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Alles ist halb so schlimm

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Das „Deutsche Reisebüro” in Frankfurt ist mit seinem Wunsch ein delikater Testfall: Stellvertretend für rund 5000 Bundesbürger, die ihre Moskau-Tickets zurückgegeben haben (und damit auch auf rund 27.000 Eintrittskarten zu Wettkämpfen verzichten), wollte er in einem Schreiben von der Regierung in Bonn wissen, wie man denn dort zu einem Ausgleich dieser Verluste in Höhe von rund 17 Millionen Schilling stehe.

In England, das eine Reihe von Sportlern mit absoluten Siegchancen an die Moskwa entsendet, werden nur rund 2000 der geplanten 8000 Olympia-Fahrer auch tatsächlich die neugebauten Touristenbettenburgen in der Welt umstrittenster Olympiastadt beziehen.

Aus den USA wird bestenfalls eine-Handvoll Unentwegter den Flug hinter den Eisernen Vorhang antreten - und auch aus Österreich wird es nur ein paar Dutzend Fans nach Moskau drängen.

Wie sagten dazu die sowjetischen Veranstalter: „Wir sind froh, daß nun so viele Touristen aus dem Westen ausfallen, weil dafür die übrigen ein weitaus besseres Service genießen werden . . .”

Um eine Milliarde Schilling ging es im Vertrag zwischen dem amerikanischen Fernsehriesen NBC und Moskau: Als US-Präsident Carters Aufruf zum Fernbleiben wenigstens in seiner Heimat erfolgreich verlaufen war, hatten die TV-Leute bereits mehr als zwei Drittel der Summe an die Russen überwiesen. Nun wird die Versicherungsfirma Lloyds in London darum angegangen: 90 Prozent der Verluste sollen von ihr gedeckt werden ...

In der BRD wird der wirtschaftliche Verlust durch das entgangene Geschäft mit den Olympia-Maskottchen auf satte 750 Millionen Schilling geschätzt. Ein kleines Beispiel dafür: Unternehmer Sommer, der mit der Produktion von hunderttausenden „Mischa”-Bä-ren für russische wie deutsche Geschäftsläden zum reichen Mann hätte werden können, versucht nun angesichts der übervollen Lager, vergeblich das Mitleid der sowjetischen Geschäftspartner zu rühren.

Zurück bleibt - neben dem Spott -noch der Schaden. Und der nicht zu gering: 30 Millionen Schilling Umsatz-entgang, vier Millionen reiner Verlust.

In Amerika war man da schon cleverer: Dort wurden etwa 2200 Dutzend Olympia-Trainingsanzüge - mit dem Uberkleber „Boykott” versehen - zum absoluten Renner . . .

Wie überhaupt noch die andere Seite der Medaille zu beachten ist: Denn mag auch Coca-Cola mehr oder minder freiwillig auf den großen Coup verzichten, die Moskauer werden es nicht spüren. Sie werden eben Pepsi-Cola trinken. Und damit einem anderen Großkonzern zu Umsatzmillionen verhelfen.

So läuft auf verschlungenen Pfaden gar manches, was in boykottierenden Staaten unterbunden werden sollte -wenn es nicht überhaupt schon gelaufen ist, das große Olympia-Geschäft zwischen West und Ost: So darf sich etwa

Daimler-Benz als Gegenleistung für die kostenlose Überlassung von 22 Limousinen zum Zwecke der Personenbeförderung über zu erwartende Geschäftsbeziehungen auf dem Nutzfahrzeugsektor die Hände reiben („Für uns war Olympia ein Türöffner”).

Oder jene Firmen, die Großküchen eingerichtet haben, die Kühlschränke sonder Zahl geliefert, Kosmetika produziert und Münzfernsprecher installiert haben. Oder, oder . . .

Die Moral von der Geschieht': Es ist alles halb so schlimm, auch wenn vereinzelte Pleiten eingetroffen sind.

Halb so schlimm für die Amerikaner, weil das Image der Beteiligten (der Firmen und Sportler) in der Öffentlichkeit ungemein gestiegen ist - und die Partner in der Dritten Welt bei allem Groll eh' auf US-Hilfe angewiesen sind.

Halb so schlimm für die Russen, denen zwar Deviseneinnahmen entgehen, die aber den größten Teil der Geschäfte schon lange vor Carters „No” getätigt hatten.

Und halb so schlimm, weil es sich ja um einen bloß vordergründigen „Wirtschaftsboykott handelt, der wohl schlimmstenfalls Strukturverlagerungen nach sich zieht: Irgendwann wird nämlich ein findiger Kaufmann drauf-kommen, daß die „Mischa”-Bären ohne - Olympiaschleife immer noch recht ansehnliche Kinderfreunde sein könnten .. .

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