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Als wär's ein Stück von mir...?
Was empfinden Babies im Mutterleib? Wie erleben sie ihre Geburt? Dank einer breiten medizinischen Aufklärung wissen wir zwar heute so gut wie alles über die physische Geburt eines Kindes, aber noch immer erstaunlich wenig über die mentalen Vorgänge während Schwangerschaft und Geburt.
Sigmund Freud beispielsweise vertrat noch die Ansicht, daß Neugeborene wie durch eine Eischale von der Außenwelt abgeschirmt bleiben und keinem Einfluß ausgesetzt sind. '
Jede Mutter fühlt zwar ohnehin, daß ihr Baby von Anfang an offen ist für seine Umwelt und auf gefühlvolle Zuwendung und Kontaktaufnahme spontan reagiert. Nun hat auch die Wissenschaft das nachgewiesen und Freuds These endgültig zu Fall gebracht.
Amerikanische und italienische Spezialisten der Neuropsychiatrie bewiesen, wie die italienische „La Stampa" kürzlich meldete, daß ein wenige Tage altes Baby bereits einen Erwachsenen nachahmen kann, wenn dieser ihm die Zunge zeigt. Ebenso schnell lernt es, „seinen" Schnuller durch bloßes Sehen von anderen zu unterscheiden, wenn es sich vorher nur durch das Fühlen im Mund daran gewöhnt hat.
Für Professor Massimo Amma-niti, einem Dozenten für Neuropsychiatrie an der römischen Universität La Sapienzia, sind das klare Beweise, daß das eben zur Welt gekommene Wesen „ganz bewußt auf bestimmte Reize zu reagieren imstande ist". Die Stimulierung dieser Reize haben seiner Ansicht nach eine entscheidende Bedeutung für die spätere Entwicklung des Charakters und Selbstbewußtseins des Kindes.
Zu den interessantesten Ergebnissen seiner Arbeit zählt der italienische Experte den Nachweis, daß bereits die Gedanken einer Schwangeren unmittelbaren Einfluß auf die spätere Persönlichkeitsentwicklung des Kindes nehmen. Wußte man schon früher, wie wichtig ein ausgewogener Gemütszustand für eine werdende Mutter ist, so läßt sich heute wissenschaftlich nachweisen, wie sich mütterliche Gedanken und Gefühle in der kindlichen Selbstverwirklichung auswirken können. US-Wissenschafter katalogisierten bereits zwei Arten von Müttern :
Die „faciliting mother" (facile = leicht) besitzt noch eine vage Vorstellung von ihrem Kind im Mutterleib, sie empfindet es „noch ganz als ein Stück von ihr selbst". Meist hat sie noch keinen Namen ausgewählt und keine Babyausstattung für das Kinderzimmer besorgt. Zwar möchte sie dem Nachwuchs jegliche Liebe und Aufmerksamkeit schenken, durch ihre starke Identifizierung mit dem Kind „kettet" sie es aber innerlich ganz an sich. Sie ist daher auch nicht so ohne weiteres imstande, im späteren Leben ihrem Kind den notwendigen Freiraum und die Autonomie zur persönlichen Entwicklung zu gewähren.
Anders dagegen die sogenannte „regulating mother": Sie sieht das Kind bereits im Mutterleib als „anderes" Wesen. Schon während der Schwangerschaft hat sie ihm einen Namen gegeben und eine rege geistige Verbindung hergestellt. Gleichzeitig ist sie sich aber immer bewußt, daß es sich um „eine andere Person in ihr" handelt, der sie später jegliche Freiheit ermöglicht, um seine Entwicklung zu fördern.
Die amerikanischen Kinderpsychologen betonen nun, daß die Gewährung dieses Maßes an Autonomie für die kindliche Entwicklung weitaus förderlicher ist, als eine zu enge geistige Identifikation und damit spätere Abhängigkeit von der Mutter.
Dieses Ergebnis kommt dem amerikanische Erziehungsideal sicherlich entgegen. Denn die Amerikaner schenken bekanntlich ihren Kindern in den ersten Lebensjahren fast unbeschränkte Freiheit, um so deren eigene Persönlichkeitsentfaltung bestmöglich zu fördern.
Das Kind erlebt also auch eine notwendige „psychologische Geburt", wie es der römische Psychologe nennt. Die Persönlichkeit des Neugeborenen, seine (spätere) Art der Kommunikation mit anderen, ja selbst seine Charakterbildung hängen „entscheidend vom geistigen Zustand der Mutter" während der neunmonatigen Schwangerschaft ab .
Erst durch diese „Geburt seiner selbst" reift das Kind zu persönlicher Individualität, die bis zum Ende des zweiten Lebensjahres endgültig ausgeformt ist.
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