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Alltag, Kunst, Religion im Einklang

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Bei uns weiß nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten, daß sich in einer Wiener Privatwohnung, am Schottenring, die größte Judaica-Sammlung der Welt befindet. In rund dreitausend Exponaten umfaßt sie an Kultgegenständen, Bildern, Münzen, Handschriften, Postkarten und kunstgewerblichen Arbeiten Belege für schlechthin alle Entwicklungen, welche im Laufe der Jahrhunderte die jüdische, speziell die jüdische religiöse Kunst durchlaufen hat. Nicht zu vergessen eine Spezialbibliothek mit fast zwölftausend Bänden. Kunstkenner aus allen Teilen der Welt betrachten einen Besuch des Max Berger-Privatmuseums als Schwerpunkt ihres Wien-Aufenthaltes.

„Eine Sammlung von diesem Formenreichtum und solcher Seltenheit sollte, wenn es irgend möglich ist, in Europa bleiben, und hier der Forschung dienen, aber auch als Vorbild künstlerischer Neuschöpfungen zur Verfügung stehen“ schrieb 1929 der bedeutende jüdische Kunstsachverständige E. Toeplitz über die Sammlung J. Kaufmanns, die heute fast zur Gänze zu Max Bergers Privatsammlung gehört. Berger hat noch nie einen Gegenstand seiner Sammlung verkauft. Jedes Stück wird von ihm persönlich bearbeitet, beschriftet, an seinen Platz gestellt und für ihn zu einem Teil seiner selbst.

Max Berger kam 1950 aus Polen nach Wien. Er begann zunächst Wiener Porzellan aus dem 18. und 19. Jahrhundert zu sammeln. Das Kunsthandwerk hat ihn immer schon fasziniert. Doch schon 1959 spezialisierte er sich auf Judaica und sammelte von da an alles, was mit dem Judentum seit dem späten Mittelalter auf der ganzen Welt zu tun hat. Einen Schwerpunkt bilden Exponate aus dem Bereich Österreich-Ungarn und hier besonders aus dem Burgenland. Als Sammler aus Leidenschaft war Berger immer schon mit Antiquaren befreundet. Da er vor zwanzig Jahren der einzige war, der Judaica sammelte, hat er von ihnen die ersten Stücke seiner Bibliothek erworben, später ging er auch auf Auktionen, heute bekommt er immer wieder Angebote von Sammlern, Auktionären und Antiquaren. Vielen ist er als Sachverständiger ein Begriff. Im Herbst vorigen Jahres war er als österreichischer Experte zu einem internationalen Kongreß über jüdische Kunst in Oxford eingeladen.

Die Veranstalter vieler Kunstausstellungen greifen auf die Berger-Sammlung zurück. Für die Ausstellung „Groteskes Barock“ (19,75) lieh die Niederösterreichische Landesregierung Exponate bei ihm aus, die Ausstellung „150 Jahre Stadttempel“ (1976) bestand fast ausschließlich aus Leihgaben von ihm und wurde auch von ihm allein bearbeitet. Ähnlich war es bei der im November des Vorjahres eröffneten Ausstellung „Ostjüdisches Volksleben“ im Ethnographischen Museum im Schloß Kittsee im Burgenland, die noch bis April zu sehen ist, und auch die für das Frühjahr in Halbturn, ebenfalls Burgenland, geplante Ausstellung „Judentum im Mittelalter“ wäre ohne die Stücke aus der

Sammlung Berger kaum zustandegekommen.Jüdische Kunst ist nicht nur immer stärker mit dem religiösen Leben verbunden gewesen als bei den meisten anderen Völkern, sie hat auch zu allen Zeiten neben eigenen Vorstellungen die Formen und Motive der Kunst ihrer jeweiligen, zahlreichen Umgebungen verwendet. Oft fehlt dem künstlerischen Können die systematische Schulung - eine Folge der Abschirmung vom sozialen und wirtschaftlichen Leben bis in die Neuzeit hinein. In früheren Jahrhunderten war Juden sogar der Besuch von Museen verwehrt.

Eines der wertvollsten und seltensten Stücke der Berger-Sammlung ist eine Menorah aus dem 18. Jahrhundert: ein Fabeltier, halb Fisch, halb Vogel, mit Greifenklauen und acht Vogelhälsen. Die neunarmigen Leuchter werden im Winter zum achttägigen Chanukka-Fest entzündet, das den Sieg der Makkabäer im Ringen um die religiöse Freiheit und die Wiederweihe des Tempels feiert Besondere Bedeutung haben alle Gegenstände, die zur Ausstattung der Thora gehören. Die Thorarolle ist das Heiligste unter den jüdischen Kultgeräten; sie enthält die fünf auf Pergament geschriebenen Bücher Moses' und nimmt im Tempel einen Ehrenplatz ein. Thoraaufsätze, Thorakronen, bestickte Thoramäntel und Thoraschilder gehö ren ebenso zur Sammlung Berger, wie ein Thoraschrank aus Silber, der, teilweise vergoldet, reich mit Pflanzen- und Tierschmuck versehen, in der Art der berühmten osteuropäischen, hölzernen Thorawände gehalten ist.

Eine Sonderstellung nehmen ebenfalls die Kultgegenstände für den Sabbat ein. Etwa Besonimbüchsen aus allen Ländern und Jahrhunderten in den verschiedensten kunstvollen Formen. Besonim ist ein Gewürz, dessen Wohlgeruch der Betende wie „eine letzte Sabbatwonne“ zum Ende des Feiertages einatmet. Oder Kid-dusch-Becher, die beim Weihesegen über Wein und Brot am Sabbat verwendet werden. Sogar ein Schach, eigens für den Sabbat geschaffen, ist zu sehen.

Bilder zeigen Szenen aus dem Volksleben, Darstellungen von Verlobungsund Hochzeitsfeiern, von Sederaben-den (Vorabend des jüdischen Osterfestes), des Versöhnungs- und des Laubhüttenfestes. Für den Seder entstanden sind auch zwei Krüge mit farbiger Bemalung, Inschriften und Pflanzenwerk, das Sedermahl wurde unter anderem auf geschliffenen, gläsernen Pokalen dargestellt. Zu sehen sind jüdische Charakterköpfe, Rabbis, Heiratsvermittler, Kleinstadttypen, betende Juden im Tempel - oder beispielsweise auf dem Bild des Wiener Malers L. Krestin die Szene „Beim Studium“.

Nebeneinander in Vitrinen alte Münzen und die von ihnen angeregten modernen israelischen Geldstücke. Eine alte Münze, auf der Ähren in Bronze geprägt sind, stammt aus der Zeit des Herodes Agrippa, 37 bis 44 nach Christus und feierte 1960 in Israel Wiederauferstehung. Auch Amulette fehlen nicht. Ein silbernes aus dem frühen 18. Jahrhundert stammt aus Persien, ein goldenes aus dem Jemen des vorigen Jahrhunderts. Der Hochzeitsbaldachin ist etwa neunzig Jahre alt und stammt aus Rumänien.

Wie sehr das religiöse Leben der Juden bis heute mit dem Alltag verbunden ist, zeigt ein Militärleuchter; dieser Chanukka-Haschalom ist ausschließlich aus Kriegsmaterial des Jom-Kippur-Krieges zusammengestellt. Er steht auf zwei Patronenhülsen „0-3“, seine Flügel sind ein Teil der Kühlanlage eines russischen Tanks „T-50“, die acht Kerzenhalter Patronenhülsen des Typs „7-62“ aus dem amerikanischen Schnellfeuergewehr „M-16“. Der Leuchter ist das Geschenk einer israelischen Militäreinheit an Max Berger.

Derzeit ist ein Buch über die Sammlung im Entstehen, das noch in diesem Jahr bei „Jugend & Volk“ herauskommen wird.

Die Entstehung dieses Buches hat sehr persönliche Gründe. Zum sinnvollen Leben eines Juden gehörte überlieferungsgemäß, einen Tempel zu bauen, ein Buch zu schreiben und Kinder großzuziehen. Berger hat keine Kinder, aber er hat einen Tempel gebaut - der Umbau des Tempels am Judenplatz ist fast zur Gänze sein Werk - und er arbeitet an einem Buch mit. Er weiß aber auch, daß seine Sammlung in ihrer Art einzig ist und möchte, daß sie eine Einheit bleibt. Viele Stücke kennt kaum jemand, obwohl sie viel zum Verständnis für die Religion, die Kunst und Geschichte des Judentums beitragen können. Gerade in Österreich, wo der Antisemitismus so viele Gesichter hat - und so viele Masken trägt. So gesehen, ist die Sammlung und das Buch, das darüber entsteht, für Max Berger Teil seines sinnvollen Lebens.

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