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Altenlast und „Uberversorgung"

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Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom Dezember, mit welchem die sogenannten Ruhens-bestimmungen in der Pensionsversicherung fielen, wurde in der Öffentlichkeit fast uneingeschränkt begrüßt. Vielen kam gelegen, daß jenes Höchstgericht, dem zu Recht eine politische Rolle zugeschrieben wird, einen Konflikt energisch beendete und vielfach empfunde-

nem Unbehagen juristisch zustimmte.

Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - erscheint es angezeigt, den Hütern der Verfassung Kritik und Bedenken entgegenzuhalten. Dabei muß man sich freilich von dem lösen, was es vorher an politischer Polemik gab, etwa vom vielfach verwendeten falschen Argument, der berüchtigte Paragraph 94 des ASVG bedeutete ein „Arbeitsverbot".

Studiert man die Entscheidungsgründe der Höchstrichter, muß man leider feststellen, daß unterlassen wurde, wirklich alle Aspekte der Problematik gewissenhaft auszuleuchten. Dies ist gewiß ein harter Vorwurf. Wir müssen uns aber vor Augen führen, daß sich das Erkenntnis verfassungsrechtlicher Argumentation weitgehend enthält. Es bewegt sich, an schon frühere

Darlegungen zur Zulässigkeit von Ruhensbestimmungen bloß kursorisch erinnernd, fast nur auf sozialpolitischer Ebene.

Vereinfacht dargestellt kam man zu dem Schluß, es zahle sich gleichsam nicht aus, diese problematischen Regelungen aufrechtzuerhalten. Deklariertes Ziel der Ruhensbestimmungen sei ja gewesen, den Arbeitsmarkt von einen Zuverdienst suchenden Pensionisten zu entlasten. Dies gelinge aufgrund der vorliegenden Statistiken nicht, weil ja ohnedies die meisten ruhenden Leistungen Witwenpensionen seien. Auch lohnten die eher marginalen Einsparungen nicht den Verwaltungsaufwand.

Man hat also, wie erwähnt, fast nur nach (sozial-)politischer Zweckmäßigkeit argumentiert. Leider geschah dies nur bruchstückhaft, insbesondere deswegen, weil man sich ganz auf die erwähnten Gesichtspunkte des Arbeitsmarktes beschränkte. Es gibt aber sehr wohl andere, ganz grundsätzliche soziale Erwägungen zu den Ruhensbestimmungen. Sie reichen über den Tag und seine Wirtschaftslage weit hinaus und wären eigentlich von der Bundesregierung im Verfahren geltend zu machen gewesen. Diese verschwieg sich aber -aus welchen Gründen auch immer.

Bedenken wir vor allem, daß es eine der größten Aufgaben unserer Zeit ist, den Generationenvertrag

über längere Zeiträume sinnvoll auszugestalten und zu sichern. Die Existenz ständig größer werdender Bevölkerungsteile hängt davon ab und noch immer sind keine befriedigenden Lösungen in Sicht. Wir wissen nicht, wie die heute Heranwachsenden darauf reagieren werden, wenn man ihnen einmal zumuten wird, eine nach heutigen Gesichtspunkten unfaßbar große Altenlast zu tragen - die demoskopischen Statistiken, die (im Gegensatz zu anderen) vom Verfassungsgerichtshof nicht zitiert wurden, liefern uns bedrückende Prognosen.

Und gerade diesem schwierigen Vorhaben der Pensionsreform wird nun die Meinung mit auf den Weg gegeben, es sei eben rechtens, auch jene voll zu versorgen, die zwar ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben, aber trotzdem weiterhin einem (nicht nur bescheidenen) Erwerb nachgehen. Wer würde wohl seine Eltern mangels Sozialversicherung erhalten, obwohl sie noch berufstätig sind?

Noch weniger haltbar ist die sozialpolitische Beurteilung, bei Erwerbstätigkeit von Witwen und Witwern mit Pensionsanspruch stünden wiederum Aspekte des Arbeitsmarktes im Vordergrund. Mitnichten. Hinterbliebenenpensionen haben seit jeher die eminent wichtige Aufgabe, entfallenen Unterhalt zu ersetzen. Der Zufall will es, daß im Allgemeinen Bür-

gerlichen Gesetzbuch auch der Paragraph 94 festlegt, bei Bemessung des Unterhaltes zwischen Ehegatten seien „eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen". Nach dem Tod, wo die Gemeinschaft für den Verstorbenen einspringen muß, soll dies aber nicht mehr gelten? Mit einer gewissen Bitterkeit erinnert man sich daran, wie sehr uns die Verfassungsrichter sonst mahnen, gleiche Sachverhalte nicht ungleich zu regeln...

Ein Problem unseres heutigen Sozialsystems ist, daß es neben gravierenden Mängeln auch Fälle deutlicher Überversorgunggibt. Die Systemsicherung wird längerfristig erfordern, letztere nach Möglichkeit und behutsam abzubauen. Der gleichzeitige Bezug einer hohen Pension und eines hohen Arbeitseinkommens bedeutet Überversorgung - und gerade sie wurde nun von höchster Autorität bedingungslos legitimiert.

Verfassungsrichtern soll keineswegs verwehrt werden, Argumente der Sozialpolitik in ihre Überlegungen einfließen zu lassen. Dabei muß aber umfassend geurteilt werden und es dürfte der staatspolitische Gesichtspunkt nicht zu kurz kommen. Ob dies im gegebenen Fall - so wie beim Erkenntnis über das Pensionsalter der Frauen - wirklich gelang, muß bezweifelt werden.

Der Autor ist Volksanwalt und Sozialexperte.

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