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Alter — Entbehrung und Erfüllung

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Viele träumen jahrelang von der Pension. Wie viele leben dann aber vereinsamt, in Heimen! Um Einsamkeit einzudämmen, müssen Brücken zum alten Menschen gebaut werden.

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Viele träumen jahrelang von der Pension. Wie viele leben dann aber vereinsamt, in Heimen! Um Einsamkeit einzudämmen, müssen Brücken zum alten Menschen gebaut werden.

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Die Einstellung zu alten Menschen, zum „Alter" schlechthin, enthält viele Elemente, die einander zu widersprechen scheinen. Abgesehen davon, daß Jüngere sich ihr eigenes Alter nicht realistisch vorstellen können und wollen — so wenig man dem eigenen Tod ins Auge sehen will —, erscheinen immer wieder starke Gegensätze zwischen Idealvorstellungen vom Alter und den konkreten, real beobachteten und miterlebten „Fällen".

Idealerweise wird der Lebensabschnitt nach der Pensionierung als eine Zeit der Fülle angesehen: Ein Teil des Lebens ist aufgebaut, manches ist abgeschlossen, manche neue Frucht kann noch reifen. Haben nicht (fast) alle ihre Pensionen, ihren Krankenversicherungsschutz, werden nicht immer mehr interessante Veranstaltungen für Ältere geboten, steht ihnen nicht die Welt offen, durch Reisen, Fortbildungskurse, Öffnung der Universitäten?

Haben nicht die meisten die Gelegenheit und die Mittel, in der Zeit ihres Ruhestandes eine Entfaltung zu erreichen, die ihnen unter den Belastungen des Erwachsenenalters in Beruf und Familie unerreichbar war? Freude intensiver zu erleben im Annehmen des eigenen Maßes?

Lebenserfüllung im Alter ist möglich und in je verschiedenen Graden auch verwirklichbar.

Aber manchen gelingt es nicht.

Nicht allen genügt bis ans Ende ihres Daseins der Schwung des eigenen Lebens. Manchen ist vieles in Verbitterung gemündet, manche sind eben nicht so gut versorgt, und unerwartete Verluste und Erschwernisse, Unfälle und Krankheiten können oft nicht verkraftet werden.

Manche haben zu viel zu selbstverständlich erwartet — und ihre inneren Kräfte sind durch die äußere Sicherheit nicht immer entsprechend gefördert worden. Und für die anderen fehlt oft der Anreiz, sich jenen alten Menschen zuzuwenden, die mit ihrem eigenen Leben nicht mehr zurechtkommen; auch Liebe und Zuwendung brauchen ja ihren Anreiz, brauchen Brücken. Und älteren Menschen gegenüber bestehen nur zu häufig Mißtrauen, Angst, Abwehr oder zumindest gemischte Gefühle.

Die Anerkennung dieser Tatsache, daß hier Schwierigkeiten vorhanden sind, bringt uns weiter als deren Verweisung in den Bereich des Unmoralischen. Nur darf die Analyse nicht im Aufzeigen von Ambivalenz steckenbleiben. Auch Therapie wird ja erst sinnvoll, wenn sie mehr bewirkt als aufzuzeigen, wie verkrüppelnd die Umwelt auf einen Menschen doch gewirkt hat.

Was kann nun die Altenhilfe bewirken? Wirkliche Not kann man selten unmittelbar beheben, so wie tiefer Schmerz unbeschreibbar ist und nicht von außen geheilt werden kann.

Erste Voraussetzung für „Helfen" ist die Anerkennung des Betroffenen, daß er Hilfe braucht und sie auch anzunehmen bereit ist - ein Schritt von größter Tragweite; von ihm wird selten gesprochen, weil er sich in tiefen Schichten der Person vollzieht und häufig als Erniedrigung, als Bruch im eigenen Leben aufgefaßt wird. Man könnte ihn als die Erkenntnis darstellen: Meine Schwäche ist nicht schon meine Vernichtung; durch sie hindurch

geht mein Weg weiter.

Dann erst kann geholfen werden etwa durch Beschaffung oder Ersatz dessen, was zur Bewältigung einer gegebenen Lebenssituation nicht oder nicht mehr vorhanden ist (wobei es sich oft um konkrete Dinge handelt, um Verbesserung des Haushalts und der Körperpflege, um die Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche).

All das wird nach dem ersten Schritt auf weniger Widerstand stoßen. Jeder Helfer weiß, daß dieser Widerstand es ist, der dem Klienten wie auch ihm selbst die größten Schwierigkeiten macht.

Helfen stellt fast immer einen Eingriff in das individuelle Gewebe nicht nur eines Lebens dar und macht oft die behutsame Knüpfung eines neuen Netzwerks nötig. Darüber hinaus jedoch muß der Leitsatz jeder Sozialarbeit sein, wie auch ihre große Meisterin dieses Jahrhunderts, Hildegard Burjan, erkannt und praktiziert hat, die Klienten zu mehr Selbständigkeit — auch in bedrängter Lage — zu erziehen.Miteinander leben lernen

Man unterschätze nicht das Ausmaß von Organisation, die solche Prozesse begleiten und koordinieren muß.

Daß eine solche Vorgangsweise mehr erfordert als bloßes Staubwischen, liegt auf der Hand. Die Anregung von Selbstheilungsprozessen muß mit Zuwendung und Sorgfalt geschehen, und je geringer die Chancen für sie zu stehen scheinen, desto mehr ist davon nötig. Daß eine solche Organisation, die auch auf Aufklärung, Schulung und Stützung ihrer Mitarbeiter Wert legen muß, Geld kostet, dürfte einsichtig sein. Wo aber liegt der Anreiz, wo der mögliche Gewinn in einer Beschäftigung mit alten Menschen?

Die Durchsichtigkeit des Sinns des Lebens ist bei alten Menschen nicht von vornherein gegeben. Aber wir können vielleicht dahin kommen, diese Durchsichtigkeit zu erfahren, wenn wir uns auf den Austausch mit ihnen einlassen; wenn wir einfach hoffen, auch von ihnen etwas zu erhalten.

Können die heute älteren Menschen die jüngeren lehren, was diese noch nicht wissen — oder nicht mehr wissen? Können uns ältere Menschen zeigen, wie man trotz Beeinträchtigungen den Lebensmut nicht verliert?

Können wir vielleicht mit alten Menschen zusammen das Mitein-ander-Leben im Extremfall wieder lernen, einfach deshalb, weil sie es brauchen?

Lassen wir uns von den Schwachen, den Beeinträchtigten herausfordern, auf das Wort von Henri Michaux zu hören, daß wir im Geben erst selbst erhalten werden, was wir allein für uns selbst gesucht, aber nicht gefunden haben.

Geben ist immer besser als Nicht-Geben; im bloßen „Spenden" liegt allerdings die Gefahr, den zwischenmenschlichen Prozeß auf einen einseitigen Akt zu reduzieren, statt dem Bedürftigen zuzutrauen, er werde noch ein Stück Lebensfülle erreichen können, auch wenn es uns möglicherweise verborgen bleibt.

Und die Gelegenheit dazu ist nahe: in unserer Stadt, in dem Haus, in dem wir wohnen, bei den Menschen, mit denen wir unser Leben geteilt haben, ja bei uns selber, dem uns Unbekannten einige Jahre später. Hoffnung und Engagement — wir werden beides für unser Alter brauchen!

Die Autorin ist Vorsitzende des Vereins der Freunde der Aktion „Diene dem Alter" der Caritas Socialis und Mitarbeiterin des Lud-wig-Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung. Wien.

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