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Als Heimitist zur Sache

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Es fiel mir immer schon schwer, über Doderer zu schreiben — ich mußte es oft genug. Jedenfalls aber galt es bisher, anders als heute, vorzüglich seinem Werk, und nicht auch noch selber im eigenen Text zu figurieren. Allerdings wäre es irrig, zu meinen, man könne einen Erzschriftsteller wie Doderer durch persönlichen Umgang besser kennenlernen, als durch die Lektüre seiner Bücher: er hatte sich schon zu Lebzeiten in toto überliefert. — Jedoch kann ein noch am Anfang stehender Autor durch persönlichen Umgang mit einem Erzschriftsteller wie Doderer von sich selber und seinem Beruf eine bessere, weil genauere Vorstellung erwerben.

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Es fiel mir immer schon schwer, über Doderer zu schreiben — ich mußte es oft genug. Jedenfalls aber galt es bisher, anders als heute, vorzüglich seinem Werk, und nicht auch noch selber im eigenen Text zu figurieren. Allerdings wäre es irrig, zu meinen, man könne einen Erzschriftsteller wie Doderer durch persönlichen Umgang besser kennenlernen, als durch die Lektüre seiner Bücher: er hatte sich schon zu Lebzeiten in toto überliefert. — Jedoch kann ein noch am Anfang stehender Autor durch persönlichen Umgang mit einem Erzschriftsteller wie Doderer von sich selber und seinem Beruf eine bessere, weil genauere Vorstellung erwerben.

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Und dann: ich vermag den um viele Jahre und Schicksale Älteren nicht zu der Generation meines frühverlorenen Vaters zu zählen, obwohl der Altersunterschied zwischen beiden nur zwölf Jahre betrug; ich sah ihn vielmehr in derselben Distanz wie meinen Großvater; Generationskonflikt gab es da keinen. Doderer wurde für mich daher zum ersten wirklich akzeptablen Zeugen einer faszinierenden, versunkenen Welt, zu der ich natürlich einige Ziehungen hatte; in dem war er, wenn er davon handelte, weder Hagiograph noch Verleumder eines Daseinsgefühls, dessen einmal handgreiflich gewesene Substanz ich selber, als ein im Jahr 1932 Geborener, gar nicht mehr direkt erfahren konnte.

Genie — damit darf's an Definition genug sein — bedeutet mir nicht irgendeinen Begabtesten unter Begabten, sondern einen durchaus anders Verfaßten als unsereins, als alle anderen noch so guten, noch so schlechten, tüchtigen odef untüchtigen Menschen. — Als ich Doderer kennenlernte, war mir seinesgleichen persönlich noch nie begegnet.

Aber Genie ist immer kenntlich: am sichersten an seiner Leistung. Und so auch Doderer. Auf die Dauer verkannte Genies gibt es nicht. Wohl aber ist Genie stets, und oft auf schrecklichste Weise, auf sich und niemand sonst gestellt: seine Kategorie einzig und allein selber zu sein und erfüllen zu sollen, ist das einsamste Geschäft von allen und eine so ungeheuerliche Schicksalsanforderung, daß sie über die besten Kräfte jedes Menschen hinausginge.

Sie geht auch über das Vermögen des Genies hinaus. — Doderer bildete keine Ausnahme.

Da sitzt es nun vor seinem immer wieder leeren Blatt Papier und bildet sich — das ist der harmloseste Fall — kongeniale Freunde ein oder sucht gar1 — schon gefährlicher — sein Heil in irgendeiner Hierarchie, und immer vergebens, sei es gleich diesbezüglich noch so guter — oder anderseits halt noch so praktischer — Herkunft. Da huldige es aber auch — meinetwegen im Gegenteil

— irgendwelchen frommdemokrati-chen Vorstellungen: es kommt dasselbe, irrige, unangebrachte Zugehörigkeitsgefühl heraus, nur kriegt die dabei produzierte Loyalität eben dann der Demos schrecklich an den Kopf. Statt in den auf solche Weise immerdar verfehlten richtigen Hals: er darf ja nicht mit der Totalität aller Connaisseurs verwechselt werden — an solcher Verwechslung sind, bei erfolgter Konkretisierung, noch alle Ideologien eingegangen. Auch jene haben nicht selten Genies zum Urheber gehabt.

Es gibt sohin auch dumme Genies.

— Und Genies, die sich's leicht machen.

Doderer jedoch war klug. Und hat sich's dennoch schwer gemacht, 30 schwer, wie selten einer. Er identifizierte sich in seiner Kunst mit gar keiner Ideologie. Wenn man nun, 1970/71, ähnliches von Günther Grass lesen konnte — der Österreicher Doderer hatte dasselbe nicht nur schon dreißig Jahre früher praktiziert (dafür gäb's billige Erklärungen), sondern auch noch in den sechziger Jahren, und bis zu seinem Tode, zu einer Zeit also, als derlei weder mehr opportun noch modern gewesen ist. Nicht einmal von seinem Katholizismus machte er, der tiefgläubige Konvertit, in seinem Werke Gebrauch: nicht die geringste Spur davon läßt er durchschimmern. Er wußte zutiefst um seine Gruppen-losigkeit und beließ es dabei. Auch seine Standestreue meinte nur ihn selbst: wenn er „Der Schriftsteller“ sagte, bedeutete dies: Ich, Heimito von Doderer. Mit Ausschließlichkeit. Er war das Maß. Er gehörte keiner Klasse mehr zu, keiner Klasse mehr an.

Aber er hat neben beständigen Feinden auch immer beständige Freunde gehabt. Von rechts und links und oben und unten: wie es sich gerade traf. Es traf sich wohl immer gut: Sie blieben's lebenslang, so eine Eigenschaft erweisend, die sie mit den Fern-Heimitisten, seinen Lesern, teilten: die Treue. Eine lieh in einer bereits ziemlich leergepfändeten Wohnung, wo außerdem, infolge Abschaltung, keinerlei elektrisches Licht brannte. Noch sei Gas im Rechaud zu finden, beteuerte der seine Delogierung erwartende Gastgeber bitter, als man der empfindlich herrschenden Kälte durch vergebliche Entzündungsversuche, an ehrwürdigem Gasofen vorgenommen, zu begegnen trachtete. Es gäbe indes nebenan seltsamerweise noch Matratzen und Decken zuhauf, man bediene sich gefälligst ihrer, Wein habe man hoffentlich selber mitgebracht?

Man hatte. Und lauschte alsbald in besagtem Nebenraum rasch einsetzenden dichterischen Vorträgen. Licht spendete eine einzelne funzelnde Kerze, auf ein ärmliches Tischlein geklebt.

Als die Reihe vorzulesen an mich kam, hatte ich nur einen Romananfang, an den ich selber nicht mehr so recht glaubte, längst zuviel getrunken und außerdem zuwenig Licht für mein fast bis zur Unleser-lichkeit korrigiertes Manuskript, zudem eine — aus allen diesen Gründen — überheblich-aggressive Vortrags-, richtiger: Vorstotterungs-weise.

Dies alles soll nun keinen Rechtfertigungsversuch darstellen. So nahe derlei läge! Denn beachtlich war es schon, mein Publikum! Jeder meiner Mitdichter hat es später zu was gebracht; einer sogar zum hochbezahlten Stundenhotelportier; nur einer noch — außer mir — konnte sich auch fürder des Dichtens nicht entschlagen; allerdings beließ er's vernünftigerweise bei einem rasch mit einem Preis versehenen Jugendbuch und wurde daraufhin wohlbestallter Lektor für verwandtes Produkt.

Es mag meine damalige — sozusagen umfassende — Unsal indes immerhin erklären, wieso, als ich endete, zunächst überhaupt nichts erfolgte. Denn nach den Produktionen meiner Vorgänger, hinter wackelnder Kerze an wackelndem Tische, hatte sich immerhin — meist — wüstes, ablehnendes Gebrüll oder — seltener — auch zustimmendes Geschrei erhoben; gelegentlich waren sogar Diskussionen oder wenigstens diskussionsähnliche Schimpfereien entstanden.

Wißts denn überhaupt, wos des is, ein Roman, wos des bedeut, Prosa, Romanprosa, ihr Trotteln? Horts zua.“

Worauf er in ähnlichen Sprachschattierungen, teilweise bis zur Un-verständlichkeit abgedunkelt, aus irgendeiner Zeitschrift jenen großen Essay Doderers vorlas, der heute den Mittelteil der theoretischen Schrift „Grundlagen und Funktion des Romans“ bildet, die ganze lange, von dem Dichter wohl später erst dann auch vor der Societe des Etudes Ger-maniques in Paris gehaltene Rede.

Es währte, schien mir, stundenlang. Rundum war man teilweise schon zu Schlaf und Schlummer übergegangen.

Ich aber blieb wach. Dabei verstand ich wahrhaftig nur einige Sätze des Essays, und die ärgerten mich nur und schienen mir wie vergiftet. Sie waren auch vergiftet: nur lag's am Vortrag, daß sie mir vergiftet erschienen, nicht am Text; und an meiner Verfassung, nicht am Verfasser — ich konnte es damals freilich nicht unterscheiden.

„Na, was sagts jetzt?“ fragte der heutige Lektor, als er endlich zum Schluß gekommen war.

Einige Wiedererwachte murmelten müde Abfälliges.

„Von wem war das?“ erkundigte ich mich flüsternd bei meiner Begleiterin; ich genierte mich, laut zu fragen.

„Das weißt du nicht? Bei diesem Soundso da, der, seitdem die .Dämonen' heraus sind, überhaupt von keinem anderen Schriftsteller mehr redet, außer vielleicht noch vom Gütersloh?“

Zu dem Titel „Dämonen“ fiel mir damals, ich gesteh's, einzig und allein Dostojewskij ein. Indes schien mir der heutige Lektor schon viel zu bartlos, um Dostojewskij so innig meinen zu können, wie meine Begleiterin anzudeuten schien, ganz abgesehen davon, daß mir auch der Stil des malträtierten Vortragstextes gar nicht in den russischen Winkel passen wollte.

Ich zwickte das Mädchen also forschend; als poeta non doctus weiß man ja nie etwas. Sie, als nahezu omnivore Leserin hingegen, wußte immer alles und war stets ä jour. „Von wem war das?“ forschte ich wiederum und streng.

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