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Als Adam und Eva sprechen lernten"

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Eine Art Ursprache wird in dem aufsehenerregenden Film ,,Am Anfang war das Feuer" gesprochen (der daher nicht synchronisiert werden mußte). Zum Thema Ursprache liegt ein faszinierendes neues Buch vor. Dazu eine Rezension und eine Textprobe.

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Eine Art Ursprache wird in dem aufsehenerregenden Film ,,Am Anfang war das Feuer" gesprochen (der daher nicht synchronisiert werden mußte). Zum Thema Ursprache liegt ein faszinierendes neues Buch vor. Dazu eine Rezension und eine Textprobe.

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Wie haben „Adam und Eva" gesprochen?

Es war die Sprache, die aus einem Häuflein Hominiden jene echten Menschen gemacht hat, deren Nachfahren wir alle sind, stellt Richard Fester, als Paläo-linguist Privatgelehrter und Schriftsteller im schwäbischen Mosbach, fest.

Wann genau die Sprache entstanden ist, kann auch Fester nicht sagen. Irgendwann vor etwa 300.000 Jahren wird es wohl gewesen sein. Aber alles, was wir heute sprechen, ob als intellektuelle Europäer oder primitive Buschmänner - alles geht auf eine Ursprache zurück, auf ein halbes Dutzend von Grundelementen, die sich heute noch in allen Sprachen nachweisen lassen.

Frühere Forscher hatten behauptet, die Sprache sei aus den Rufen entstanden, mit denen sich frühzeitliche Jäger verständigt hätten. Dem hält Fester entgegen, daß auch Raubtiere ohne Sprache gemeinsam j agen oder heutige Jägervölker ihre Aktionen nur mit stummen Zeichen begleiten, weil ja laute Rufe die Beute verjagen würden.

„Doris und David Jonas" (Das erste Wort, 1979) orteten das Entstehen von Sprache beim Miteinander und im Verhalten von Mutter und Kind...

Für den Säugling ist Lautgabe ein akustischer Auslöser, die Mutter herbeizurufen. Diese ist darauf eingestellt, einem solchen Auslöser unverzüglich zu folgen, gerade auch wegen der Gefahr,-die von mithörenden natürlichen Feinden ausgehen könnte.

Das Kind wird schleunigst „gestillt". Wer denkt noch an diesen Hintergrund des „Stillens"?

Mit wachsender sozialer Sicherheit macht sich das Lautgeben des Kleinstkindes selbständig: Mit zunehmendem Alter findet es Gefallen daran und lallt und brabbelt aus reiner Freude. Dann benutzt es solches Tun, um seinem Wohlbefinden Ausdruck zu geben. Auch junge Katzen beginnen zu schnurren, wenn sie satt, warm und beschützt sind.

Und genau wie die Katzenmutter zurückschnurrt, imitiert die Menschenmutter die Laute ihres Babys... Und so lallen und brabbeln die beiden dann lustvoll miteinander ...

Irgendwann einmal sprang der Funke eines Sinngehaltes in eine bestimmte Form und wurde wieder und wieder so wiederholt, so gemeint und schließlich so verstanden ...

Erste Wörter müssen so einfach gewesen sein, daß sie nicht nur von sprachungewohnten Müttern, sondern auch von Kleinstkindern gesprochen werden konnten.

Ein Wort ist jedoch mehr als nur ein Ausruf... Zum unterscheidbaren Wort wird ein Laut erst, wenn er mit einem Mitlaut zusammen auftritt... Sprache beginnt dort, wo aus dem akustischen Auslöser für die bestimmte Verhaltensweise eines anderen eine Mitteilung wird, die keine eingleisige Reaktion mehr erwartet, sondern auf Teilhabe zielt," schreibt Fester.

Von den in der menschlichen Sprache vorhandenen Vokalen hat das A die meiste Verwendung. Unter den Konsonanten sind B/ P/M am leichtesten zu artikulieren, weist Fester nach und schließt daraus, daß das erste Sprachelement, das aus diesem grabbeln" von Mutter und Kind herausgewachsen ist, eben auch das „BA" gewesen sei.

Dem entspricht, daß heute noch in den meisten Sprachen Konstruktionen wie BABA, MAMA, BABE, BABY für Mutter oder Kind verwendet werden - bis zu MAMMA für die Mutterbrust in romanischen Sprachen oder PAPA für Muttermilch im Australischen.

, Auf der Höhe seiner lautlichen Entfaltung und Variierung umfaßte BA — der erste Archetyp — alles, was den frühen Menschen beschäftigte. Es findet sich überall dort, wo es um den Menschen geht, um sein körperliches Bild, sein Buhlen um Weib oder Mann, um die Mühe der Mutter um Bub oder Mädel der eigenen Familie, um Futter und Wärme, um den Bau der Wohnstatt, später von Booten und Waffen, um den Fang von Vieh, Fischen und Vögeln... Nebenbei bemerkt: alle Hauptwörter dieses Absatzes sind selber Folgeformen von BA!"

Noch vier weitere Archetypen der Sprache stellt Fester fest:

• KALL ist jede Vertiefung, jeder Hohlraum, jede Wölbung... Schale, Kehle, Kelle, Kuhle, Höhle, Kulthalle, aber auch das Loch in der Erde, Quelle, das weibliche Genital und alle daraus abgeleiteten Begriffe der Fruchtbarkeit.

• TAG ist der aufrechte Mensch - groß, hoch, erhaben, hoher Berg, spitz, hart, Stein, Waffe, Werkzeug, dann auch heiß, hell — und damit ,Tag*.

• TAL ist unten, Einschnitt, das ,Tal* der Landschaft, Senke, Boden, Erde, aus dem Gegensatz von Wasser/Land vielfach auch Insel. # ACQ schließlich ist das Wasser — nicht nur im lateinischen Aqua feststellbar.

Diese fünf sprachlichen Archetypen sind über lange Zeitläufe hinweg entstanden, haben einander überlappt, abgelöst — und scheinen in Bilinguen gemeinsam auf, in Wörtern, in denen beide Elemente gleicher oder verschiedener Sinngebung zusammenfallen.

Konsonanten wie Vokale unterliegen Lautwandlungen. K-Laute sind in G-, CH-, QU-Kombinatio-nen erhalten. KCH entwickelt sich zu SCH, KQ zu W, die Konsonanten werden umgekehrt: Archetyp KALL ist als Hinweis auf Quelle oder Tallage ebenso im biblischen GOLgatha wie im norddeutschen KIEL oder im süddeutschen LAACH zu erkennen.

Heutige Orts- oder Flurnamen auf der ganzen Erde, an denen Fester seine Thesen belegt, bedeuteten ursprünglich keine Namen, sondern die Bezeichnung der jeweiligen Population für den Berg, das Tal, den Wald, die Wiese.

Der jeweils vorherrschende Sprachgebrauch hielt jahrzehn-tausendelang an — Zeit genug, um mit den gleichen Formen über Zehntausende von Kilometern zu gelangen—und sie heute ebenso in der Sprache der Deutschen wie in jener der australischen Aborigi-nes wiederzuerkennen.

Auch wenn man nicht jeder einzelnen Schlußfolgerung des Autors folgt, doch ein faszinierendes Buch.

DIE STEINZEIT LIEGT VOR DEINER TUR. Ausflüge in die Vergangenheit Von Richard Fester. Kösel-Verlag. München 1981, 259 Seiten. öS 2433.

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