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Als Wiener in Kärnten

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In Kärnten sind die Großkopferten nicht so großkopfert, wie anderswo. Den Landeshauptmann, die Mitglieder der Landesregierung, die Bürgermeister, Polizeidirektoren, den Theaterintendant usw., sie alle kann man erreichen, mit allen reden, ihnen Fragen stellen, sie - und das ist für einen Journalisten wichtig - ohne großes Zeremoniell interviewen.

Auch Für „normale Bürger“ sind sie ansprechbar. Vor allem aber sind sie nicht aufgeblasen, nicht herablassend, sitzen nicht am hohen Roß - oder sollte man in Klagenfurt sagen „am hohen Lindwurm“? Auch unter den Berufskollegen herrscht ein weniger rüdes Klima als anderswo, man hilft einander.

Symptomatisch: Als sowohl die „Carinthia“, in der die dem katholischen Preßverein gehörende „Kleine“ und das VP-Organ „VZ" gedruckt werden, wie auch die sozialistische „Kärntner Druckerei“ („Kärntner T ageszeitung“) auf Lichtsatz umstellten, einigte man sich darauf, das gleiche System anzuschaffen, damit man einander im Falle einer Panne aushelfen kann. Dies ist nur ein Beispiel für das vielgerühmte „Kärritner Klima“, auf das alle im Lande stolz sind.

Und stolz ist der Kärntner auf seine Heimat. Dieses Selbstbewußtsein ist es wahrscheinlich, das ihn gegenüber dem „Zuagrasten“ - sogar aus Wien oder Graz - tolerant sein läßt. Er kann verstehen, daß man freiwillig in Kärnten lebt - und das selbstverständlich lieber als beispielsweise in Wien oder gar Graz. Das Verhältnis der Kärntner zur Bundeshauptstadt ist ein eher zwiespältiges, um es milde auszudrücken. Für die meisten ist Wien ein mehr oder weniger notwendiges Übel, wobei die Betonung auf Übel liegt. Ein Kärntner in Wien fühlt sich wie in der Verbannung. So betonen auch die Kärntner Politiker - egal welcher Couleur - immer und im mer wieder ihre Distanz zu Wien. zur Bundesregierung. Einen Politiker nach Wien zu schicken, kommt immer irgendwie einer Exilierung gleich.

Dies gilt naturgemäß auch für Studenten, wobei es dahingestellt bleibt, ob es die ärgere Strafe ist, in Wien oder in Graz studieren zu müssen. So wird es auch klar,, welche eminent wichtige Rolle der Verein der Kärntner in Wien spielt. Wenn man durch des Schicksals Unbill in die Bundeshauptstadt verschlagen wird, trachtet man dennoch, so viel wie möglich mit Leidgenossen zu verkehren. Es spricht wohl für Kärnten, daß es hier keine entsprechenden Organisationen von Zuwanderern gibt.

Gewiß, das Slowenenproblem gibt es. Es zu behandeln, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Faktum ist, daß die „Urangst“ besteht, und daß man die Problematik von der „höheren Warte“ Wiens kaum richtig beurteilen kann. Tatsache ist, daß das benachbarte Jugoslawien bis in die fünfziger Jahre halb Kärnten - mit Klagenfurt und Villach - reklamierte, daß infolge dieses Anspruches der Staatsvertrag um Jahre hinausgezögert wurde.

Das ist aber nur ein Aspekt eines für- wahr vielschichtigen Problems. Andererseits scheint sich gerade in der letzten Zeit, nicht zuletzt durch das Einlenken Belgrads, eine gewisse Entspannung abzuzeichnen.

In Kärnten gibt es auch keine „Alleinregierung“. Die Landesverfassung schreibt vor, daß die Landtagsparteien in der Regierung vertreten sein müssen. So ist man gezwungen, den Konsens zu suchen, üben sich die lokalen Politiker auch kaum in Verbalinjuriengegenüber ihren politischen Gegnern - mit denen sie sich schließlich im Regierungskollegium, nolens volens, wieder vertragen müssen.

Einig ist man sich über die Randlage des südlichsten Bundeslandes: „Kalifornien Österreichs“. Sauer ist man über den schleppenden Bau der Südautobahn, die dem lebenswichtigen Fremdenverkehr den bevölkerungsreichen Zentralraum Wien-Niederösterreich- Burgenland erschließen würde. Sauer ist man auch, weil Kärnten aus dem Norden (Deutschland, Salzburg) rasch und bequem nur über Mautstraßen - „Eintrittsgebühr nach Kärnten“ - zu erreichen ist.

Erstaunt ist man als „gelernter Wiener“ über die vielen Kinder und Kleinkinder sowie über die Kinderfreundlichkeit der Kärntner. Wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um eheliche oder uneheliche handelt. Kärnten hat den höchsten oder zweithöchsten Prozentsatz an unehelichen Geburten - worauf man hier aber fast stolz ist. Im allgemeinen ist das Privatleben tabu. Tratschereien gibt’s auch hier, sie werden nur nicht so ernst genommen.

Es gibt ja auch kaum noch „Bassena- Wohnungen“, Emmentaler-Wohnkomplexe sind hierzulande relativ unbekannt. Das Landhaus (Sitz des Landtages) in Klagenfurt ist - um ein Beispiel zu nennen - ebenso ein positives Beispiel einer liebevollen, behutsamen Restaurierung alter Bausubstanz wie das Rathaus auf dem Neuen Platz in der Landeshauptstadt.

Kulturell ist Kärnten ein Dorado. Unzählige Veranstaltungen internationalen Ranges jagen einander. Man denke nur an den Carinthischen Sommer, an das Jazz-Festival, die Komödienspiele Porcia, die Orgelwochen in Millstatt, die Burgschauspiele Friesach, die Woche der Begegnung mit dem Bachmann-Preis in Klagenfurt, das internationale Theaterfestival in Villach, und, und, und. Das Stadttheater Klagenfurt - Intendant Wochinz: „Das Theater für alle Kärntner“ - ist wirklich nicht „provinziell“. Viele Aufführungen haben internationale Qualität, Ausrutscher gibt es überall.

Schattenseiten sind, versteht sich, vorhanden. So gibt es in Kärnten keinen bodenständigen Wein. Ein Manko, das erklärt, wieso in Gaststätten und bei der Exekutive so wenig Verständnis für Weingenießer vorhanden ist. Eine wirklich gepflegte Weinkarte findet man nur vereinzelt. Spektakulär ist die Zahl der wegen Alkoholisierung abgenommenen Führerscheine. Besonders streng ist man in dieser Beziehung in Klagenfurt, seit es dort einen neuen Polizeidirektor gibt.

Die Kärntner Küche ist immer noch bis zu einem gewissen Grad am Gast aus Deutschland orientiert (Pommes frites, sogar zum Wienerschnitzel), doch allmählich findet man zur österreichischen Küche mit ihren Spezialitäten zurück. Es verwundert, daß die Nachbarschaft zu Italien so wenig Resonanz auf den Speisekarten findet. Gute Fischgerichte sind eine Rarität. Lebende Fische bekommt man in ganz Klagenfurt nur in einem einzigen Geschäft. Kuriosität am Rande: Gelbe Rüben sind in Kärnten völlig unbekannt.

Selten findet man den Hinweis „Das Betreten des Rasens ist verboten“, kaum irgendwo gibt es einen Maulkorbzwang für Hunde, die auch aus kaum einem Lokal verbannt sind. Hunde sind meist ebenso willkommen wie Kleinkinder. Grausam hingegen ist, daß eine Stadt nach der anderen gebührenpflichtige Kurzparkzonen einzuführen beginnt. Das in einem Fremdenverkehrsland!

Müßig wäre es, über die bekannten landschaftlichen Vorzüge Kärntens zu schreiben, das eigentlich nur dem Bundeskanzler zu teuer ist. Zum Thema Lebensqualität: in kürzester Zeit ist man, zum Beispiel, von Klagenfurt mit dem Wagen in den allerherrlichsten Gebieten, zu denen die nahegelegene Adria ebenso gehört wie beliebte Skiregionen, Heilbäder sowie sonstige Attraktionen und Sehenswürdigkeiten.

Anstatt eines kritischen Berichtes habe ich eine Liebeserklärung an meine neue Heimat Kärnten verfaßt. Wer will’s einem Verliebten Übelnehmen?

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