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Alte und neue Kolonisatoren

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Wenn die Grünen zum Sym - posion laden, ist die Stim- mung wieunter Freunden. DerSaal im Wiener Albert Schweitzer Haus fast leer. Man verliert nicht die Übersicht, kann den Sitznachbarn getrost mit „Du" ansprechen.

Aber die Freunde kennen einan- der noch nicht. Für die Teilnehmer des Zentraleuropasymposions, die sich am Wochenende auf Einladung der Grünen Bildungswerkstatt Wien zusammengefunden haben, kann das auch zu Verwirrungen führen. Denn was wirklich verbin- det, ist genauso unklar wie die Begriffsdefinitionen von „grün" und „Zentraleuropa". .

„Wir sind von den Ereignissen in Europa überrollt worden", be- schreibt Eva Hauk, die zusammen mit Ali Gronner das Symposion organisierte, die Situation der Grünen. „Mit unseren Freundin- nen und Freunden möchten wir darüber diskutieren, wie ein ge- meinsames Haus Europa aussehen könnte. Zuerst möchten wir versu- chen zu klären, was die Wünsche und Ziele unserer Partner in den ehemaligen Ostblockstaaten sind, was sie wollen und was sie nicht wollen. Wir wissen noch zu wenig voneinander."

Die Ergebnisse des Symposions sollen in ein Europa-Manifest der Grünen einfließen. Eva Hauk hofft, daß die Veranstaltung zum Ideen- spender einer künftigen grünen Europapolitik wird. Dabei sollen Fehler vermieden werden, die bei anderen politischen Gruppen be- obachtet worden sind.

„Im Osten hat man andere Sor- gen als bei uns. Die wollen wir jetzt kennenlernen, ohne schulmeister- lich zu sein", sagt die grüne EG- und Europakoordinatorin. Sie strebt Zusammenarbeit mit Gleich- gesinnten an, selbst wenn sich diese nicht ausdrücklich als Ökologiebe- wegungen sehen.

Für das Bundes vorstandsmitglied Hauk kommt der österreichischen Neutralität eine Schlüsselfunktion im neuen Europa zu. Österreich solle beispielgebend für andere Staaten wirken. Ein erstes Zeichen in diese Richtung solle dabei die Abschaf- fung des Bundesheeres sein. Öster- reich könne zum Modell für ein neues Friedens- und Sicherheitssy- stem werden. „Wir wünschen uns einen breiten Gürtel neutraler Staa- ten im Zentrum Europas", erläu- tert Hauk die politischen Vorstel- lungen ihrer Fraktion.

Nicht alle Teilnehmer der Veran- staltung sind dieser Meinung. Im Gespräch mit der FURCHE bezieht Kazimierz Woycicki, polnischer Gastreferent, konträr dazu Stel- lung. Österreich habe für Polen nicht wegen seiner Neutralität eine Sonderstellung, sondern aufgrund seiner wirtschaftlichen Möglichkei- ten und kulturellen Verbindungen, betont Woycicki.

Für Polen selbst sei Neutralität jedenfalls nicht erstrebenswert. „Unsere geopolitische Lage ist ziemlich unneutral. Es ist schwie- rig, zwischen Rußland und Deutsch- land neutral zu bleiben. Aber ohne militärische Blöcke verliert der Neutralitätsbegriff seine Bedeu- tung. Neutral ist man nicht alleine, sondern in bezug auf die anderen." Neutralität biete jedoch keine zu- friedenstellende Antwort auf die Frage nach einem gesamteuropäi- schen Sicherheitssystem. „Ein neutrales Deutschland ist für uns ein Schreckgespenst. Auf einem niedrigen Rüstungsniveau sollten alle europäischen Staaten in dieses zukünftige Sicherheitssystem ein- gebunden werden."

Wesentlich härtere Töne schla- gen die österreichischen Gastgeber an. In den Eröffnungsreden spricht Josef Iraschko von „alten und neu- en Kolonisatoren" die nach der Vorherrschaft in Europa streben. Es drohe rücksichtsloser Kapita- lismus, der von einem „Brüssel- Zentralismus" gekennzeichnet sei.

Dem „Diktat des reichen und siegestrunkenen Westens" müßten sich nun die zentraleuropäischen Staaten beugen. Das Ergebnis der „Fremdherrschaft" werde Arbeits- losigkeit, politische Instabilität und ein sinkender Lebensstandard sein.

Ali Gronner von der Grünen Bil- dungswerkstatt befürchtet, daß sich in den ehemaligen Ostblockstaaten zu den alten Nachteilen der Plan- wirtschaft nun alle Mißstände des Kapitalismus gesellen könnten. Als Gegengewicht zu einem übermäch- tigen Deutschland werden zwei zen- traleuropäische Föderationen vor- geschlagen. Die erste soll sich aus Österreich, Ungarn und der CSFR konstituieren, der zweiten sollen Polen und die baltischen Staaten angehören.

Als erster Schritt zur Stabilisie- rung wird die Stärkung der EFTA und des Europarates gefordert. Atomwaffenfreie Zonen und eine aktive Friedenspolitik werden als Garant einer neuen europäischen Sicherheitsordnung gedacht. Den überaus emotionsgeladenen Aus- führungen der Österreicher folgen die erstaunten Gäste offensichtlich nicht mit Begeisterung. Es fehlt an der gemeinsamen Sprache. Und das Klassenkampf-Vokabular hat man wohl schon bis zum Überdruß im eigenen Land vernommen. Spür- bar ist nur der gute Wille. Wo der Buchstabe tötet, macht der Freund - schafts-Geist lebendig.

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