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Alpträume im Traumberuf

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In zwanzig Jahren Tätigkeit als Auslandskorrespondent lernt man den Umgang mit allen Formen der Zensur kennen. Und mit vielfältigen Repressionsversuchen leben.

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In zwanzig Jahren Tätigkeit als Auslandskorrespondent lernt man den Umgang mit allen Formen der Zensur kennen. Und mit vielfältigen Repressionsversuchen leben.

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Der Einstieg in eine solche Existenz in der Mitte von James Bond und Karl May war vor zwanzig Jahren allerdings viel leichter als heute, wo man niemand mehr raten kann, ohne festen Vertrag und Auftrag von zu Hause in der Tasche nach der Ferne zu schweifen. Damals genügte es, einfach am Ort des Geschehens zu sein und mit dem Presseleitfaden in der

Hand Bewerbungsschreiben an alle in Frage kommenden Redaktionen loszulassen.

„Vor Ort“ war in meinem Fall Anfang 1966 Athen. Zu Füßen der Akropolis befand ich mich durch eine Anzeige: „Athener Kurier sucht Chefredakteur“. Es war wirklich verführerisch, mit knapp 25 Jahren schon Chefredakteur zu werden. Und ich wurde es auch. Leider hatte ich mir den Laden nicht vorher angeschaut: Denn die vierseitige Tageszeitung im Kleinformat zählte neben dem Chefredakteur nur noch den Setzer, Drucker und Kolporteur zu ihrem Stab.

Es war zumindest eine recht lehrreiche Zeit. Lehrreich waren die Athener Jahre bis Ende 1969 auch in Sachen Auslandsberichterstattung. Zunächst war Griechenlandkorrespondent wirklich ein Traumberuf. Der Posten in Athen unterschied sich nicht nur durch schöneres Klima und weniger Hektik von anderen europäischen Standorten.

Das änderte sich völlig mit dem 21. April 1967. Da erfolgte die sogenannte „Nationale Revolution“, bei der in Athen ein Militärregime mit neofaschistischer Ausrichtung die Macht ergriff. Fortan gab es neben strikter Zensur in den griechischen Medien auch für die Auslandspresse die Behandlung mit Zuckerbrot und Peitsche.

War ein Bericht dem ins Presseamt abkommandierten Artillerie-Oberst genehm, so wurde man im griechischen Rundfunk zitiert, Soldaten schleppten Geschenkkörbe ins Büro, anderweitige Vergünstigungen wurden einem geradezu aufgedrängt.

Doch wehe, wenn man sich gegen das autoritäre „Hellas der Hellenenchristen“ kritisch zu stellen wagte. Dann begann mit Vorladung und Verwarnung eine Spirale, die bei Verhaftung und Ausweisung zu enden pflegte. Nach den Korrespondenten von BBC, Kölner Stadt-Anzeiger und Süddeutscher Zeitung war es zweieinhalb Jahre nach dem Obristen-putsch auch bei meiner Wenigkeit so weit.

Per Schiff wurde ich nach Ägypten abgeschoben, wo ich schon 1964/65 für kürzere Zeit gewesen war. Damals hatte mich die nasseristische Totalzensur abgeschreckt. Jetzt glaubte ich, ihr gewachsen zu sein.

Irgendwie war das damalige ägyptische System für den Korrespondenten selbst narrensicher. Aus Kairo konnte bis in den Oktober 1974, als dann Sadat die Vorzensur abschaffte, nichts per Telefon, Pressetelegramm, Post und ab 1973 auch per Fernschreiber hinausgehen, was nicht Stunden vorher dem Zensor in mehrfacher Ausfertigung vorgelegt worden war. Bald beherrschte auch jeder Neuankömmling die nasseristische Sprachregelung und wußte zum Beispiel, daß die arabischen „Terroristen“ in Wirklichkeit edle „Freiheitskämpfer“ waren. Wer sich nicht daran hielt, mußte

damit rechnen, daß bis zu 90 Prozent seines Textes gestrichen wurden.

Meist standen die ägyptischen Zensurbeamten mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß, weshalb man oft das eine oder andere offene Wort durchschwindeln konnte. Manchmal gab es aber auch peinliche Mißverständnisse. So Anfang 1971 der „Schulterschluß“ zwischen Sadat, Assad und Gadhafi im libyschen Benga-si, hinter dem der Zensor die Verleumdung einer „widernatürlichen Annäherung“ zwischen den drei Staatschefs witterte.

Peinlich auch die stundenlangen Wartereien in einem Holzschuppen auf dem Hof des Ministeriums für „Nationale Lenkung“. Peinlich die plumpen Erpressungsversuche des einen oder anderen Zensors, um sich eine Kiste Whisky oder gar die Anstellung als Ubersetzer zu verschaffen.

Am peinlichsten aber die regelmäßigen Nötigungen durch den damaligen Auslandspressechef Gamal Bakr, den Spitzel gegen die eigenen Kollegen und Diplo-

Keinen Fernsehschlaf gefunden

maten zu spielen. Zum Glück warnte mich gerade noch rechtzeitig ein indischer Korrespondent, der sich einmal hatte einschüchtern lassen und seitdem laufend erpreßt wurde. Ich zeigte also den ersten Anwerbungsversuch beim Botschafter an, der mir alle weiteren Anbiederungen der ägyptischen Staatsschützer energisch vom Leibe hielt.

Ein Agent Israels

Nicht so einfach war das, wenn umgekehrt die Ägypter einen Journalisten für einen Agenten hielten oder ihn als solchen erscheinen lassen wollten. Unter Nasser stand in Kairo eigentlich jeder Ausländer im Verdacht, ein heimlicher Jude, Spion Israels oder am besten gleich beides in einem zu sein.

Je länger dann Sadat regierte, desto stärker traten bei solchen Vorwürfen finanzielle Hintergedanken oder das Präparieren von Sündenböcken in den Vordergrund. Nie werde ich Neujahr 1972 vergessen, als ich mitten aus der Silvesterfeier auf die Botschaft „gerettet“ werden mußte, der eine führende Wiener Tageszeitung eben mitgeteilt hatte: „Unsere ägyptischen Partner verweigern die Zahlung für eine vielseitige Sonderbeilage. Grund: Unser Korrespondent wird in Kairo als Spion betrachtet!“

Das ging noch einmal harmlos ab. Weniger Glück hatten ein paar Jahre später drei junge Mitarbeiter des Schweizer Radios und eine deutsche Studentin aus Berlin,

die monatelang tief unter der Erde in der Kairoer Zitadelle schmachten mußten, weil man sie als „Terrorkommando“ abstempeln und für fast alles und jedes in Ägypten verantwortlich machen wollte. Mit erwiesener Unschuld, aber fürs Leben gezeichnet, mußten sie schließlich auf freien Fuß gesetzt werden.

Damals befand ich mich zum Glück gerade in Rom, nachdem sich Ägypten in der Zeit vor Sa-dats Flucht nach vorne in den Separatfrieden mit Israel zum ersten Mal zu einem heißen Boden für Auslandskorrespondenten mit offener Aussprache entwik-kelt hatte. Die römischen Jahre zwischen 1974 und 1979 als Korrespondent beim Heiligen Stuhl und Souveränen Malteserritter-Orden waren gewiß die schönsten von allen, aber auch nicht ganz ohne Tücken. Womit nicht so sehr die päpstlichen Pressesprecher als vielmehr die italienischen Polizisten gemeint sind.

Sie sahen in jedem Tiroler, der sich in der Ewigen Stadt niederließ, gleich einen Südtiroler „Bumser“ und nahmen das Vor-

(Karikatur Stauber/Die Welt)

handensein eines österreichischen Zweitpasses zum Anlaß einer mitternächtlichen Durchsuchung von Haus und Büro. Doch wer aus Kairo kam, den konnte das alles nicht erschüttern.

Mit Camp David war Ägypten aber wieder interessant geworden und auch wieder ein Platz, an dem man halbwegs unbehindert arbeiten konnte. Allerdings stand Kairo nicht mehr im Mittelpunkt der arabischen und islamischen Welt wie zu Nassers Lebzeiten. Im Gegenteil, es geriet mit Sadat immer mehr in die Isolierung von allen seinen Nachbarn mit Ausnahme Israels.

Von da an war eine rege Reisetätigkeit nötig, um mit den Ereignissen und Entwicklungen in dem weiten Nahostraum Schritt zu halten. Und damit tauchte ein neues Problem auf. Es zeigte sich nämlich, daß ein Auslandskorrespondent nur in Tunesien und der Türkei und unter Einschränkungen auch noch in Marokko ganz anstandslos willkommen ist: In Algerien ist ein Drei-Tage-Visum am Flughafen das höchste der Gefühle.

Gadhafis Libyen konnte man nur so lange leicht besuchen, als es am Flughafen Tripolis noch keine Transithalle gab und man für jedes Umsteigen ein Transitvisum brauchte. Dieses wurde gegen Vorlage eines Flugtickets über Tripolis sofort gewährt, berechtigte aber erfreulicherweise zu einwöchigem Aufenthalt in der libyschen Dschamahirija.

In den Tschad und nach Afghanistan kam ich nur als „Doktor“, das heißt als Arzt hinein.

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