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Als Fernziel bleibt die Ganztagsschule

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Noch ein „Wahltag“ in der Fülle der Urnengänge dieses Jahres: Am 26. und 28. Mai sind in Wien die Eltern der Volks- und Sonderschüler sowie der Schüler der Polytechnischen Lehrgänge sowie die Lehrer dieser Schulen aufgerufen zu entscheiden, ob ihre Schule in Hinkunft an fünf oder an sechs Tagen Betrieb halten soll. In anderen Bundesländern wurden diese Abstimmungen teilweise bereits durchgeführt. In Wien wartete man, bis die Anmeldungen der Erstkläßler für das nächste Schuljahr vorliegen, um auch die Eltern dieser Kinder befragen zu können.

Fünf oder sechs Tage Schule? Die Diskussion geht seit mehreren Jahren, ohne daß sich eine Annäherung der divergierenden Standpunkte abzeichnen würde. Die Tatsache, daß Oberösterreich seit vielen Jahren im gesamten Pflichtschulbereich die Fünftagewoche gelten läßt, gibt jenen Auftrieb, die sie ebenfalls einführen sollen. Dies sind einerseits die Eltern, die ihren freien Samstag nicht zur Gänze in der Zweitwohnung auf dem Land ausnützen können, wenn die Sprößlinge erst am Samstag mittags aus der Schule kommen. Das sind anderseits die Lehrer, die auch für sich jene Annehmlichkeiten fordern, die so vielen anderen Berufen längst selbstverständlich sind.

Dem stehen vor allem die Warnungen der Ärzte gegenüber, die eine Verlängerung der täglichen Lernzeit ebenso für schädlich halten wie eine noch weitere Intensivierung der Wochenendurlaube. Die Pädagogen fürchten einen geringeren Bildungsertrag bei Uberforderung der Kinder durch eine verlängerte Unterrichtszeit, eine Verkürzung der häuslichen

Ubungsmöglichkeiten, aber auch der Freizeitaktivitäten. Jene Eltern, die selbst am Samstag arbeiten müssen, sorgen sich um die Beaufsichtigung ihrer Kinder am schulfreien Tag.

Im Unterrichtsministerium wie im Stadtschulrat ist man sich einig, daß in dieser Frage sehr behutsam vorgegangen werden soll. Wenn es schon nicht möglich ist, klassenweise oder stufenweise zu variieren, wie der Katholische Familienverband gefordert hatte, so soll doch dafür gesorgt werden, daß die jeweils überstimmten Minderheiten möglichst gering bleiben.

Es werden sich also jeweils die Elternschaft und die Lehrer einer Schule mit Mehrheit für ihre Schule

„die Fünftagewoche... ist keine pädagogische, sondern eine gesellschaftspolitische Forderung“ entscheiden müssen - und es werden Ausweichmöglichkeiten für jene geschaffen werden müssen, die überstimmt werden. Wenn' sich also zwei Schulen eines Schulsprengeis jeweils mit geringem Ubergewicht für die Fünftagewoche entscheiden, wird eine der beiden mit der alten Form vorliebnehmen müssen. „Im Bereich eines zumutbaren Schulwegs“ wird es also in Hinkunft - in Wien - jeweils Schulen mit Fünftage-und mit Sechstage-Betrieb geben.

Aber auch die ab Herbst 1979 geltende Regelung für die einzelne Schule ist nicht irreparabel: Wenn zu einem späteren Zeitpunkt 20 Prozent der Eltern und Lehrer einer Schule dies fordern, kann eine neuerliche Befragung durchgeführt, und bei entsprechender Mehrheit die erste Entscheidung revidiert werden.

In der bisherigen Diskussion wurde eines klar: die Fünftagewoche in der Schule ist keine pädagogische, sondern eine gesellschaftspolitische Forderung. Das Interesse der Kinder - vor allem jener, die durch die Konzentrierung des Unterrichts überfordert wären - rangiert unter den Überlegungen pro und contra ganz hinten.

Ein Informationsblatt des Stadtschulrates für Wien ist äußerst vorsichtig abgefaßt und zählt die Gegenargumente mit fast noch stärkerer Betonung auf, als die Überlegungen zugunsten der Verkürzung. Dem entspricht auch die vorgeführte Aufschlüsselung der künftigen Stundenverteilung, die schon in der vierten Volksschulklasse zweimal Nachmittagsunterricht bringen würde. Von einer grundlegenden Lehrplanrevision ist noch keine Rede.

Obwohl aber bisher ausdrücklich nur von den Grundschulen die Rede ist (abgesehen vom Polytechnischen Lehrgang) ist in diesem Flugblatt die Aufschlüsselung auch für die Hauptschulen und die Gymnasial-Unter-stufen vorexerziert - und in der Folge wird der Vorteil der Ganztagsschule gegenüber der angepeilten Kurzschule entsprechend hervorgehoben.

Auch wenn hierbei betont wird, daß es „derzeit unmöglich (ist), eine Ganztagsschule einzurichten“, muß den Eltern, die nun über die Schule ihrer Kinder zu entscheiden haben werden, doch bewußt sein, daß dieses Ziel unverkennbar in der Ferne steht.

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