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Almosen für die Liebe

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Da es der Kirche um den Glauben der Menschen und um ihr Heil geht, gehen muß und um nichts anderes gehen darf und kann, stünde es ihr an, auf jeden Zwang zu verzichten und die unheilige Allianz mit der staatlichen Macht in der Gestalt von gerichtlichen Klagen und Exekutionen lieber heute als morgen aufzugeben. Denn „Mahnungen, Vorladungen, Gerichtsbescheide sind mit größter Wahrscheinlichkeit keine geeigneten pastoralen Mittel“ (Dordett).

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Da es der Kirche um den Glauben der Menschen und um ihr Heil geht, gehen muß und um nichts anderes gehen darf und kann, stünde es ihr an, auf jeden Zwang zu verzichten und die unheilige Allianz mit der staatlichen Macht in der Gestalt von gerichtlichen Klagen und Exekutionen lieber heute als morgen aufzugeben. Denn „Mahnungen, Vorladungen, Gerichtsbescheide sind mit größter Wahrscheinlichkeit keine geeigneten pastoralen Mittel“ (Dordett).

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Doch abgesehen von diesen Fragen, wäre eine große Zahl von Reformen denkbar, die mit ein wenig gutem Willen und einiger Planung rasch durchgeführt werden könnten. Dazu gehört die Abschaffung von Stolagebühren und ähnlichen Extra-leistungen. Es wird einem „Auswahlchristen“ (Zulehner) schlichtweg nicht verständlich zu machen sein, weshalb er für jede Dienstleistung der Kirche, die er in Anspruch nimmt, wieder zahlen muß, obwohl er doch seinen Kirchenbeitrag zahlt und obwohl oft genug damit argumentiert wird, daß er für seinen Kirchenbeitrag als „Gegenleistung“ das kirchliche Service erhalte.

So wäre weiter zu überlegen, ob nicht eine Vertretung der Kirchenbeitragszahler geschaffen werden sollte, und zwar bei jeder diözesa-nen Finanzkammer. Dieser Vertretung sollte auch ein echtes Mitspracherecht — nicht nur Beratung — bei der Aufstellung der diözesanen Budgets eingeräumt werden. Zu achten wäre vor allem darauf, daß in dieser Vertretung wirklich Leute von der Basis, und damit sind die Pfarrgemeinden gemeint, sitzen und nicht wieder nur — gewiß sehr verdiente — kirchliche Funktionäre und Bürokraten.

Der Umstand, daß zwischen 50 und 60 Prozent der Kirchenbeitragsgelder für Löhne und Gehälter verbraucht werden, legt die Frage nahe, ob die Kirche nicht mit weniger Lohnempfängern auskommen könnte und sollte. Es kann dabei nicht um bloßes „Abschaffen“ gehen; aber man wird sich fragen müssen, ob nicht so mancher Posten und so manches Amt sehr nahe daran ist, eine Verkörperung des Parkinson-schen Gesetzes zu werden: die Schreibtische, an denen verwaltet wird, werden mehr und mehr — aber es gibt nichts mehr, was zu verwalten wäre.

Schließlich sollte mit größter Sorgfalt alles vermieden werden, was nach Verschwendung kirchlicher Gelder aussieht. Dazu gehört etwa der Bau aufwendiger Pfarrhöfe — manchmal in Orten, von denen jeder mühelos voraussagen kann, daß sie — bei Anhalten der derzeitigen Nachwuchsziffern — binnen weniger Jahre keinen eigenen Seelsorger mehr haben werden. Auch die Frage der kirchlichen Landbesitzungen, die zum Teil riesig sind (auch wenn sie oft genug nur Belastungen bringen und unverkäuflich sind), sollte von einer offenen Diskussion nicht ausgeschlossen werden.

Es ist kein Geheimnis, daß In Österreich die Raumkapazität der meisten Stifte und Klöster bei weitem nicht ausgelastet ist. Oft genug sind Stifte bis an die Grenze des Möglichen damit beschäftigt, leerstehende Räume und ganze Gebäudekomplexe zu erhalten. Will man diese Kapazitäten ausnützen, stehen sicherlich oft schwierige Kompetenzfragen an; doch sollte eine unbürokratische Zusammenarbeit zwischen Orden und Diözesen möglich sein. Es kann ja nicht um Prestigefragen gehen, daß etwa eine Diözese Ihr „eigenes“ Bildungshaus um viel Geld neu baut, während nicht weit von diesem Neubau entfernt Raumpotential ungenützt bleibt. Zusätzlich könnte die Revitalisierung alter, oft kunsthistorisch wertvoller Räume, auf eine gute Weise gelingen.

Neben diesen — sozusagen „systemimmanenten“ — Reformen sollte aber der Umgang der Kirche mit ihrem Geld einer grundsätzlichen

Uberprüfung unterzogen werden. Der Kirche auf Welt- wie Gemeindeebene eignen drei Grundfunktio-len: Liturgie, Verkündigung und Dia-konie (oder Caritas). Es gibt bei diesen drei Grundfunktionen der Kirche keinen Vorrang der einen oder der anderen; christliche Gemeinde ist erst dort, wo alle drei vorhanden sind.

Es wäre zu erwarten, daß auch die Finanzen der Kirche in ihrer Verteilung diese Grundfunktionen spiegeln. Sie tun es aber nicht

Denn die Budgets der Diözesen — und im kleinen wohl auch der Pfarrgemeinden — gehen zum größten Teil für Liturgie und Verkündigung auf, während die Diakonie von

Spenden leben muß. Ein Blick auf das Budget 1975 der Erzdiözese Wien kann diese Behauptung untermauern.

Das Budget sah Einnahmen in Höhe von 390 Millionen Schilling vor (340 Millionen aus Kirchenbeiträgen, 45 Millitinen aus staatlichen Leistungen, fünf Millionen aus Vermögenserträgen, Mieten und ähnliches).

Auf der Ausgabenseite waren 223 Millionen Schilling (57 Prozent) für Personalaufwand vorgesehen (133 Millionen für Priester-, 90 Millionen für Laienbesoldung); 93 Millionen Schilling (24 Prozent) waren für Zuschüsse zum Sachaufwand der Pfarren (43 Millionen) und diözesaner Einrichtungen (50 Millionen) wie Seminare, Bildungshäuser et cetera veranschlagt; 61 Millionen Schilling (15 Prozent) sollten als Zuschüsse zum Bauaufwand der Pfarren (45 Millionen) und Diözesanstellen (16 Millionen) ausgegeben werden; bleiben vier Prozent oder 13 Millionen Schilling, die für Verwaltung und „Diverses“ — darunter 65 Kirchenbeitragsstellen der Erzdiözese und die Finanzkammer) vorgesehen waren.

Von diesem Budget der Erzdiözese Wien dürften sich — hinsichtlich der prozentualen Verteilung — weder die Budgets der übrigen österreichischen Diözesen, noch die tatsächlichen Ausgaben sehr wesentlich unterscheiden.

Auch auf längere Sicht, über einen Zeitraum von rund drei Jahrzehnten hinweg, ergibt sich ein ähnliches Bild. So hat der Linzer Pastoral-;heologe Wilhelm Zauner die gewaltigen Summen, die nach dem Krieg von der Kirche in Österreich

:ür Bauten ausgegeben wurden, nach len drei Grundfunktionen: Liturgie, Verkündigung und Caritas aufgeschlüsselt. Rund 500 Kirchen wurden in Österreich neu errichtet, dazu wurde viel Geld für Umbauten ausgegeben. Die Kirchen dienen heut« ausschließlich der Liturgie und dei Verkündigung (im Gegensatz zu früher, als sie auch für karitativ« Zwecke zur Verfügung standen, etwa als Unterkunft für Obdachlose, man denke an das Asylrecht, das übrigens in anderen, vor allem lateinischen Ländern, auch heute noch lebendig ist).

Große Summen wurden für den Bau von pädagogischen Akademien Pfarrheimen, Bildungshäusern ausgegeben — sie sind alle ziemlich eindeutig der Verkündigung zuzurechnen. Natürlich gab es auch Bauten von Kindergärten und Krankenhäusern, aber daran waren die Budgets der Diözesen — im Verhältnis zu ihren übrigen Ausgaben — verhältnismäßig schwach beteiligt. Vorschläge im Rahmen von Synoden einen fixen Prozentsatz der diözesanen Budgets für die Hilfe an di« Dritte Welt zur Verfügung zu stel-

len, stießen bei jenen, die letztlich über die Finanzgebarung entscheiden, auf keine Gegenliebe.

Alles das ist eine Bestätigung dafür, daß die Caritas der Kirche zum größten Teil von Spenden, von Almosen, leben muß. Es wird zwar gern von Nächstenliebe geredet — in Budgets aber wirkt sich das kaum — oder kaum sichtbar — aus.

Natürlich ist damit nichts dagegen gesagt, daß die kirchlichen Finanzkammern viel Geld für die Verkündigung ausgeben. Übrigens scheint selbst innerhalb des Bereiches „Verkündigung“ die Verteilung der Finanzen eine Frage wert. Im Zusammenhang mit der Rettungsaktion für die FURCHE wurde immer wieder betont, daß dafür keine Kir-chenbeitragsmittel verwendet wurden und werden. Es ist nicht einzusehen, daß ausgerechnet für eine Zeitung — die doch mindestens so sehr der „Verkündigung“ im weiteren Sinn zuzurechnen ist wie eine pädagogische Akademie — keine Kirchenbeiträge ausgegeben werden sollen. Bedenkt man dazu die finanziellen Relationen — wie viel es etwa kostet, eine Schule oder eine Kirche zu bauen, und wieviel die Finanzierung der FURCHE kostet — wird diese Zurückhaltung gänzlich unverständlich.

Es wäre gewiß nicht klug, in einer Zeit, in der so gut wie jede Zeitung und Zeitschrift mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, neue Zeitungen und Zeitschriften zu gründen; aber bestehende und traditionsreiche Blätter sollten keinesfalls ausgehungert oder leichtfertig um das sprichwörtliche Linsengericht verkauft werden.

Keinesfalls dürfte aber darüber die Caritas der Kirche als Empfänger von Almosen aus den diözesanen Budgets dastehen wie bisher. Wilhelm Zauner, dessen bereits zitierter Aufsatz in mehrere Weltsprachen übersetzt worden ist, weist darauf hin, in welch große pastorale Chance sich die Kirche begibt, wenn CanU tas fast ausschließlich aus Almosen betrieben wird. Die Diakonie wendet sich an alle Menschen und muß sich, will sie christliche Diakonie sein, an alle Menschen wenden, „ohne Unterschied der Religion, der Volkszugehörigkeit, der Partei, des Geschlechts“ (Zauner), sie ist missionarisch und bestimmt das Image der Kirche in der Öffentlichkeit.

Wenn das Wort stimmt, daß die einzige Bibel, die die Menschen heute „lesen“ können, die Christen sind, dann bedeutet das in der Konsequenz nicht nur den verstärkten Einsatz des einzelnen in der Diakonie, sondern wohl auch eine „Umverteilung“ kirchlicher Finanzen. Verkündigung kann mißverstanden werden, die Liturgie an den Menschen vorbeigehen — die Caritas aber ist unmißverständlich. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß entschiedene Anstrengungen auf dem Gebiet der Diakonie auch positive Auswirkungen auf die „Zahlungsmoral“ hätten.

Außerdem kann die Diakonie viel dazu beitragen, dnnerkirchliche Spannungen abzubauen. Zauner schreibt dazu in seinem Aufsatz: „Die Spannung Klerus — Laien, Amt — Gemeinde, hierarchisches und demokratisches Prinzip sind in der Diakonie am geringsten.“ Schließlich verweist Zauner auf die große Chance, die die Diakonie für die Ökumene darstellt.

Die nachkonziliare Kirche scheint in großer Gefahr zu sein, eine bloße Wort-Kirche zu werden. Diese Entwicklung wäre eindeutig eine häretische und muß unter allen Umständen vermieden werden. Wie groß diese Gefahr ist, kann daraus ersehen werden, daß sogar das mit dem Konzil wiederbelebte Diakonat, das ein — schon das Wort verrät es — diakonisches, ein karitatives Amt war, zu einem fast ausschließlich liturgischen Amt wurde.

Die Diakonie ist heute, zumindest in der Kirche Österreichs und wahrscheinlich des Westens, das Stiefkind in der Finanzgebarung. Das betrifft die Caritas auf weltweiter Ebene vielleicht noch stärker als auf Gemeindeebene. Das Zweite Vatikanum hat in dieser Angelegenheit eine sehr deutliche Sprache gefunden (Gaudium et spes 88): „Es ist... Sache des ganzen Volkes Gottes, wobei die Bischöfe mit Wort und Beispiel vorangehen müssen, die Nöte unserer Zeit nach Kräften zu lindern, und zwar nach alter Tradition der Kirche nicht nur aus dem Überfluß (ex superfluis), sondern auch von der Substanz (ex substantia).“ Ein Blick auf diözesane Budgets zeigt, daß die Kirche auch da noch weit davon entfernt ist.

Die Kirche — das sind wir alle. Und wenn — aus welchen Gründen auch immer — an diesem Unheils-Zustand sich nichts ändert oder nichts geändert wird, dann wäre zu überlegen, ob es Christen nicht freistehen sollte, aus eigener Verantwortung ihren finanziellen Beitrag jenen Institutionen zukommen zu lassen, die unmißverständlich der Diakonie dienen und die für die Existenz dieser konstitutiven Grundfunktion sorgen, ohne die die Kirche nicht die Kirche Christi wäre.

Damit ist keineswegs einer Verflachung des Christentums in einen puren Horizontalismus und in „bloße Humanität“ das Wort geredet. Eine Kirche der Diakonie, in der Verkündigung und Liturgie aufgegeben werden, könnte ebensowenig Anspruch erheben, Kirche Christi zu sein, wie eine Kirche ohne Diakonie.

Zum Schluß noch einmal Wilhelm Zauner: „Nicht nur der einzelne, sondern auch die Kirche als ganze steht unter dem Gericht, dessen Gegenstand nach Matthäus 25 weder die Verkündigung noch die Liturgie, sondern einzig und allein die Diakonie ist. Nicht, was ihr dem geringsten meiner Brüder erzählt oder was ihr mit ihm gefeiert habt, sondern einzig was ihr ihm getan habt, entscheidet alles.“

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