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Alte Ängste gegenüber dem neuen Europa

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Bürgermeister einer Gemeinde* wie Thaya im niederösterreichischen Grenzland zu sein, ist eine reizvolle aber auch schwierige Aufgabe. Auf der einen Seite befindet sich die Gemeinde im Bereich des landschaftlich schönen Thayatales, das für Landwirtschaft, Tourismus, Gewerbe und elektronische Industrie gute Voraussetzungen bietet. Auf der anderen Seite sind genau diese Bereiche unzureichend entwik-kelt. Viele Menschen befinden sich in einer beängstigenden Existenzkrise.

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Bürgermeister einer Gemeinde* wie Thaya im niederösterreichischen Grenzland zu sein, ist eine reizvolle aber auch schwierige Aufgabe. Auf der einen Seite befindet sich die Gemeinde im Bereich des landschaftlich schönen Thayatales, das für Landwirtschaft, Tourismus, Gewerbe und elektronische Industrie gute Voraussetzungen bietet. Auf der anderen Seite sind genau diese Bereiche unzureichend entwik-kelt. Viele Menschen befinden sich in einer beängstigenden Existenzkrise.

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Existenzangst produziert immer dumpfe Ängste und Animositäten gegen die neuen Entwicklungen in Europa, sei es nun in Zusammenhang mit der EG oder in Zusammenhang mit den neuen Entwicklungen in der benachbarten Tschecho-Slowakei.

Im Umweltbereich führen neue kostenintensive Maßnahmen zu Meinungsunterschieden zwischen Umweltschützern und „Grün"-Gegnern. Ein aktuelles Beispiel ist die „wilde" Entsorgung von Bauschutt. Der Einsatz großer Baumaschinen ermöglicht problemlos Geländeveränderungen und „Bodenverbesserungen", die Gefahr der Verunreinigung des wertvollen Grundwassers wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Daß die Gemeindevertreter die rücksichtslose Produktion von neuen „Altlasten" nicht einfach zur Kenntnis nehmen können, bewirkt Irritationen.

Murren gegen „die" Politiker

Da in den letzten Jahren viele Gesetze geschaffen wurden, welche die Umwelt schützen, aber gleichzeitig zu neuen Erschwernissen und finanziellen Belastungen geführt haben, erhebt sich manchmal ziemlich lautes Murren gegen „die Abgeordneten", die keine Rücksicht auf bestimmte Berufsgruppen, Regionen und die entstehenden Kosten nähmen.

Tatsächlich ist es so, daß etwa im Bereich der Abwasserreinigung infolge schwieriger Bodenverhältnisse und geringer Bevölkerungsdichte im Waldviertel überdurchschnittlich hohe Anschluß- und Benützungsgebühren entstehen, die in einem kra-ßen Mißverhältnis zum unterdurchschnittlichen Einkommen der Wald-viertler Bevölkerung stehen und deshalb durch besonders hohe Förderungen des Bundes und des Landes vermindert werden müssen.

Zu den Negativaspekten für einen Waldviertler Kommunalpolitiker gehört insbesondere die bewußte Benachteiligung der Region durch die jahrzehntelange Vernachlässigung der Infrastruktur, ob es sich um die Straßenverbindungen nach Wien, Linz oder St. Pölten, den Ausbau der Franz-Josefs-Bahn beziehungsweise Regionalbahnen, die Aufrechterhaltung eines Netzes öffentlicher Verkehrsmittel oder den Ausbau eines leistungsfähigen Telefonnetzes handelt.

Besonders auffällig ist ein Mangel an Dienstleistungsberufen in der Region, unter anderem auch deshalb, weil Bund und Land, Kammern, Gewerkschaften und Sozialversicherungsträger in der Grenzregion nur eine äußerst geringe Präsenz haben. Mühsam aufgebaute Stärken im Bereich der Energieversorgung und der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte in der Region wurden durch einen einzigen Federstrich in den Ballungsräumen zunichte gemacht.

Neben den großen Problemen überörtlicher Art kommen noch Probleme im örtlichen Bereich, die aus dem Aufeinandertreffen von öffentlichen und privaten Interessen herrühren. Nach einer Reihe von Gründen, die eigentlich zum Entschluß führen müßten, die Ochsentour der Politik zu meiden, hat es doch Sinn, in der Kommunal- und in der Regionalpolitik tätig zu sein.

Einer der Hauptgründe ist zweifellos der unerschütterliche Glaube an die Verbesserung der Verhältnisse. Das Land Niederösterreich hat mit der Dorfemeuerungsaktion Mittel für die Verbesserung der Gemeinschaften im ländlichen Raum und für die Verwirklichung von Projekten zur Verfügung gestellt.

Die Verschönerung der Ortsbilder ist dabei sicherlich mehr als reine Fassadenverschönerung. Das dadurch wiedererstarkte Selbstbewußtsein des ländlichen Raumes ist nämlich die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Gestaltung der Zukunft. Der Untergang des totalitären Regierungssystems in unserem nördlichen Nachbarland hat zudem die Möglichkeit geschaffen, mit den neuen demokratischen Amtskollegen in Südmähren konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Dabei ist es notwendig, den Boden für ein neues Verständnis zu bereiten, denn auf beiden Seiten bestehen gegenseitige Vorurteile, die überwunden werden müssen. Wir haben die Möglichkeit, durch eine neue Zusammenarbeit die Entwicklungschancen unserer Region entscheidend zu verbessern. Und das große Europa unterstützt unsere Zusammenarbeit durch die Förderung der Entwicklung der grenzüberschreitenden Euroregionen. Voraussetzung dafür ist der Aufbau einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in möglichst vielen Bereichen, wie wir das seit Anfang 1990 in der grenzüberschreitenden Region an der Deutschen und Mährischen Thaya praktizieren.

Dabei treffen einander etwa dreimal im Jahr Vertreter der Regierungen und der Gesetzgebung des Bundes und der Länder, der Bezirksverwaltungen, der Gemeinden, der Zollverwaltungen, der Wirtschaft, der Eisenbahnen und des Tourismus et cetera und besprechen dabei die Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf den verschiedensten Ebenen. In der Folge entwickelten sich unzählige Kontakte in den unterschiedlichsten Bereichen.

Einer der größten Erfolge ist die rasche Verwirklichung des Grenzüberganges Fratres •* Slavonice an der alten Verkehrslinie an der Deutschen und Mährischen Thaya, wobei der damalige Staatssekretär Stummvoll eine wesentliche Unterstützung leistete. Der wiedereröffnete Grenzübergang gehört trotz noch unzureichender Öffnungszeiten zu den besten neuen Grenzübergängen zur CSFR. Für die Entwicklung der Region wird der Abbau der Handelsschranken nach dem Vorbild der EG-Staaten unumgänglich notwendig sein.

Ein wirklicher Erfolg wird jedoch nur dann möglich sein, wenn Bund, Land und Interessenvertretungen die Entwicklung der Grenzregionen zu einem Herzensanliegen machen, schon jetzt die Förderungssysteme auf die Bedürfnisse der Grenzregionen abstimmen und auf ein „europäisches Maß" bringen. Denn hinter der Ausrede, daß die tote Grenze an der jetzigen Situation im Waldviertel schuld sei, werden sich die politisch Verantwortlichen, aber auch die Region selbst, in Zukunft nicht mehr verstekken können.

Der Autor ist Bürgermeister der Marktgemein de Thaya und Professor für Deutsch, Geschichte und Politische Bildung an der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule Waid hofen/Thaya.

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