HIROSHIMA_ATOMIC_BOMB_AUGUST_1945_Q(HS)833 - © National Fire Service photographers

Als Hiroshimas Himmel brannte: Die Atombombe und die Folgen

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Warum die USA die Atombombe einsetzten, und wie sich die Strategie der nuklearen Abschreckung entwickelte.

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Warum die USA die Atombombe einsetzten, und wie sich die Strategie der nuklearen Abschreckung entwickelte.

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Am 6. August 1945 wurde über der japanischen Stadt Hiroshima die erste Atombombe gezündet, drei Tage darauf über Nagasaki die zweite. Wenig später kapitulierte das Kaiserreich Japan, US-Präsident Truman hatte mit dem Einsatz der Vernichtungswaffe sein Ziel erreicht: die Abkürzung des Krieges. Was bisher wenig bekannt war: Auch die Japaner hatten fieberhaft ein Atombomben-Projekt vorangetrieben. Der 6. und 9. August 1945 bedeutete gerade auch für die Militärplaner eine Zäsur. Allmählich begannen sie, die Nuklearwaffen in ihre Kriegsführungs-Strategien mitein-zubeziehen. Die Entwicklung der strategischen Konzepte schildert der folgende Beitrag.

Am 16. Juli 1945 überreichte ein Mitarbeiter des Stabes der amerikanischen Delegation Präsident Harry S. Truman im Schloß Cäcilienhof, wo eben die Potsdamer Konferenz stattfand, ein Telegramm. Es bestand aus drei Wörtern, die nur für Eingeweihte einen Sinn ergaben: „Babies satis-factorily born” (Geburt der Kinder zufriedenstellend verlaufen). Im Klartext hieß das: Der Atombombenversuch ist erfolgreich durchgeführt worden.

Tatsächlich waren am frühen Morgen dieses Tages an der Nordwestecke des Flugplatzes von Alamogordo, etwa 200 Kilometer südöstlich der Stadt Albuquerque in der Wüste von New Mexico im Südwesten der USA, alle Vorbereitungen für die Zündung der ersten Atombombe abgeschlossen worden.

Um 5.30 Uhr (amerikanischer Zeit) löste man die Explosion aus. Der riesige Feuerball, der Bruchteile von Sekunden danach in den morgendlichen Himmel stieg, gab dem amerikanischen Präsidenten eine Waffe in die Hand, mit der er dank ihrer ungeheueren Zerstörungskraft militärische Auseinandersetzungen innerhalb kürzester Zeit zu seinen Gunsten entscheiden konnte.

Präsident Truman fiel die zweifelhafte Ehre zu, als erster Staatsmann in der Geschichte der Menschheit die Atombombe gegen eine gegnerische Macht (in diesem Fall Japan) einzusetzen. In seinen 1955 auch in deutscher Sprache erschienenen Memoiren beschreibt Truman das Dilemma, in dem sich die Amerikaner nach dem Sieg über Hitler befanden.

Noch im Juni 1945 glaubten die Militärs im Washingtoner Pentagon, den japanischen Widerstand erst im Spätherbst 1946 brechen zu können. Die Invasion Japans sollte zweigeteilt werden. Die erste Landung sollte im Herbst 1945 auf Kiuschu, der südlichsten der japanischen Inseln, erfolgen. Die zweite große Invasionswelle war für etwa vier Monate später, also für Jänner 1946, vorgesehen.

Angesichts des bekannten Fanatismus und der steigenden Opferbereitschaft der kaiserlichen Truppen - die den US-Truppen bei der Eroberung von Iwo Jima vom 19. Februar bis 16. März 1945 eine fürchterliche Lektion erteilt hatten - rechnete General Marshall, der Stabschef der US-Armee, bei den bevorstehenden zehn bis vierzehn Monate dauernden Schlachten realistisch mit dem Verlust von „mindestens” 500.000 amerikanischen Soldaten.

Truman wollte begreiflicherweise diesen Blutzoll der amerikanischen Nation ersparen. Im Besitze der neuen Waffen — der Atombomben—war er fähig dazu. Er beschloß jedoch, Japan vorerst in einem Ultimatum zur Waffenniederlegung aufzufordern.

In dieser, in aller Öffentlichkeit verkündeten Proklamation wurde den Japanern nach ihrer Kapitulation das Fortbestehen des Kaiserhauses (ein nationales Heiligtum) mit dem Tenno zugesichert. Auch die Vertreter von Großbritannien und China unterzeichneten das Ultimatum.

Das Truman-Ultimatum

Am 28. Juli 1945 wurde das Truman-Ultimatum vom staatlichen japanischen Rundfunk zurückgewiesen und die Fortsetzung des Kampfes verkündet. Nun wußte Truman, daß er handeln mußte. Während der Konferenz von Potsdam wurden dafür zwei wichtige und günstige Voraussetzungen geschaffen: Die Atombombe wurde einsatzbereit, und Stalin versicherte, er bleibe bei seinem in Jalta gegebenen Wort, daß die Rote Armee „baldmöglichst” ihre Fernost-Offensive gegen Japan antreten werde.

Truman in seinen Memoiren: „Mir war natürlich klar, daß eine Atomexplosion eine jede Vorstellung übertreffende Zerstörung und gewaltige Verluste an Menschenleben zur Folge haben mußte. Andererseits führten die wissenschaftlichen Berater unseres Ausschusses aus: ,Wir sind nicht in der Lage, eine Demonstration vorzuschlagen, die den Krieg beenden würde, und sehen daher keine andere Möglichkeit als den direkten militärischen Einsatz.'”

Die letzte Entscheidung, wo und wann die Atombombe einzusetzen war, lag nun bei Truman. „Ich hielt die Atombombe für ein Kampfmittel und zweifelte nie daran, daß es eingesetzt werden müsse. Meine höchsten militärischen Berater empfahlen den Einsatz, und auch Churchill befürwortete ohne jedes Zögern die Verwendung der Bombe, sofern dies zur Abkürzung des Krieges beitrage...”, schrieb der Präsident später.

So kam es, daß am 6. August 1945 ein amerikanisches Flugzeug vom Typ B-29, die „Enola Gay”, die erste Atombombe der Menschheit auf die Stadt Hiroshima im südlichen Teil des japanischen Mutterlandes abwarf und innerhalb von wenigen Minuten nicht nur die Stadt selbst vernichtete, sondern mindestens 92.167 Menschen tötete und weitere etwa 40.000 verletzte.

Da die japanische Regierung auch jetzt nicht bereit war, sich „bedingungslos” zu ergeben, und die Mehrheit der Kabinettsmitglieder die Meinung vertraten, von der „neuen Bombe” existiere allem Anschein nach nur ein Exemplar, sah sich Truman gezwungen, das neue Kampfmittel (jetzt als Plutoniumbombe) ein zweites Mal einzusetzen.

Am 9. August warf ein B-29-Bomber die Bombe über Nagasaki ab; sie war hauptsächlich für die großen Werftanlagen der japanischen Kriegsmarine gedacht, aber die Besatzung des US-Flugzeugs hatte Navigationsschwierigkeiten und löste die Bombe über dem Stadtkern aus. Die Folgen: 40.000 Tote und etwa 60.000 Verwundete.

Gleichzeitig war auch Stalins Rote Armee seit 24 Stunden in der Mandschurei aktiv geworden: über 1,5 Millionen Sowjetsoldaten mit 5.500 Panzern und Sturmgeschützen sowie 3446 Kampfflugzeugen hatten begonnen, die — ihnen zahlenmäßig weit unterlegene - japanische Kwantung-Armee zu überrennen und mit den Chinesen zusammen das bisher von den Japanern beherrschte ostasiatische Festland im Kampf zu erobern.

Machtwechsel in Tokio

In Tokio nahm daraufhin Kaiser Hirohito - der noch heute als Staatsoberhaupt amtiert — die Geschäfte in die Hand. Er sah ein, daß der Krieg, der für Japan bereits 1937 begonnen hatte, endgültig verloren war.

Um sein Volk vor weiteren Vernichtungsschlägen zu retten, zwang er die Regierung Suzuki abzutreten und ließ die Alliierten Mächte durch die Schweizer Botschaft in Tokio wissen, die neue, am 11. August gebildete Regierung unter Prinz Higaskihuni mit Shigemitsu als Außenminister akzeptiere Trumans Juli-Ultimatum.

Damit war der Traum der japanischen Militärs, selbst eine Atombombe zu bauen und möglihst noch vor den Amerikanern einzusetzen, endgültig ausgeträumt.

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