierungspartei schon gelöst? Probleme, deren Nichtlösung man der Volkspartei all die Jahre zuvor heftig vorgeworfen hat“. Und der oberösterreichische Landesrat Ratzenböck sekundiert: „Ich frage mich manchmal wirklich, was Sinowatz in all den Jahren gemacht hat“.

Vor dem oppositionellen Vorwurf mangelnder Aktivität ist, wie man sieht, nicht einmal ein Fred Sinowatz gefeit, der — und so weit geht auch sein unbestrittener Verdienst — das „Sprechen über Kultur“ wie keiner seiner Amtsvorgänger in Mode gebracht hat. Ein Minister, der es darüber hinaus glänzend versteht, sich allerortens unentbehrlich zu machen. Unentbehrlich für die burgenländi-sche SPÖ, die unter der Devise „Mit uns für Sinowatz“ ihren Wahlkampf auf die Spezialgröße des obersten Bundes-Kulturherrn und ehemaligen Landeskulturreferenten des Burgenlandes zugeschnitten hat. Unentbehrlich auch für den Fortschritt auf dem Gebiet der Kulturpolitik in Österreich: in drei Jahren könne man ihn beim Wort nehmen, was aus dem Maßnahmenkatalog in der Praxis geworden sei. Womit letzterer für Sinowatz auch als eine Art persönliches Wahlprogramm dient. Denn, folgt man diesem Gedankengang, dann wäre nur eine Ära Sinowatz II der Garant für die Einhaltung des von Sinowatz I Versprochenen.

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