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„Alles und sich selbst aufgeben“

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„Schon im Flugzeug von Wien nach Ägypten ist mir aufgefallen, wie stark dieses Land und dieses Volk von der Religion geprägt sind“, erklärte Kardinal Franz König in Kairo bei seinem Besuch am Nil vom 10. bis zum 18. November. Der Erzbischof von Wien spricht in der Empfangshalle des Stadtpalais des christlichen

Pascha Murad Wahba, dessen Stattlichkeit und Eleganz der Residenz am Stephansplatz wirklich nicht nachstehen. Am Amtssitz des koptischen Patriarchen Schenuda III., der vor seinem Aufstieg Zur höchsten kirchlichen Würde Ägyptens zunächst Offizier und dann Einsiedler war, geht es so spartanisch zu, daß die Kopten Kardinal König einen Aufenthalt dort wirklich nicht zumuten wollten. Sind die Betten dort nach der Praxis der alten Wüstenväter aus Ziegeln gemauert, dienen ein Stein oder eine Holzkiste als Kopfpolster und gibt es nur im Winter eine dünne Decke zum Einhüllen, so entfaltet der Paschapalast alle orientalische Pracht und Gastlichkeit: ein Springbrunnen plätschert in der Halle, die von kunstvollem Schnitzwerk in verschiedene Sitzecken unterteilt wird, nubische Diener machen unentwegt mit Erfrischungen oder Wasserpfeifen die Runde. Der Kardinal setzt die Schilderung seiner Eindrücke fort: „Schon im Flugzeug haben viele Ägypter zur islamischen Gebetszeit im Korridor ihre Teppiche ausgebreitet und ohne jede Scheu ihre Andacht verrichtet. Diese Glaubenskraft und selbstverständliche Religiosität ist hier Christen wie Muslim in gleicher Weise eigen.“

Kardinal König, der Ägypten schon einmal, 1965, als Gast der islamischen al-Azhar-Universität besucht hat, ist zwar diesmal einer Einladung der koptischen Kirche nachgekommen, doch hat es dabei nicht an Gelegenheiten zur Erneuerung der alten Kontakte mit den Muslimen gefehlt. Die Abwesenheit des eher christenfeindlichen derzeitigen

Großscheichs von al-Azhar erwies sich als geradezu glückliche Fügung. Dazu kam, daß der Generalsekretär der islamischen Weltorganisation in Dschidda, Hassan al-Tohami, gerade in Kairo weilte und als früherer Botschafter Ägyptens in Wien ein guter Bekannter des Erzbischofs ist So wird in der ägyptischen Hauptstadt gar nicht ausgeschlosen, daß König in nicht zu ferner Zukunft wieder nach Kairo eingeladen wird, diesmal, um eine Vorlesungsreihe am al-Azhar über gemeinsame Anliegen und Probleme der monotheistischen Weltreligionen zu halten. Eine solche Initiative könnte dann auch endlich die schon seit Jahren vereinbarte, aber infolge der jüngsten Radikalisierung verzögerte Zusammenarbeit zwischen der islamischen Universität und der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck in Fluß bringen.

Politische Fragen sind, wie der Kardinal betont, bei all diesen Kontakten ausgeklammert worden. Fernsehen, Radio und ägyptische Presse, die dem hohen kirchlichen Besuch aus Wien größte Beachtung schenkten, unterstrichen Königs Kapazität auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaft, seine Rolle auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als Leiter des römischen Sekretariats für die ungläubigen Nicht-christen und innerhalb des österreichischen Katholizismus. Besonderes Interesse scheint dabei das Eintreten des Kardinals für eine klare Trennung der kirchlichen und staatlichen Belange, die gerade im Orient meist zum Schaden der Religion sehr eng verquickt sind, für die aktive Beteiligung des gesamten Kirchenvolks und nicht nur des Klerus am kirchlichen Leben — bei den Kopten bisher nur in Form einer „Prominentensynode“ — und für die religiöse Ansprache der Jugend gefunden zu haben.

Die koptische Kirche Ägyptens ist mit ihren sieben Millionen Gläubigen und ihrer apostolischen Sukzession von den Kirchenvätern Athanasius und Cyrillus, vielleicht sogar bis zum heiligen Markus zurück, die führende Gemeinschaft unter den sogenannten „Vorchalzedonischen Kirchen“ des Orients, die zwar seit dem Konzil von Chalzedon (451) einen von der übrigen Christenheit getrennten, aber sonst völlig evan-geliums-' und traditionsgetreuen Weg gegangen sind. Von der Delegation der Stiftung. „Pro Oriente“,, an, paaren Spitze 4er; Kardinal .seine Agypten-reise durchgeführt hat, wurde in Kairo in einer offiziellen Erklärung festgestellt: „Es ist eine der unverständlichsten Unterlassungen der europäischen Christen gewesen, so gut wie überhaupt kein Interesse für den seither eingeschlagenen Weg dieser Kirchen zu beweisen. Selbst heute begegnen wir Unwissenheit und Irrtümern in dieser Richtung, und zwar sowohl bei einfachen Gläubigen wie selbst in Kreisen von Theologen und Wissenschaftlern. Diese Mißverständnisse betreffen vor allem die Ansichten der orientalischen Christen über die göttliche und menschliche Natur Christi. Seit dem Konzil von Chalzedon im Jahre 451 ist diese Frage die Wurzel der getrennten Entwicklung dieser Kirchen gewesen.“

Die „Pro-Oriente“-Delegation, der außer dem Kardinal noch Altunterrichtsminister Theodor Piffl-Perde-vic, Generalsekretär Stirnemann, Chefredakteur Schulmeister und Dr. Walter Kirchschläger angehörten, hatte die unmittelbare Aufgabe, für Herbst 1976 eine neue Konsultation zwischen katholischen und orientalischen Theologen in Wien vorzubereiten. Zwei solche Dialoge sind von „Pro Oriente“ bereits 1971 und 1973 mit größtem Erfolg veranstaltet worden. Ursprünglich sollte diese dritte Begegnung in Kairo stattfinden, was jedoch zahlreichen europäischen Teilnehmern Schwierigkeiten gemacht hätte. So wurde auch die Konsultation von 1976 in Wien anberaumt, doch fuhr Kardinal König nach Ägypten, um so den koptischen Christen Interesse, Wohlwollen und Solidarität in ihrer oft schwierigen Lage zu bekünden.

Dabei hat sich nun gezeigt, daß das Glaubensgespräch weit über den Rahmen rein fachlicher Theologenkontakte hinaus gediehen ist. Ein richtiger Höhepunkt dieser Begegnung des Kardinals mit breiten koptischen Kreisen wurde die von ihm am 14. November in der großen, 1968 eingeweihten Markus-Kathedrale von Kairo gehaltene Abendandacht, zu der sich Zehntausende eingefunden hatten. Angesichts dieser begeisterten Scharen, die das ganze Kirchenschiff bis auf den letzten Platz füllten, mußte man sich fragen, ob die Kopten nicht als nächstes sogar einen Papst-Besuch verdient hätten. Ist die ökumenische Konstellation doch heute so, daß seit dem Tod des Patriarchen Athenagoras I. von Konstantinopel das Patriarchat von Alexandrien und ganz Afrika — dank „Pro Oriente“ — zum wichtigsten und bereitwilligsten Gesprächspartner der katholischen Kirche aufgerückt ist.

In den Mittelpunkt seiner Kairoer Festpredigt — sie galt gleichzeitig dem vierten Jahrestag der Inthronisierung Schenudas III. als koptischer Patriarch - stellte Kardinal König den Kernsatz aus den ersten Korin-therbrief: „Und hätte ich so festen Glauben, daß ich die Berge verrük-ken könnte, besäße aber die Liebe nicht, so zählte ich für nichts“. Am meisten beeindruckte Kardinal Königs Kairoer Zuhörer dann der folgende Passus: „In den Begegnungen mit Seiner Heiligkeit, mit Bischöfen und verschiedenen Mitgliedern eurer Kirche in diesen Tagen unseres Besuchs haben wir diese Liebe, von der St. Paulus spricht, gefunden und erfahren dürfen: eine profunde und feste Gottesliebe, die sich in totaler Hingabe an einer Reihe von eindrucksvollen Beispielen zeigte; von lebendigem Glauben erfüllte Pfarrgemeinden, die karitativen Frauenorden, zahlreiche geistliche Berufungen, oder die Klöster draußen in der Wüste, wo Christen in integraler Suche nach Gottes Herrlichkeit alles und sich selbst aufgeben. Anderseits haben wir Euer offenes Herz für die Nöte und Anliegen all Eurer Landsleute gleich welcher Religionszugehörigkeit erlebt und können der koptischen Kirche daher aus eigener Erfahrung und Anschauung bestätigen: sie ist ein starker Faktor zur Förderung von Brüderlichkeit und gegenseitigem Verständnis zwischen allen christlichen Kirchen in der ganzen Welt.“ In dieser gebe sie außerdem lebendiges Zeugnis für den Auftrag unseres Herrn Jesus Christus: „Ich gebe euch ein neues Gebot, einander zu lieben, damit eure Liebe zueinander wie jene ist, die ich euch geschenkt habe. Daran werden euch alle Menschen als meine Jünger erkennen, daß ihr einander liebt.“

Abgesehen von der großen Bedeutung der Ägyptenreise Kardinal Franz Königs für die Belange der Weltkirche unter den orientalischen Christen und Muslimen hat sein dortiges Auftreten als den Kopten wie dem al-Azhar gleich offenen und verbundenen Freunden eine Art von echt österreichischer Mission erfüllt. War Österreich durch Jahrhunderte Einiger, Mittler und kultureller Katalysator zwischen den verschiedenen Völkern, Kulturen, Kirchen und Religionen des Donauraumes, so wird dieses Werk nun von „Pro Oriente“ in dem — einer kleiner gewordenen Welt angemessenen — größeren Rahmen ganz Osteuropas und des Orients fortgesetzt.

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