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Allzu leichte Argumente

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Vor wenigen Wochen schrieb das bundesdeutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sinngemäß, daß Bundeskanzler Dr. Kreisky Österreich wie eine Zweigstelle der Bundesrepublik Deutschland regiere. Nichts von Bedeutung könne in Österreich geschehen, ohne daß vorerst der deutsche Bundeskanzler Willy-Brandt kontaktiert worden wäre. Gegen diese Darstellung hat später Dr. Kreisky mit einem Scherzwort Stellung bezogen — mehr aber nicht.

Am letzten Juni-Freitag faßte das Bonner Kabinett in einer überraschend einberufenen Sondersitzung den Beschluß, die D-Mark erneut aufzuwerten. Dieser Entscheidung war eine hektische Entwicklung an den Devisenmärkten vorangegangen, die mit einer permanenten Tieferbewertung des US-Dollars begonnen hatte und zuletzt mit einer spekulativen Flucht in die D-Mark ihren Höhepunkt erreichte. So hatte die Deutsche Bundesbank in den letzten 14 Tagen rund 25 Milliarden Schilling für Stützungskäufe aufgewendet. Für die Bundesrepublik gab es keine andere Wahl, als aufzuwerten, wollte sie doch weder das Ende des Blockfloatens mit einem Verzicht auf Stützungskäufe setzen, noch die äußerst restriktive Geld- und Kreditpolitik lockern und damit die monetären Maßnahmen der Inflationsbekämpfung beschneiden.

Die unmittelbaren Konsequenzen des bundesdeutschen Aufwertungsbeschlusses sind auf die Teilnehmer am EG-Blockfloaten (Frankreich, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Dänemark, Schweden und Norwegen) beschränkt, weil Deutschland nur diesen Staaten gegenüber zu Interventionen auf den Devisenmärkten verpflichtet ist, um die Abweichungen der Wechselkurse innerhalb der vereinbarten Bandbreite von 2,25 Prozent zu halten. Dementsprechend positiv waren die ersten Reaktionen in London, Paris, Brüssel und in den skandinavischen Metropolen auf die Aufwertung der D-Mark. Gleichzeitig wurde von den kompetenten Sprechern der genannten Staaten unisono versichert, daß für die Regierungen und Zentralbanken ihrer Staaten keine Notwendigkeit bestehe, den bundesdeutschen Schritt nachzuvoUziehen.

Für die Schweiz erklärte der Generaldirektor der Schweizerischen Nationalbank, „daß nicht der geringste Anlaß besteht, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.“ Demgegenüber meinte Finanzminister Dr. Androsch recht prompt nach dem in Bonn gefaßten Aufwertungsbeschluß, daß die Bundesregierung nach dem in solchen Fällen üblichen Konsultationsverfahren mit der Nationalbank und den Sozialpartnern eine Entscheidung am Montag treffen werde. Daraus schloß die „Neue Zürcher Zeitung“, „daß Wiens Entscheidung schon mehr oder weniger feststeht“. Damit sollte diese Zeitung auch recht behalten: „Aus stabilitätspolitischen Gründen tritt die Regierung für eine Aufwertung ein“, erklärte Finanzminister Dr. Androsch. Gestützt auf seine noch immer vorhandene Autorität in der sozialistischen Bundesregierung setzte er sich mit dieser Auffassung gegenüber dem Widerstand auch einiger Vertreter des ÖGB und gegenüber den Vertretern der heimischen Wirtschaft durch. Im bundesdeutschen Geleitzug verhängte die Bundesregierung über Österreich eine Schilling-Aufwertung im Ausmaß von 4,8 Prozent.

Mit dieser Entscheidung hat sich Österreich als einziger Staat an den Beschluß des Bonner Kabinetts gehängt. Handelspolitische Argumente können dafür nicht ins Treffen geführt werden. Denn erstens ist für dieses Jahr mit einem Handelsbilanzdefizit im Ausmaß von bis zu 40 Milliarden Schilling zu rechnen, zweitens hat die anhaltende inflationäre Preisentwicklung in Österreich die Zuwachsraten des Fremdenverkehrs bereits deutlich gedrückt, so daß auch mit einer negativen Leistungsbilanz gerechnet werden muß, drittens haben sich die Zuwachsraten der Exporte nicht in dem noch vor Jahresfrist erwarteten günstigen Ausmaß entwickelt, viertens ist noch nicht abzusehen, ob Österreich nicht doch im kommenden Jahr einer Rezession unter inflationären Bedingungen entgegensteuert. Diese vier sehr ernstzunehmenden Fakten sprechen gegen eine Aufwertung, das einzige Argument für eine Aufwertung, die Preise der aus der Bundesrepublik Deutschland importierten Waren eher stabil zu halten, ist demgegenüber zu leicht, fast gewichtslos. Denn es hat sich nach all den Schilling-Aufwertungen in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, daß die Aufwertungsgewinne nicht in dem vom Finanzminister erwünschten Ausmaß weitergegeben werden. Das kann bei einer ständigen Lohnkostensteigerung auch gar nicht anders der Fall sein, wenn man berücksichtigt, daß heute Vertreter des ÖGB Lohnforderungen im Hinblick auf die zu erwartenden Inflationsraten vortragen. Für viele Importeure aus der Bundesrepublik Deutschland dürfte jetzt eine Gelegenheit gekommen sein, antizipierte Lohnerhöhungen in ihren Preiskalkulationen unterzubringen.

Wird also die Schillingaufwertung kaum die Importpreise aus der Bundesrepublik stabilisieren, so werden sich sehr wohl die Exporte Österreichs in den Raum außerhalb Deutschlands erneut verteuern. Angesichts der inflationären Lohn- und Preisentwicklung könnte eine zusätzliche Exportkostenbelastung unter dem Titel „Schillingkurskorrektur“ nun tatsächlich zu einem erheblichen Rückschlag bei den Exporten Österreichs führen. Ganz abgesehen davon, daß die einseitige Ausrichtung der österreichischen Regierungswirtschaftspolitik auf den DM-Raum ungünstige Strukturen der heimischen Exportwirtschaft (nämlich die zu starke Ausrichtung nach Deutschland) verfestigen muß.

Die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung, den Schilling um 4,8 Prozent aufzuwerten, war falsch. Daß diese Entscheidung mit der tatkräftigen Mithilfe der Vertreter der Oesterreichischen Nationalbank zustande kam, ist sehr bedauerlich, weil damit erneut bewiesen wurde, daß die Nationalbank längst nicht mehr, wie ihr das Nationalbankgesetz vorschreibt, autonom handelt, sondern zum Erfüllungsgehilfen einer Regierung geworden ist, die im wirtschaftspolitischen Bereich Fehler an Fehler reiht. Die Abdankung der Oesterreichischen Nationalbank als notwendiges ökonomisches Korrektiv zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung muß gerade in einer langen Phase der inflationären Preisentwicklung zu denken geben.

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