6962473-1985_01_05.jpg
Digital In Arbeit

Alles schon dagewesen...

Werbung
Werbung
Werbung

Das offizielle Österreich stellte das abgelaufene Jahr 1984 unter das Motto: 50 Jahre nach 1934. Die gerade 100 Jahre alt gewordene Säulenhalle des Wiener Parlamentsgebäudes bot den Rahmen für eine von den drei im Nationalrat vertretenen Parteien gemeinsam veranstaltete Gedenkkundgebung.

Das „gemeinsam” konnte hoffnungsfroh stimmen. Die geringe Berücksichtigung historischer Gegebenheiten weniger: Im Februar 1934 gab es nämlich kein funktionierendes Parlament mehr, sodaß die Wahl des Ortes für die Gedenkstunde zumindest anfechtbar erscheinen mußte.

Noch anfechtbarer freilich waren die getrennten Ausstellungen der beiden großen Parteien. Die ÖVP bemühte sich im Semper-Depot redlich um Distance zu den ehemaligen Christlichsozialen, während die SPÖ in der Koppreiter-Remise — in der sie einst die Arbeiterkultur eindrucksvoll präsentiert hatte - die „Kälte des Februar 1934” aufzeigte.

Was niemand so richtig eingestehen wollte, ist die durch historische Forschungen immer belegbarer werdende Tatsache, daß in der Ersten Republik ein schleichender Verfall des Ansehens des Parlaments zum Ende der Demokratie beitrug.

Hatte man nach dem Zusammenbruch der Monarchie in der jungen Republik die Volksvertretung praktisch an die Stelle des Monarchen gesetzt, so stand die Verfassungsreform 1929 doch deutlich im Zeichen einer Verselbständigung der regierenden auf Kosten der gesetzgebenden Gewalt.

Fast wie ein Symbol muß es deshalb anmuten, daß 1984 nicht nur den Blick auf 50, sondern sogar auf 100 Jahre zurücklenkte: Im Dezember 1884 zog das damalige Herrenhaus in den von Theodor Ritter von Hansen errichteten Prachtbau an der Wiener Ringstraße ein, nachdem das Abgeordnetenhaus schon im Jahr zuvor seinen Gebäudeteil bezogen hatte.

Mit Recht verwies Nationalratspräsident Anton Benya bei der gemeinsamen Festsitzung des Nationalrates und des Bundesrates auf das Pathos und die Parlamentsbegeisterung, die dem Konzept zugrunde lagen, den noch relativ jungen Institutionen des Abgeordnetenhauses und des Herrenhauses einen Sakralbau im Stil eines griechischen Tempels zu widmen.

Harmonisch fügte sich die Symbolik ein, vor dem Parlamentsgebäude ein Standbild der Weisheitsgöttin Pallas Athene zu plazieren und auf den Rampenflügeln die Statuen griechischer und römischer Geschichtsschreiber aufzustellen, als Mahnung an die Parlamentarier, daß sie sich mit ihren Reden und Entscheidungen vor der Geschichte zu verantworten haben.

Im Grunde genommen ist die

Geschichte des österreichischen Parlamentarismus zugleich auch eine Geschichte ständiger Ausweitung des Kreises von Verantwortungsträgern:

Waren es zuerst nur ganz wenige Begüterte, die aus ihrer Mitte angesehene Männer in die parlamentarischen Körperschaften entsenden konnten, so wurde das Wahlrecht bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts doch schrittweise ein allgemeines und ab 1907 auch ein gleiches für die männliche Bevölkerung, dem dann die junge Republik schließlich auch das Frauenwahlrecht anfügte.

Mehr direkte Demokratie

So mag es der Tendenz der Geschichte entsprechen, wenn Bundespräsident Rudolf Kirchschläger anläßlich der Jubiläumssitzung von Nationalrat und Bundesrat meinte, wir müßten nun auch mit dem Instrumentarium der direkten Demokratie besser umzugehen lernen. An sich wäre das ja nichts anderes als eine nochmalige Ausweitung des Kreises politischer Verantwortungsträger praktisch auf alle wahlberechtigten Staatsbürger.

Was man dabei freilich nicht übersehen darf, ist die Frage, ob alle, denen durch direkte Demokratie Verantwortung übertragen würde, diese auch im Sinne des

„Gemeinwohles” wahrnehmen wollen.

Als das allgemeine und gleiche Wahlrecht im Reichsrat der Monarchie eingeführt wurde, zeichnete sich gerade in dessen Konsequenz — nämlich an den von da an immer unüberbrückbarer werdenden Gegensätzen der Nationalitäten - der Untergang des Staates ab.

Dieser Rückblick ist deshalb so lehrreich, weil er aktuelle Parallelen besitzt:

Haben damals neue Verantwortungsträger den Nationalitätenhader zur partikulären Sprengkraft im Parlament gemacht, so sind es heute bei Bürgerinitiativen, Volksbegehren usw. ebenfalls meist partikuläre Interessen, für die eine politische Mobilisierung möglich ist, während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sich in Ermangelung eines politischen Verantwortungsbewußtseins passiv bis apathisch verhält.

Die historische und politikwissenschaftliche Erforschung totalitärer Bewegungen zeigt deutlich, daß eine aktive und entschlossene Minderheit von nur etwa zehn Prozent durchaus genügt, um die Apathie der Masse zum Opportunismus umzugestalten und dadurch ein politisches System zum Umkippen zu bringen.

Dem Rückblick auf den Februar 1934 und den Dezember 1884 steuerte 1984 an seinem Ende das

„Problem Hainburg” bei. Fürwahr, in vieler Hinsicht ein unerfreulicher Jahresausklang!

Eine sozialdemokratische Partei, die den Widerstand im Februar 1934 nicht an der Legalität, sondern an der Legitimität der damaligen Regierungshandlungen gemessen haben will, sieht sich nun auf einmal im Besitz der Regierungsgewalt ähnlichen Problemen gegenüber.

Jeder ein Richter?

Wo aber kommt ein Staat hin, in dem sich jedermann zum Richter über die Legitimität von Regierungshandlungen aufwerfen zu können vermeint? Und dies in einem Staat, in dem die Rechtsschutzeinrichtungen, wie etwa der Verfassungsgerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof und die Volksanwaltschaft, so ausgebaut sind wie in kaum einem anderen!

Die Ereignisse, die unser Land am Ende des Jubiläumsjahres 1984 bewegten und weiter bewegen, sind einerseits auf neue Probleme und Fragestellungen zurückzuführen. Andererseits aber sind sie auch auf weite Strecken ein Rückfall in die Vergangenheit.

Die Geschichte aber ist eine Lehrmeisterin nur insoferne, als man bei vorurteilsloser Betrachtung aus ihr viele Kenntnisse über politisches Fehlverhalten gewinnt. Sie bietet aber — leider — keine Rezepte, wie man mit gegenwärtigen politischen Schwierigkeiten oder gar mit bedrohlich empfundenen Zukunftsaspekten fertig werden kann.

Der Autor ist Parlamentsdirektor.

Der Autor ist Professor am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck und Direktor des Instituts für Föderalismusforschung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung