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Alles offen

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Im TV-Duell zwischen Bundeskanzler Kreisky und ÖVP- Obmann Schleinzer blieb die Frage des nächsten Termins für die Nationalratswahl völlig offen. Zweimal versuchte Schleinzer, seinen Gegenspieler zu einer Terminfestsetzung zu drängen, doch Kreisky hielt an seiner alten Formel fest: Wenn nicht Unvorhersehbares geschieht, bleibt es beim ersten Sonntag im Oktober 1975. Doch was alles kann nicht im terminentscheidenden Augenblick als „unvorhersehbar“ bezeichnet werden? Ein aggressives Wort der Opposition, ein (Preis-)Gesetz, das die Bundesregierung im Parlament nicht durchbringt?

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Im TV-Duell zwischen Bundeskanzler Kreisky und ÖVP- Obmann Schleinzer blieb die Frage des nächsten Termins für die Nationalratswahl völlig offen. Zweimal versuchte Schleinzer, seinen Gegenspieler zu einer Terminfestsetzung zu drängen, doch Kreisky hielt an seiner alten Formel fest: Wenn nicht Unvorhersehbares geschieht, bleibt es beim ersten Sonntag im Oktober 1975. Doch was alles kann nicht im terminentscheidenden Augenblick als „unvorhersehbar“ bezeichnet werden? Ein aggressives Wort der Opposition, ein (Preis-)Gesetz, das die Bundesregierung im Parlament nicht durchbringt?

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Der Gewerkschaf tsflügel in der Regierungspartei drängt, nachdem er sich nun einmal in dieser Richtung entschieden hat, heute auf eine Vorverlegung der Wahlen in den März 1975. Offensichtlich fürchtet er eine bedeutende Verschlechterung des wirtschaftlichen Klimas, dessen Besserung er nur im Rahmen einer breiten parlamentarischen Basis der Bundesregierung für möglich hält. Offensichtlich glaubt man im Gewerkschaftsbund aber auch, daß die aktuelle tiefgreifende Schwäche der FPÖ und ihrer Führung diese Partei aus dem Rennen um die Beteiligung an einer kleinen Koalition geworfen hat. Dem politischen Stehaufmann Peter traut man, wie es scheint, auch eine Erholung zu. In dieser Frage ist man im ÖGB viel optimistischer als die meisten FP- Spitzenfunktionäre (außer Friedrich Peter).

Bundeskanzler Kreisky, der im TV-Duell mit Schleinzer bestrebt war, den Eindruck zu verwischen, daß er mit dem ÖVP-Obmann nicht Zusammenarbeiten könne, dürfte nach wie vor auf eine kleine Koalition mit der FPÖ des Friedrich Peter setzen. Deshalb konnte es auch nicht überraschen, daß im Zuge der jüngsten FP-Füthrungskrise die „Arbei- ter-Zeitung" Peter vor den „Rech ten“ in der FPÖ in Schutz nahm. Wörtlich hieß es in einer Bildlegende: ,Peter wehrte, obgleich angeschlagen, den Rechteputsch noch einmal ab.“

Ob Friedrich Peter solch hohes Lob der „Arbeiter-Zeitung“ in der eigenen Partei freilich nützen wird, bleibt abzuwarten. In FPÖ-Kreisen wurde die „Arbeiter-Zeitungs“- Story sogar als von Peter selbst angezettelt disqualifiziert. Denn frohlookend durfte die „AZ“ melden, was sonst keiner Zeitung auf fiel: „Peter ist, jedenfalls bis zu den nächsten Wahlen, fest im Sattel.“

In Bruno Kreiskys politischer Kalkulation bleibt Friedrich Peters FPÖ demnach ein fixer Bestandteil. Aus der Umgebung des Bundeskanzlers hört man auch, es könnte unter allen Umständen nach den nächsten Wahlen mit der FPÖ eine Koalition gebildet werden — und sei es auch eine „Koalition der Verlierer“ und gegen den Widerstand des Gewerkschaftsflügels. Immerhin ist dies die einzige Möglichkeit des Bundeskanzlers, seine Regierungsführung zu prolongieren, wobei er sogar Lustgewinne aus der dadurch völlig veränderten politischen Konstellation schöpfen würde. Dem noch immer unberechenbaren Zaubermeister der innenpolitischen Szene würde man eine solche Denkungsart durchaus Zutrauen, die Frage ist bloß, ob er sich damit auch in der eigenen Partei durchsetzen könnte, wo es ja auch abseits des großen Gewerkschaftsblocks hohe Funktionäre gibt, die von einem Zusammenspiel mit der FPÖ nichts wissen wollen.

Die ÖVP fühlt sich verpflichtet, politisches Selhstbewußtsein zu verbreiten und große Zuversicht für den Ausgang der Nationalratswahlen, wann immer sie stattfinden, auszustrahlen. ÖVP-Obmann Schleinzer weiß zu genau, daß seine politische Karriere mit dem Einzug in die nächste Bundesregierung steht und fällt. Dabei dürfte es innerparteilich keine allzu große Rolle spielen, ob die ÖVP nur als Juniorpartner (freilich mit der Besetzung strategisch wichtiger Regierungsämter) ein Regierungs- Comeback feiert. Bislang hat sich die etwas langatmige Strategie bewährt, der entscheidende Durchbruch fehlt freilich noch. Vielleicht erklärt das date Nervosität, die derzeit — nicht nur in der Steiermark — in der ÖVP noch immer herrscht. Offensichtlich befürchtet man da und dort ein CDU-Sohicksal der Volkspartei, die seinerzeit unter ihren Parteivorsitzenden Barzal auf Landtagsebene ebenfalls von Wahlsieg zu Wahlsieg eilte, dann aber die entscheidende Bundesschlacht verlor. Dennoch sollte man gelegentliche Äußerungen höherer ÖVP-Funktionäre nicht höher bewerten, als sie es tatsächlich verdienen. Die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der ÖVP ist unumstößlich: er heißt Karl Schleinzer. Und aus dieser Entscheidung gilt es nun für die Volkspartei, das Maximum herauszuholen.

Karl Schleinzer rechnet fest damit, daß sich in nächster Zeit das wirtschaftliche Klima in Österreich weiter verschlechtern wird und daß dann Besonnenheit und realistischer politischer Weitblick, beides Eigenschaften, die Karl Schleinzer wie ein Maßanzug passen, mehr als gefragt sind. Diese politische Kalkulation ist der mutmaßlichen wirtschaftlichen Entwicklung angemessen, doch deshalb problematisch, weil sie ohne den Wirt gemacht ist. Und der heißt

Bruno Kreisky und scheint — derzeit? — nicht gewillt, das Szepter in der Löwelstraße und am Ballhausplatz aus der Hand zu geben. Trotz immer öfter wiederkehrender politischer Schwächemomente dürfte er derzeit wieder viel stärker nach der Prolongation seines Regie- rungsamtes blinzeln, als das noch vor wenigen Wochen der Fall war.

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