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Als der rote Kater kam

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Wenn hierzulande ein nicht kastrierter Kater ein Alter von sechs bis sieben Jahren erreicht, besteht Aussicht, daß er älter wird. Der Grund dafür sind die Gefährdungen, die er mit Glück bestanden hat. Die natürliche Auswahl, daß nur das Starke und Gesunde überlebt, wie sie früher unter seinesgleichen im Kampf

mit natürlichen Feinden Voraussetzung war, hat sich abgeschwächt; ein Kater, der in die Kategorie der Gesunden und Starken fällt, weil seine Urin- stinkte gut ausgebildet sind, muß dazu neue Instinkte auf dem langen, bitteren Weg der Erfahrung gegen neue Feindbilder entwik- keln, um zu überleben.

Die neuen Feinde sind wir mit unseren technischen Errungenschaften, wir, denen er vertraut und von denen er gleichzeitig das Böse zu erwarten hat. Ich sage jeden Tag zu Buru, unserem roten Kater, wenn ich ihm die Haustür öffne, weü es ihn hinaustreibt, gib acht auf dich, lerne zu unterscheiden, denn wir sind deine großen Feinde, sage es ihm immer wieder, obwohl er es schon zu wissen scheint, es erfahren hat, sonst wäre er nicht mehr.

Buru ist ein alter Kämpe, nicht nur, weil er die Rivalenkämpfe

inner- und außerhalb des von ihm markierten Reiches und gegen andere natürlichen Feinde bestanden hat und besteht (man merkt es, wenn er mit blutenden Ohren und nackten Flecken im Fell daherkommt), sondern weil er angeschlagen ist. Nach außen ist seiner Stattlichkeit und roten Schönheit nichts anzumerken. Er bewegt sich leicht, geschmeidig und vorsichtig durch den Garten, auch wenn er es, flüchtig betrachtet, nicht zu sein scheint, verbirgt das Angeschlagensein wie ein alter Ritter seine vernarbten Wunden.

Schon die ersten Zärtlichkeiten ließen diese angeschlagenen Stellen zutage treten, am Hinterkörper und an den Beinen. Da zeigt er die Krallen, und es gibt einen leichten, aber scharfen Prankenhieb, zum Abgewöhnen, was auch heißt, man soll das Streicheln auf Kopf, Ohren und Hals beschränken.

Auch hat er Schwierigkeiten, beim Putzen den Hinterkörper zu erreichen. Vielleicht hat ihm jemand etwas nachgeworfen oder ihn geschlagen (ich kenne manche katzenfeindlichen Zweibeiner), oder es hat ihn ein Auto oder eine Falle gestreift (noch immer stellt,

wie zu Urzeiten, die Jägerschaft unwürdige Tellereisen auf). Jedenfalls ist er davongekommen, angereichert mit schlimmen Erfahrungen, die meine eingangs geschriebenen Sätze bestätigen: er hat Aussicht, noch älter zu werden. Denn, daß er schon älter ist, beweisen Backen- und Barthaare, und daß wir nicht wissen, wie alt er genau ist, entspringt der Tatsache, daß er erst im vergangenen Frühjahr zu uns gekommen ist.

Er ist also, wie wir sagen, ein Zugelaufener, oder er wurde ausgesetzt, trieb sich schon lange hier herum, immer unbeständig, von Abfällen oder Fütterungen Mitleidiger oder von Mäusen und Vögeln sich ernährend und nirgends bleibend.

Die Söhne, die eine Garteneisenbahn betreiben, erzählen, daß er, sooft sie ihn an Betriebstagen sahen, größtes Interesse an der durch den Garten fahrenden Bahn zeigte, aber jedem näheren Kontakt auswich —, bis zu dem Tag, an dem er kam und von wo an er blieb.

Die kleine Vorgeschichte: Ich gehe täglich morgens ein Stück in der Landschaft, und an

einem Sonntagsmorgen sah ich ihn einige Kilometer außerhalb des Dorfes, in der Nähe eines Bauernhofes, unweit eines Baches auf der schmalen Straße. Zweifelnd blieb ich stehen, überzeugte mich, daß er es war, indem ich mich ihm langsam näherte. Auch er blieb stehen, und als ich ihn lockte, das heißt, laut auf ihn einzureden begann in einem beschwichtigenden Ton, sah er mich irgendwie überrascht, aber vertrauensvoll an. So ließ er mich an sich heran, Kopf und Schwanz erhoben.

Ich hockte mich vor ihn hin, legte die Hand auf seinen Kopf. Aber wie sah er aus! Dürr, nur Fell und Knochen, ganz schmaler Hinterkörper, das rote Fell stellenweise haarlos, Zecken an der Haut, an der Nase gelben Rotz. Er ließ sich sanft streicheln, antwortete auf mein monotones Reden mit unterbrochenem Schnurren, trat zur Seite, wenn ich zu streicheln aufhörte, kam zurück, den Kopf zu meiner Hand erhoben.

Ich sagte ihm eine Menge Worte, hatte den Gedanken, ihn aufzunehmen, mit heim zu tragen, scheute aber davor zurück, weil ich wußte, er würde sich nicht zwingen lassen, fühlte vor seiner selbstgewählten Freiheit oder

Unabhängigkeit Respekt, sagte mir, deshalb würde er keine Hilfe annehmen. Langsam ging ich weiter, wandte mich immer wieder um, redete auf ihn ein, sah noch, daß er die Straße verließ und das Ufer des Baches hinaufging.

Das war am Morgen. Am Nachmittag dann war er plötzlich da, saß vor der Haustür, als habe er beschlossen, hier sitzen zu bleiben, wir standen um ihn herum, sprachen auf ihn ein, streichelten ihn. Er ließ es zu. Es gab einen Teller mit Fleisch, einen mit Milch.

Von diesem Nachmittag an blieb er, das heißt, er kam zum Fressen, putzte sich auf der Fußmatte vor der Haustür, inspizierte die Räume des Hauses kurz, ging, kam wieder. Das Fell wurde dicht und schön, der eitrige Schnupfen heilte aus, die Zecken mieden ihn (unter Anwendung homöopathischer Mittel), und jetzt, winters, kommt er ins Haus und bleibt ein wenig, schläft in einem Polsterstuhl.

Ich möchte diesem Ereignis nichts unterlegen, nehme es, wie es ist, bin aber doch hin und wieder versucht, ihm leise uneinsehbare Ursachen zu unterstellen.

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