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Alte und junge Burg

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Was rechtfertigt es, an Bühnen von Rang ein Stück auf den Spielplan zu setzen? Das kann eine geistige Sicht sein, die zeitbedingt relevant ist, das können aufgeworfene Probleme sein, aber auch besondere szenische Entfaltung, Komödiantisches, Schauspielerisches. Nichts davon trifft leider auf die derzeitige Aufführung von Goethes „Götz von Berlichingen“ im Burgtheater zu.

Die einstige Begeisterung für den Geist der Freiheit, der dieses Schauspiel „durchbraust“, können wir kaum teilen, denn Götz begehrt eine individualistische Freiheit, die sich in keine feste Ordnung fügt, nur den eigenen Freiheitsraum vom Kaiser bestätigt sehen möchte. Das Ideelle, das .Anliegen“, .greift“ nicht, doch bietet das Stück ein überaus lebendiges Geschichtsbild einer gärenden Zeit, ihrer politischen Machenschaften, es bietet vorzüglich gezeichnete Menschen, bei denen sich selbst Zulängliches letztlich als unzulänglich erweist. Mehr denn je bedarf der „Götz“ einer vortrefflichen Aufführung.

Nun hat der Regisseur Hans Schweikart ein eigenes Elaborat hergestellt, in dem er alle drei Fassungen Goethes verwendete. Unnötigerweise übernahm er aus dem „Ur-götz“ eine Szene, in der eine Mutter eine Nebenperson um das Leben ihres Mannes bittet, auch wird aus dieser Fassung Sickingen zum Liebhaber Adelheids. Es war daher nötig, die scharfen Kürzungen noch mehr zu verkürzen; sie sind so ungünstig, daß bei den Figuren entscheidende Charakterzüge fehlen, ihre Beziehungen, ihre Motive nicht klar genug herauskommen.

Schweikarts Regie wirkt lau, profillos. Die drei Hauptdarsteller versagen unter seiner Leitung. Heinrich Schweiger sieht zwar einem Bildnis des Götz auffallend ähnlich, aber dieser vitale, kraftstrotzende Kerl ist er in nichts, nur das Treuherzige glaubt man ihm. Das ist zuwenig. Walther Reyer verzichtet darauf, den Weisungen stärker zu charakterisieren, in Sonja Sutter als Adelheid spürt man schon gar nicht das scharf ausgeprägte, sinnliche, herrschsüchtig-dämonische Weib. Ansonsten mehr oder weniger Passables. Gut Klaus Behrendt als Bruder Martin. Der Bühnenbildner Roman Weyl begnügte sich damit, auf einem niederen Podest Sitzgelegenheiten, Tische und hinten Hänger anzuordnen. *

Die heutigen neonaturalistischen Stücke verharren in der Vulgärsphäre des Lebens, da ist es zu begrüßen, endlich wieder auf der Bühne mit wesentlichen Problemen konfrontiert zu werden. Wie aber geschieht dies in dem abendfüllenden Zweiakter „Akrobaten“ des 36jähri-gen Tom Stoppard, der im Akademietheater im Rahmen der „Jungen Burg“ zu deutschsprachiger Erstaufführung gelangte? Es entsteht eine mit leichter Hand hingezauberte

intellektuelle Burleske von besonderer Verve.

Geht es um die Frage, ob Gott existiert, geht es um die Problematik von Gut und Böse? Der Professor für Moralphilosophie George Moore diktiert immer wieder endlos einen Vortrag hierüber, wobei sich seine Gedanken mehr und mehr ver-schrauben, er logische Thesen in einen „Mystizismus von atemberaubender“ Banalität“ verwandelt. Man denkt an Thomas Bernhards Arzt in „Der Ignorant und der Wahnsinnige“, aber Stoppard macht sich lustig über die Gedankenakrobatik dieses Professors und erst recht über seine Kollegen, die diese Akrobatik nicht nur geistig, sondern auch physisch als Mitglieder ihres Akrobatikklubs exekutieren, wobei einer von ihnen bei solch einer Vorführung während einer Party erschossen wird.

Da gibt es aber auch den philo-

sophisch vorbelasteten ehemaligen Musicalstar Dotty, Gattin des Moralprofessors und Geliebte Seiner Magnifizenz Archie, eines Weiberhelden, der Lehrstühle nach Gunst vergibt, da wird ein atheistischer Aigrarexperte Erzbischof von Canter-bury, da versucht einer von der Kriminalpolizei vergeblich den Mord aufzuklären, ein Portier erweist sich als Amateurphilosoph, das Verbrechen eines Astronauten auf dem Mond sei nicht vergessen und die Leiche des Erschossenen in Dottys Wandschrank. Das alles wirbelt Stoppard durcheinander und scheint am Schluß zu fragen: Na, ist das nicht amüsant? Teils — teils, wäre zu antworten.

Vorzügliche Aufführung unter der Regie des Engländers Peter Wood in vorzüglicher Besetzung: vor allem mit Norbert Kappen als dem in seine Philosophie versponnenen Professor, mit Erika Pluhar als mondänem ehemaligen Musicalstar, mit Alexander Trojan als gelassen überlegenem Archie. Johannes Schauer ist ein drolliger Kriminalist, Robert Tessen zeichnet gut den Portier mit philosophischer Schlagseite. Das Bühnenbild von Josef Svoboda, dessen beide Teile immer wieder hin und her geschoben werden, wirkt schwerfällig. Hilde Spiel besorgte die treffliche deutsche Fassung des Stücks, Andre Heller schrieb Liedertexte und richtete das Musikalische ein.

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