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Als der Dom brannte

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Der 26. April 1952 war für Wien ein Freudentag. Und da es noch kein Fernsehen gab, blieben die Wiener nicht daheim, sondern gingen in Scharen auf die Straße, um zu jubeln. Zentrum des Jubels war der Stephansplatz.

Es war ein Samstag. Kardinal Theodor Innitzer weihte feierlich den Altartisch im Albertinischen Chorhaupt des Domes. Jahrelang hatte eine gewaltige Trennmauer das Kirchenschiff gleichsam halbiert. Nun war der Stephansdom zum ersten Mal wieder in seiner vollen Ausdehnung sichtbar und zugänglich.

Der 26. April 1952 war aber ein doppelter Festtag. Am Abend traf die neu gegossene Riesenglocke „Pummerin" (siehe „Stichwort quot;,S. 2) vor dem Riesentor ein, nachdem der Guß einmal mißglückt war.

Dieses Jubiläum ist ein guter Anlaß, sich an das Vorausgegangene zu erinnern. Viele junge Menschen können sich den Zustand des Wiener Wahrzeichens nach Bombardierung, Artilleriebeschuß und Brand kaum vorstellen.

Irgendwann mitten im Krieg begannen Arbeiter, im Dom die gotische Kanzel einzumauern, auf dem Graben die Pestsäule einzumauern, Maßnahmen zum Schutz eines Teiles der Glasfenster im Dom zu treffen.

Tausende Menschen flüchteten dann jeden Morgen in die Wiener Innenstadt. Es gab da so ein Gerücht, die US-Bomber—sie kamen wochenlang jeden Vormittag — würden die Kulturdenkmäler im Stadtzentrum schonen.

Die Innenstadt wurde doch angegriffen. Ein einziges Mal. Am 12. März 1945, genau am Jahrestag von Hitlers Einmarsch in Osterreich. Oper, Albertina, Parlament fielen dem „Denkzettelangriff" zum Opfer. Ich erinnere mich gut an die Erderschütterung, an das Geschrei im Keller, an den gewaltigen Bombentreffer direkt neben dem Chor.

Ein paar Wochen später löschten wir auf dem Dachboden unseres Wohnhauses im zweiten Bezirk Funken von einem brennenden Nachbarhaus.

Wir blickten zum ersten Bezirk hinüber. Es brannte viel. Auch Dom und Turm waren in Flammen gehüllt. Wir suchten herauszufinden, ob nicht vielleicht nur Häuser davor oder dahinter brannten. Aber da war keine Selbsttäuschung möglich.

Dann rollten die Sowjetpanzer durch die Taborstraße — und man konnte sich wieder halbwegs frei bewegen. Ich erinnere mich: Ich stand vor dem Riesentor und blickte in einen Trümmerhaufen. Er gloste noch. Aber immerhin: Der Turm stand. Alle Fassaden standen. Die meisten Gewölbe hatten gehalten. Und - man lebte.

Die Russen nährten später die Legende, Waffen-SS hätte „aus Rache für die Feigheit der Wiener" das Wahrzeichen zum Abschied in Brand geschossen. Tatsächlich dürfte sowjetische Artillerie, die den zum Donaukanal flüchtenden deutschen Truppen nachschoß, das Dach getroffen und die Eindeckung zum Teil zerstört haben, wodurch die Entstehung von Bränden durch Funkenflug gefördert wurde.

Diese Entstehungsbrände konnten aber dank des unermüdlichen Einsatzes der freiwilligen Löschmannschaft (und dank der Holzimprägnierung) schnell unter Kontrolle gebracht werden. Auch eine kleine sowjetische Fliegerbombe, die das Gewölbe des südlichen Seitenschiffes durchschlagen hatte, hatte keinen größeren Schaden angerichtet.

Das Schicksal der Kirche war erst besiegelt, als in der Nacht auf den 12. April starker Wind aufkam, der einen Funkenregen von den brennenden Häusern auf der Westseite des Stephansplatzes über den Dom trieb. Der eingerüstete unausgebaute Turm fing Feuer. Der Brand griff dann auf den Dachstuhl und auf den Glok-kenstuhl der im Hochturm hängenden Pummerin über. Zugleich entzündete Funkenflug durch das zerstörte große Westfenster die Hauptorgel. Der südliche Heidenturm mit allen Glocken brannte aus, den nördlichen konnte Domkur a t Göbel mit seinen Helfern im letzten Moment retten.

Sie hatten keine Chance, mehr zu tun. Die Wasserleitungen waren zerstört, alle Wiener Berufs-Feuerwehrmänner von der SS verschleppt.

Die unersetzlichsten Verluste im Kircheninneren entstanden durch den Einsturz eines im Inneren des Daches über den Chorpfeilern errichteten Mauerwerks. Die kühne,' zur Stützung des Dachstuhles bestimmte Konstruktion geriet aus dem Gleichgewicht, durchschlug die Gewölbe von Mittel- und Apostelchor und begrub Lettnerkreuz und spätgotisches Chorgestühl unter glühendem Schutt. Glück im Unglück: Lucca Chmel hatte das herrliche Chorgestühl kurz vorher photographisch dokumentiert.

Es ist ein posthumes Ruhmesblatt für die gotischen Baumeister, daß die Ziegelverbände aller Langhausgewölbe dem Aufprall des brennenden Dachgebälks standhielten. Durchweichte Teile der Chorgewölbe stürzten allerdings im November 1945 ein — in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte es keine Möglichkeit gegeben, sie vor dem Regen zu schützen.

Die Vorarbeiten für den Wiederaufbau begannen sofort. Am 19. Dezember 1948, Sonntag vor Weihnachten, konnte im verkürzten Langhaus wieder der erste Gottesdienst stattfinden. Viereinhalb Jahre stand der Wiener Neustädter Altar als provisorischer Hochaltar vor der gewaltigen Trennwand zu den zerstörten Teilen.

Der wiederhergestellte Stephansdom ist nicht nur wegen der fehlenden Kunstwerke ein anderer, als er war. Der Raumeindruck erfuhr eine grundlegende Änderung: Durch die hellere Verglasung und die Reinigung der seit Jahrhunderten rußgeschwärzten Wände wich das einst für St. Stephan charakteristische mystische Dunkel einer Helle, die Strukturen und Einzelkunstwerke dem Blick preisgibt und auch die Beseitigung der Trennungen zwischen den Seitenchören stärkt die Einheitlichkeit der nun weiten, hellen Halle.

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