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Alte sind wie Bibliotheken

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Afrikas Filmschaffen ist in Europa und den USA kaum bekannt: Nord-Süd-Gefälle auch im Kino

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Afrikas Filmschaffen ist in Europa und den USA kaum bekannt: Nord-Süd-Gefälle auch im Kino

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Das heute vielbenutzte Schlagwort „Multikulturalität" findet auch Niederschlag in unseren Kinos, nur langsam brechen Filme aus der südlichen Erdhälfte festgefahrene Vertriebsstrukturen auf. Sogenannten „Dritte Welt"-Filmen gelingt es, allmählich von ihrem Schattendasein wegzukommen. Nach „Yaaba" ist nun „Tilai", die zweite erfolgreiche Produktion von

Idrissa Ouedraogo (Burkina Faso), in Österreichs Kinos angelaufen. „Tilai" ist in schönen, weiten Bildern die Geschichte einer verbotenen Liebe. Saga kehrt nach langer Abwesenheit zurück und findet Nogma, seine Liebe, als Frau seines Vaters wieder. Eine Tragödie bahnt sich an.

Die Karriere Ouedraogos (er produziert bereits seinen nächsten Streifen) ist für Afrika, wo ein Filmemacher höchstens alle vier bis fünf Jahre einen Film drehen kann, untypisch. Der Mangel an Infrastruktur, an Ressourcen und Kapital lassen der Produktion von Filmen wenig Möglichkeiten. Trotzdem setzten sich einige Nationen (vor allem Burkina Faso) intensiv für eigene Bilder auf Afrikas Leinwänden ein - eigene Filme als Beitrag zur kulturellen Identität.

Bis zur Unabhängigkeit der schwarzafrikanischen Nationen im Laufe der sechziger Jahre gab es keine Selbstdarstellung der afrikanischen Wirklichkeit im Film. Die afrikanische Filmgeschichte ist erst dreißig Jahre jung und beginnt somit in einer Zeit, in der die afrikanischen Nationen intensive soziale, kulturelle, politische und ökonomische Umstürze und Wandlungen erlebten. Die Streifen dieser Zeit thematisierten erstmals die eigene Geschichte aus dem eigenen Blickwinkel.

Das Aufeinanderprallen, die

Konfrontation zweier Kulturen wird im afrikanischen Film in vielfältigsten Variationen aufgegriffen. Das immense Wachstum der Großstädte der sogenannten „Dritten Welt" ist eine der prägnantesten Erscheinungen der Epoche nach der Unabhängigkeit. Der Konflikt spiegelt sich immer wieder im Film durch die Gegenüberstellung von Stadt und Land.

Die Stadt, in der alles Neue entsteht, in der Verwaltung und Finanzwelt ihren Sitz haben, repräsentiert Fortschritt und Verwestlichung. Das Dorf hingegen symbolisiert Tradition und Wahrung der eigenen Identität. Die strukturelle Vernachlässigung des ländlichen Raumes, Monokulturen und damit Landflucht führen zur Bewegung in die Städte. Reise wird damit zu einem zentralen Motiv, zu einem Symbol der Veränderung. Die physische Reise versinnbildlicht dann im Film die geistige Reise, die damit zur Metapher für kulturelle Transformation wird.

„In Afrika ist ein sterbender alter Mann wie eine brehnende Bibliothek." Diese Worte aus dem Off in Safi Fayes (Senegal) Film „Fad Jal" illustrieren die Rolle der Alten in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft.

„Oral history", bei uns erst seit einigen Jahren wiederbelebt, ist in den Gesellschaften mit hoher Analphabetenquote besonders ausgeprägt und auch in den Filmen überall zu finden. Der Erzähler oder die Alten als Überlieferer und Erben der mündlichen Tradition sind zentrale Elemente, Träger der Handlung oder Kern der entscheidenden Konversationen. Die Erzählsituation findet sich mit ihren

formal spezifischen Strategien, wie „face to face telling" und Wiederholung durch entsprechende Kameraführung und Schnitt auch ästhetisch im afrikanischen kine-matographischen CEuvre widergespiegelt.

Nach wie vor gelangen nur wenige afrikanische Filme in den europäischen Vertrieb, der von euroamerikanischen Produktionen dominiert wird. Im weltweit gesponnenen Vertriebsnetz haben Mikro-bereiche wie der afrikanische Film hart um ihren Stellenwert zu kämpfen. Für die internationalen Vertriebskonzerne stehen größtmögliche Popularität und damit Anpassung an die normierten Sehgewohnheiten eines internationalen Publikums im Vordergrund.

Faktoren wie der epische Stil, die anderen Zeitstrukturen oder die Auseinandersetzung mit regionalen Themen gestalten den Zugang des afrikanischen Films zum Weltmarkt schwierig. Auch im kulturellen Bereich wird hier der altbekannte Nord-Südfluß der Produkte deutlich.

Wenige der laufenden afrikanischen Produktionen kommen heute ohne europäische Gelder aus. Waren es in den Anfängen vor allem das französische Kooperationsministerium und die nationalen Ministerien selbst, die das Filmschaffen sowohl mit technischer Ausstattung als auch finanziell unterstützten, sind es heute immer mehr Private und Fernsehgesellschaften.

Trotz der Nationalisierungsbestrebungen der siebziger Jahre liegen die Schwierigkeiten nicht zuletzt beim nicht funktionierenden Verleih von afrikanischen Filmen auf dem eigenen Kontinent. Filme aus Mali machen nach wie vor einen Umweg über Paris bevor sie auf senegalesische Leinwände gelangen. Das Erbe des Kolonialismus ist hier noch deutlich spürbar.

Die Autorin hat Publizistik und Theaterwissenschaft studiert und arbeitet an einer Dissertation über westafrikanisches Filmschaffen.

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