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ALLZU M ENSCH LI CH ES IN DER KOSMOLOGIE

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Wie stellt sich der Laie die Erforscher des Kosmos vor? Als weltfremde Sterngucker, den irdischen Niederungen himmelwärts entfliehende Typen auf der Suche nach reiner Erkenntnis, ein schrulliges Völkchen, voll von Idealismus, das daheim Schwierigkeiten hat, die Milch im Kühlschrank zu finden und die Steuererklärung auszufüllen? Ja, hat sich was. Es gibt diesen sympathischen T„vp natürlich auch in den Sternwarten, aber wie überall ist er auch hier arm dran.

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Wie stellt sich der Laie die Erforscher des Kosmos vor? Als weltfremde Sterngucker, den irdischen Niederungen himmelwärts entfliehende Typen auf der Suche nach reiner Erkenntnis, ein schrulliges Völkchen, voll von Idealismus, das daheim Schwierigkeiten hat, die Milch im Kühlschrank zu finden und die Steuererklärung auszufüllen? Ja, hat sich was. Es gibt diesen sympathischen T„vp natürlich auch in den Sternwarten, aber wie überall ist er auch hier arm dran.

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(hb)-Kosmologie ist eine hochapparative Wissenschaft. Die Radioteleskope, mit denen man den Himmel nach Objekten abtastet, die Radiowellen aussenden, etwa Quasaren, sind riesige, tellerförmige Antennen mit bis zu 300 Meter Durchmesser und entsprechend teuer und selten. Große Teleskope gibt es etliche - aber nur Mount Palomar hat den Fünf-Meter-Spiegel, der die Beobachtung von Objekten „am Rande des Universums" gestattet.

Da das Jahr auch auf dem Mount Palomar nur 365 Nächte, aber nicht jede Nacht einen klaren Himmel hat, hängt die Zukunft vieler Forscher vom Zugang zu diesem Gerät ab. Das bedeutet Macht, und von dieser Macht wird Gebrauch gemacht.

In den sechziger Jahren wollten viele Astronomen einen Blick auf die rätselhaften Quasare werfen. Dazu benötigten sie aber deren Koordinaten. Freundschaften entstanden und zerfielen danach, wer mit neuen Radiopositionen begünstigt wurde und wer nicht. Wer einen Freund in einem Radio-Observatorium hatte, der ihm Standorte zuspielte, brauchte sich, so der Galaxienforscher Haiton Arp, „nur an eines der großen Teleskope zu setzen, eine Aufnahme zu machen, ein Spektrum anzufertigen und einen Aufsatz zu schreiben. Einfach großartig. Aber ich konnte keine dieser streng geheimen Koordinaten bekommen."

Arp hatte sich mit Allan Sandage zerstritten. In seiner Wut, aus der Quasar-Forschung ausgeschlossen zu sein, entwickelte er eine Theorie, die Quasare seien Gebilde, die aus dem Kern der Galaxien ausgestoßen werden. Das freute alle, die noch gegen das Urknall-Modell waren. Arps Theorie wurde zerschmettert, Sandage und Arp, die in Pasadena in nur 15 Meter Entfernung arbeiteten, gingen jahrelang grußlos aneinander vorbei.

Die Welt der Kosmologen ist eine Welt brutaler Konkurrenz. Nur wenige Dutzend haben regelmäßig Zugang zu Großgeräten. Neue Theoreme sind oft Waffen im Konkurrenzkampf. Der Publizist und Insider Dennis Overbye beschreibt in seinem neuen Buch „Das Echo des Urknalls" sehr pointiert, wie Gerard de Vaucou-leurs, verbissen in einen Privatkrieg mit dem übermächtigen Allan Sandage, alle Annahmen über die Entfernungen im Kosmos auf den Kopf stellte. Er griff Sandage auch sehr persönlich an und behauptete, die von diesem ermittelte und verteidigte Hubble-Konstante (das Maß für die Geschwindigkeit, mit welcher der Kosmos auseinanderfliegt) sei um die Hälfte zu klein. Woraus sich ergäbe, daß der Kosmos halb so alt und halb so groß wie bisher angenommen ist.

Als auch noch die jungen Radioastronomen Brent Tully und Richard Fisher eine Methode entdeckten, die Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien zu messen und von dieser auf die Größe zu schließen, und als die Resultate eher de Vaucouleurs als Sandage recht gaben, stieß die Publikation ihres Aufsatzes in den renommierten Zeitschriften zwei Jahre lang auf rätselhafte Hürden. Sie lasen Sandages ablehnende Antwort auf ihre Arbeiten ein Jahr vor deren erstmaliger Veröffentlichung.

Die Welt der Kosmologie ist ebenso wie die der beobachtenden Astronomen sehr frauenfeindlich. Mrs Burbidge, deren Mann - unter ihrem Einfluß - von der Physik zur Astronomie überwechselte, stellte bei der Ankunft auf Mount Wilson fest, daß sie die Teleskope nur als Assistentin ihres Mannes benutzen durfte. Die Vorschrift aus der Zeit der Jahrhundertwende, wonach die Sternwarte ausschließlich Männern vorbehalten war, wurde in den fünfziger Jahren noch ebenso eingehalten wie der Brauch, daß der auf Mount Wilson für das Fünf-Meter-Teleskop Eingeteilte beim Essen am Kopf der Tafel saß.

Dabei wurde die klassische kosmische Normalkerze (siehe Kasten, Seite 11) von einer Frau entdeckt. Henriet-ta Swan Leavitt war Computerin. Computerinnen, Rechnerinnen, nannte der Astronom Edward Charles Pickering die Heere von Frauen, die im späten 19. Jahrhundert in den astronomischen Instituten für 25 Cents pro Stunde riesige Katalogseiten mit winzigen Zahlen füllten. Henrietta Swan Leavitt untersuchte auf den Fotoplatten der Harvard-Universität Tausende veränderliche Sterne vom Cepheiden-Typus und trug die Helligkeitsschwankungen in Listen ein. Sie selbst entdeckte 2.400 solche Sterne, vor allem aber erkannte sie „das Muster". Es gibt Bedeckungs-Veränderliche, die zeitweise von einem schwarzen Begleiter bedeckt werden, und wahre, pulsierende Veränderliche, deren absolute Helligkeit schwankt. Manche brauchen für den Lichtwechsel ein Jahr oder länger, andere Stunden, Tage oder Wochen. Zu diesen „Schnellen" gehört der Cepheiden-Typus.

Henrietta Swan Leavitt hatte die geniale Idee, eine große Zahl solcher Sterne zu untersuchen, deren Entfernung man zwar nicht kannte, von denen man aber wußte, daß sie (als Mitglieder der Magellanschen Wolken, zwei kleine Begleit-Galaxien der Milchstraße) alle etwa gleich weit vom Sonnensystem entfernt sind. Sie fand heraus: Je heller der Stern, desto länger seine Periode. Damit war klar, daß man von der Dauer des Lichtwechsels auf die absolute Helligkeit und von der scheinbaren Größe am Himmel auf die Entfernung schließen konnte. Allerdings muß man die Entfernung mindestens eines dieser Sterne auf andere Weise in Erfahrung bringen. Seit man weiß, daß die von Henrietta Swan Leavitt untersuchten Cepheiden etwa 170.000 Lichtjahre entfernt sind, kann man mit ihrer Hilfe die Entfernung von Galaxien ermitteln. Vorausgesetzt, diese sind nah genug, die Helligkeitsschwankungen einzelner Sterne zu erkennen.

Einer anderen Computerin, Annie Jump Cannon, gestattete Pickering großzügig, seine Vorlesungen zu hören (was,Frauen damals noch nicht durften), dafür katalogisierte sie ohne Bezahlung Himmelsaufnahmen. Bereits 1896 galt sie mit einem kleinen Gehalt als Expertin für Sternspektren. Sie katalogisierte in Harvard in 42 Jahren 300.000 Sternspektren, entdeckte 300 Veränderliche, erhielt vier Ehrendoktorate, darunter eines von Oxford, aber erst 1938, mit 75 Jahren, wurde sie von der Universität offiziell zur Kenntnis genommen.

Der Vater der modernen Kosmologie heißt Edwin Hubble. Er wies 1924 nach, was bereits Kant vermutete -daß die Spiralnebel der Milchstraße vergleichbare Sternsysteme sind, er deutete diein ihren Spektren feststellbare Rotverschiebung als Hinweis auf die kosmische Expansion, nach ihm wurde das (nach wie vor nicht voll einsatzfähige) Teleskop im Weltraum benannt.

Aber Hubble prägte auch das menschliche Klima der führenden US-Observatorien in Kalifornien auf Mount Wilson und Mount Palomar. Hubble interessierte sich schon als Kind für die Sterne, aber er wäre fast Profiboxer geworden und praktizierte als Anwalt, bevor er begann, Astronomie zu studieren. Er war ein großer Mann mit kantigem Kinn, schmalem Mund und eisigem Blick und unternahm nichts, um sich die Zuneigung der Kollegen zu erwerben. Er galt als unzugänglich, arrogant und als Meister der Selbststilisierung. In einer Zeit, in der die Kunde von der „Explosion" des Alls weltweit die Massen faszinierte, war es selbst für Berühmtheiten wie Aldous Huxley oder Igor Strawinsky eine Ehre, von Hubble zu Tisch geladen zu werden und in der Unterhaltung fielen viele berühmte Namen.

Die Ergebnisse seiner Mitarbeiter baute Hubble selbstverständlich in seine Arbeiten ein, aber ihre Namen zu nennen, kam ihm nicht in den Sinn. Viele Astronomen konnten zwar nie ganz verwinden, daß ausgerechnet diesem Mann die großen Durchbrüche gelangen - ahmten aber sein Verhalten nach.

Sandage, der wissenschaftliche Haupterbe, sagte von seinem Lehrer: „Er gab sich mit den Leuten so ab, wie ich mir das von einem Gott vorstelle!" Und wie eine entthronte Gottheit dürfte Sandage sich vorgekommen sein, als der Kern seines Lebenswerks, die von ihm ermittelte kosmische Expansionsrate, erschüttert wurde. Er ließ sich einen buschigen Vollbart wachsen, zog sich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück und überprüfte seine Ergebnisse mit dem immer wieder gleichen Ergebnis. Overbye vergleicht ihn mit einem widerspenstigen Großvater, „der von einer jüngeren, stärkeren Generation ins Abseits manövriert wurde, was einer gewissen Tragik nicht entbehrte und leider nicht immer sanft vonstatten ging".

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