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Digital In Arbeit

Allzuviel ist ungesund

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Fast allerorten propagiert man den Einzug des Computers in das Bildungswesen. Vorher sollte man freilich die Terminologie und das Ausmaß des „Computerunterrichts“ klären.

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Fast allerorten propagiert man den Einzug des Computers in das Bildungswesen. Vorher sollte man freilich die Terminologie und das Ausmaß des „Computerunterrichts“ klären.

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Das Thema Computer in der Schule hat offensichtlich und ohne jedwede offizielle Abstimmung zu einem allgemeinen Konsens über geographische, politische, ideologische, ökonomische Grenzen hinweg geführt. Der Computer, Leitbegriff der neuen Informations- und Kommunikationstechnik, wird von Regierungen weltweit als das neue Thema von Unterricht und Ausbildung, Studium und Weiterbildung betrachtet!

Der ehemalige französische Kultusminister erhoffte sich von einer über das Bildungswesen „computerisierten Gesellschaft“ einen kräftigen Demokratisierungsschub, Generalsekretär Michail Gorbatschow ließ den neue-sten sowjetischen Bildungsgesamtplan unmittelbar nach seinem Amtsantritt novellieren: Computerausbildung soll in die sowjetischen Oberschulen.

In Großbritannien sorgte die allmächtige Rundfunk- und Fernsehgesellschaft BBC für Entwicklung und Verbreitung eines Schulcomputers, in den USA geht man einfach davon aus, daß Eltern ihre Kinder nur in Schulen schicken, die auch Computerunterricht anbieten, und auch in der DDR hat man den polytechnischen Charakter der Informationsautomaten erkannt. Mangels elektronischer Masse will man freilich noch zuwarten und hofft auf zusätzlichen didaktischen Erkenntnisgewinn in der Zwischenzeit.

Die computerlose Schule wünschen lediglich oppositionelle Alternativgruppen, wie beispielsweise die Arbeitsgruppe Bildungspolitik der Grünen im Deutschen Bundestag, die zum Jahresende 1984 die Forderung nach „Abrüstung von Computertechnologie“ in der deutschen Schule publizierten. Eine Forderung, die nach Ansicht von Befürwortern der Computerschule wie der privaten Aktion „Computer in die Schule“ unerfüllbar ist. Wo nicht oder jedenfalls nur wenig ist, da kann man auch nichts entfernen, geschweige denn „abrüsten“.

Der ubiquitäre Wiener Bürgermeister und Pädagoge Helmut Zilk hat noch als Unterrichtsminister und schon im Juni 1984 erklärt, „daß die Beherrschung der Mikrocomputer zu den wichtigsten Kultur- und Zivilisationstechniken der Zukunft gehört“. Was er mit der „Beherrschung“ meint, hat er, der das alte und neue Medienklavier so vorzüglich beherrscht, leider nicht verraten. Er stimmt bloß generell dem allgemeinen Informatik-Konsens zu.

Die Gemeinsamkeiten erschöpften sich freilich im allgemeinen, sobald es ans Detail geht, trennen sich die Meinungen. Nähert man sich der Beantwortung der konkreten Frage „Wieviel Computer braucht die Schule?“, geht die Ubereinstimmung verloren. Dabei übersieht man gelegentlich, daß das Thema „Computer und Schule“ nicht ein einziges ist, sondern deren mehrere, denn es ist doch eine völlig andere Angelegenheit, ob man vom „Computer als Inhalt von Unterricht“ oder vom Computer als Instrument, also als Hilfsmittel des Lehrers, des Leiters, der Verwalter, der Schüler gar redet.

Die notorische Hektik der informations- und kommunikationstechnischen Industrie trägt das Ihre zum Verwirrspiel bei. Hier tut sich vieles und dieses schnell, wenngleich nicht so viel und so schnell, wie man glauben möchte, wenn man nur den Berichten über die „Neuen Medien“ in den „Alten“, in den gedruckten und in den elektronischen, vertraut. Nachdem nun auf regionalen, nationalen und internationalen Tagungen von Politikern und Pädagogen, Interessierten und Informatikern schon so viel über Informationstechnik und Bildung gesprochen, so vielem widersprochen wurde, ist es an der Zeit, etwas Distanz zu gewinnen, und vor allem die Begriffe zu ordnen.

Bilanzieren wir „terminologisch“: Informationstechnifcen sind Hilfsmittel zur Lösung von Informationsaufgaben; sofern sie sich der Bausteine der Mikroelektronik bedienen, nennt man sie „neu“. Die Informationsau/gaben sind alt, uralt! Kommunikation -im technischen Sinne — ist der Informationsaustausch zwischen mindestens zwei Stufen. Für die Kommunikationstechnik gilt das eben Gesagte analog. Informati-onstechnoiogie ist die Lehre von der Informationstechnik, also eine wissenschaftliche Disziplin, Informatik die Theorie der informationsverarbeitenden Automaten - und solche, und nichts anderes, sind „Computer“. Dies muß man wissen, wenn man über Neue Informationstechniken, über Computer im Bildungswesen, diskutieren will. Wenigstens dies.

Will man die Konsequenzen des Einsatzes der neuen Informations- und Kommunikationstechnik bewerten, dann muß man auch zur Kenntnis nehmen, daß die Mehrzahl der neuen Instrumente und Verfahren in der Hauptsache der Verteilung und dem Transport von Informationen dient. Dabei werden Informationen nicht verändert, nicht manipuliert.

Veränderung, Verarbeitung von Informationen kann in Computern erfolgen. Diese kommen nicht erst in unsere Gesellschaft, sie sind längst da. Man denke an die Waschmaschinen, an die Geschirrspülmaschinen, an das Fernsehgerät und auch an das „Videospiel“.

Die Funktion dieser Computer bewerten die Nutzer in der Regel an der „Funktionalität“ der Maschine bzw. des Automaten; also daran, wie gut sie wäscht und trocknet, wie wenig Spülmittel sie benötigt, wie scharf das Bild erscheint, wieviel Spaß das Spiel macht. Das „Funktionieren“ der Hilfsmittel Interessiert'hür?wenl-v ge. So war das auch bisher.

Sollte dies bei den neuen Infor-mätionstechniken gänzlich anders sein? Dieser Zusammenhang gilt auch für Computer, die selbständig oder in anderen Instrumenten eingebaut, zu beruflichen Zwecken eingesetzt werden. Auch hier sind die Funktionen, die die Computer erfüllen, entscheidend, und diese bleiben — trotz aller technischer Veränderung - weitgehend gleich.

An den „neuen Arbeitsplätzen“ erfolgt eine „Fortsetzung der alten Berufe mit neuen Mitteln“. Auch künftighin wird es berufliche Funktionen wie Bilanzbuchhaltung, Materialwirtschaft, Lagerbestandsführung, Arbeitsvorbereitung, Konstruktion u. v. a. geben. Die Grundlogik der beruflichen Bildung wird sich nicht radikal verändern. Was für das Beschäftigungssystem gilt, trifft auch im Bildungswesen zu: Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken werden im allgemeinen und im berufsbildenden Unterricht zu berücksichtigen sein, radikal verändern werden sie ihn - das mag man begrü-

ßen oder bedauern, nicht.

Computer sind nichts anderes als Automaten zur Verarbeitung von quantifizierter Information. Sie haben und machen nur dort Sinn, wo man quantifizierte Information automatisch verarbeiten will. Dem privaten Gebrauch, dem sinnvollen privaten Gebrauch, sind also enge Grenzen gesetzt. Die naiven Konsumenten in den USA haben dies übersehen. Ihre Homecomputer dösen nunmehr unbenutzt in Abstellräumen dahin. Die „geschützten“ Verbraucher in Europa haben dies rechtzeitig erkannt. Das läßt hoffen

Computer, die man frei programmieren kann, sind Werkzeuge für Profis. Man kann sie zum Hobby machen, aber dies kann man auch mit anderen technischen Einrichtungen von der Eisenbahn bis zur Funkstation. Eine Gesellschaft von entmenschten Computerfreaks steht uns mit Sicherheit nicht ins Haus. Je mehr Menschen etwa vom Computer wissen, desto geringer ist die Gefahr einer computerisierten „Welt aus Draht“. Deshalb müssen die Schüler etwas von den neuen Informations- und Kommunikationstechniken erfahren—und zwar alle. Zu Informatikern brauchen wir sie jedoch nicht alle auszubilden. Gottseidank.

Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner arbeitet als Wissenschaftler an der Fernuniversität in Hagen und ist als Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin und der Wirtschaftsuniversität Wien tätig.

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