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Als Rebellin glücklich sein

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Uber die nicht nur von Frauenrechtlerinnen immer wieder zitierte Simone de Beauvoir gibt es trotz unzähliger Veröffentlichungen und Dissertationsarbeiten über die Philosophin „mit dem männlichen Verstand“ noch Neues und Interessantes zu berichten, wie ihre erste Biographie beweist. Sie schildert nicht nur das sehr bewegte Leben der gleichermaßen bewunderten wie gehaßten Rebellin, die vom „Willen zum Glücklichsein“ beseelt ist, sie erhellt auch die gesellschaftspolitischen Hintergründe jener Epor che, in der der oft mißverstandene Existentialismus geboren wurde.

Vollkommene Transparenz, Ehrlichkeit und Unabhängigkeit lautete die Maxime des wahrscheinlich berühmtesten Liebespaares unseres Jahrhunderts, JeaniPaul Sartres und Simone de Beauvoirs. In konsequenter geistiger Ubereinstimmung gestatteten sie einander .Kontingente Liebesbeziehungen“, gaben sie kein Manuskript aus der Hand, ohne es gegenseitig gelesen oder überarbeitet zu haben, war eine gemeinsame Wohnung für sie niemals ein Erfordernis für ein Miteinander, kämpften sie unermüdlich gegen die bürgerlich-verlogene Lebensart.

Mit ihrem Protest gegen belastende Konventionen begann Simone de Beauvoir bereits als Siebzehnjährige, indem sie als tugendhafte „Tochter aus gutem Haus“ — der Vater war theaterbegeisterter Jurist — die verruchtesten Bars von Paris besuchte. Als Lehrerin mit flachen Schuhen und Haarknoten wurde ihr „Demoralisierung der Jugend“ vorgeworfen. Ihr kühnes Buch „Le Deuxieme Sexe“, 1949 erschienen, forderte weltweit heftige Angriffe heraus, und der jahrelang geliebte Autor Nelson Algren fragte sich besorgt, „wie die menschliche Rasse ihren Fortbestand sichern soll, wenn der Castor (ihr Spitzname) das Kommando übernimmt“.

Sie beteiligte sich an den Achtundsechziger-Revolten, erklärte die sowjetische Aggression in der Tschechoslowakei als „Kriegsverbrechen“ und engagiert sich noch im Alter für die Einhaltung der Menschenrechte, was einige Staaten veranlaßte, den Verkauf ihrer Bücher zu verbieten. Am wenigsten verzieh man ihr schließlich, daß sie den Mythos eines „vorbildlichen Paares“ zugunsten einer auch für den Leser transparenten Wahrhaftigkeit zerstörte, in der die Vorzüge der Partner ebenso Platz haben wie deren menschliche Niederungen.

Das Buch ist nicht nur ein Dokument einer außergewöhnlichen Liebe, sondern auch ein Zeitbild, das auch jenen zahlreichen Persönlichkeiten gerecht wird, mit denen Simone de Beauvoir befreundet war und die zum Teü einen nicht unwesentlichen Einfluß auf ihre Entwicklung hatten.

Die manchmal oberflächlich erscheinende Uber setzung mag jene enttäuschen, die sich auch einen literarischen Genuß erwarten, schmälert den Wert des Buches aber keineswegs.

Reinhard erzählte mir, daß er einmal von russischen Soldaten überrannt wurde und verzweifelt um Hilfe funkte, bis tatsächlich Verstärkung kam und die Russen zurückdrängte. Für diese „Heldentat“, die er begangen hatte, um seine nackte Haut zu retten, bekam er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verpaßt. Doch er nahm es nicht mehr in Empfang, weil er bald darauf, am Oberschenkel verwundet, in russische Gefangenschaft geriet.

So weit ich mich an seine Erzählung erinnern kann, hatte er das Glück, an einen russischen Leutnant zu geraten, der einem Soldaten eingeschärft hatte, den Gefangenen lebend von der Front wegzubringen, weil dessen Befragung über die Situation bei den deutschen Truppen ungeheuer wichtig sei. Der rundköpfige Soldat hatte trotzdem einige Male die Anwandlung, den lästigen deutschen Krüppel, mit dem er sich mühsam abschleppen mußte, über den Haufen zu schießen, lieferte ihn aber schließlich befehlsmäßig in der zweiten Frontlinie ab.

Wie man bei dünner Rübensuppe und einem Klumpen harten Brotes täglich den winterlichen Frost und die sommerliche Hitze der Kriegsgefangenenlager überlebt, weiß nur einer, der in einem dieser Lager war. Reinhard Federmann überlebte. Er wurde wegen Arbeitsunfähigkeit ziemlich früh, nämlich im Herbst 1945, entlassen und kam dünn, unterernährt und mit ungesunder, gelblicher Gesichtsfarbe, die auf ein Leberleiden schließen ließ, in das Haus seiner Eltern zurück, in dem er nur seinen völlig verwahrlosten jüngeren Bruder antraf.

Reinhard begann mit einer Energie, die man diesem schwachen und ausgehungerten Mann nicht zugetraut hätte, zu schreiben, um Zeugnis abzulegen von dem, was er gesehen, erlebt und erfahren hatte, ohne daran zu denken, daß er noch immer in einem fremden Land lebte, in dem kaum jemand auf diese Art der Zeugenaussage erpicht war. Sein erster Roman, der den bezeich-

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